Herne. Ulrich Koch, Vorstand der Herner Stadtwerke, schaut mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter. Er fürchtet viele Zahlungsausfälle.

Stadtwerke-Vorstand Ulrich Koch schaut mit extremen Sorgen auf den kommenden Herbst und Winter. Er fürchtet, dass viele Kunden ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können. So eine Situation habe er in rund 30 Jahren in der Energiebranche noch nicht erlebt, sagt Koch im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.

Klar sei: Wenn zahlreiche Kunden auf Grund der dramatisch gestiegenen Gas-, aber Strompreise nicht mehr ihre Rechnung bezahlen könnten, bekämen die Stadtwerke selbst ein Liquiditätsproblem. „Die hohen Preise, die wir weitergeben müssen, bereiten uns extreme Sorgen, weil schnell hohe Beträge zusammenkommen, wenn viele Kunden nicht zahlen können“, so Koch. Und gerade in Herne gebe es viele einkommensschwache Haushalte. Viele andere Stadtwerke stellten sich ebenfalls die Frage, wie sie „flüssig“ bleiben. Dass es Ausfälle geben wird, sei völlig klar, unklar sei die Größenordnung. Jene Kunden, die heute schon Zahlungsschwierigkeiten hätten, würden noch größere Probleme bekommen, und es werde insgesamt mehr Kunden geben, die ihre Rechnung kaum zahlen können. Es sei die Frage, in welchem Umfang die Politik Hilfestellung leiste.

Ulrich Koch, Vorstand der Herner Stadtwerke, schaut mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter.
Ulrich Koch, Vorstand der Herner Stadtwerke, schaut mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter. © Foto: www.saschakreklau.de, Foto: Sascha KreklauFoto: www.saschakreklau.de, Foto | KREKLAU FOTOGRAFIESascha Kreklau Fotografie

Zahl der Anfragen in Kundenzentren geht „durch die Decke“

Wie groß die Not wird, das spürten die Stadtwerke schon jetzt: Die Zahl der Anfragen in den Kundenzentren sei in den vergangenen Wochen und Monaten „durch die Decke gegangen“, so Koch. „Die Menschen wollen wissen, was sie tun können, sie wollen Lösungen haben.“ Die Stadtwerke versuchten fast verzweifelt Kapazitäten zu schaffen, um der riesigen Nachfrage Herr zu werden. „Wir können doch nicht auf der einen Seite die Preise erhöhen wie verrückt, und den Leuten dann nicht die Möglichkeit bieten, mit uns in Kontakt zu treten.“

Und bei aller Diskussion um Gas dürfe man nicht aus dem Auge verlieren, dass auch der Strompreis in die Höhe geschossensei, was für viele Verbraucher zu einem weiteren Problem werden könnte. Im Juni habe sich bereits der Herner Arbeitskreis Stromsperren getroffen, um über die Tragweite zu sprechen. Man habe verabredet, dass man kooperiert und jeder in seinem Bereich schaut, welche Hilfestellungen gegeben werden können. Koch appelliert, dass Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Rechnung zu begleichen, sich bei den Stadtwerken melden: „Dann finden wir immer eine Lösung.“

Kochs persönlicher Ausblick in die Zukunft fällt wenig optimistisch aus: Auch wenn die Preise sinken könnten, wenn sich die Weltlage beruhige: Preise wie im letzten und vorletzten Jahr werde es allerdings wohl nicht mehr geben.

Preisanstieg hat schon im vergangenen Jahr eingesetzt

Der dramatische Preisanstieg habe nämlich nicht erst mit dem Beginn des Ukraine-Krieges eingesetzt, die Stadtwerke hätten schon im vergangenen Herbst mit einer Reihe von Großkunden über sprunghaft gestiegene Gaspreise diskutiert. Koch: „Damals haben wir schon gesagt: Solche Preise haben wir noch nie gesehen.“ Doch die Steigerung hätte sich dramatisch fortgesetzt. Und die Probleme würden nicht abreißen: Durch das Niedrigwasser sei die Verfügbarkeit von Kohle plötzlich ein Problem, ebenso die Bahnlogistik: Es fehlten Waggons, Loks und Lokführer für Kohletransporte. „Alles, was man jetzt bräuchte, ist auf dem Markt gar nicht verfügbar.“

Die Zentrale der Stadtwerke Herne am Grenzweg.
Die Zentrale der Stadtwerke Herne am Grenzweg. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Herner Stadtwerke-Chef: Der Abschied vom Gas ist eingeleitet

Angesichts der extrem hohen Strom- und Gaspreise würden die Stadtwerke einen große Informationsbedarf und Nachfrage nach Alternativen wie Photovoltaik, Solarthermie und Wärmepumpen registrieren. Koch: „Hohe Preise machen technische Alternativen interessant.“ In dieser Hinsicht sei bereits viel passiert, aber die Krise offenbare auch, dass der Umgang mit Energie in der Vergangenheit teilweise gedankenlos gewesen sei. „Weil sie in der Vergangenheit vergleichsweise günstig war.“ Koch zeigt sich zuversichtlich, dass die Herner Bevölkerung gewillt ist, Energie zu sparen. Die Preissignale seien unmissverständlich, die Menschen seien wachgerüttelt. Die Stadtwerke selbst könne nur eine Botschaft senden: sparen. Auch wenn klar sei, dass man mit sparen gegen diesen Preisanstieg nicht ankomme. Doch alle anderen Fragen - wie die Entlastung von Geringverdienern - müsse die Politik lösen.

Koch glaubt, dass der Abschied vom Gas nun eingeleitet sei. Der werde zwar noch bis zu 20 Jahre dauern, doch die Entwicklung sei für die Stadtwerke einschneidend, weil die wesentlichen Säulen des Unternehmens der Verkauf von Strom und Gas sei. „Und die Sparte Gas geht zu Ende.“

>>> NUR GERINGE GASMENGEN VON UNIPER

Die Herner Stadtwerke, die Teil einer größeren Einkaufsgemeinschaft sind, beziehen einen Teil ihrer Gasmengen von Uniper, allerdings nur zu einem geringen Anteil. Deshalb hätte eine Pleite des größten deutschen Gasimporteurs die Herner Stadtwerke nicht unmittelbar getroffen. Allerdings bestätigt Koch die Einschätzung, dass durch eine Uniper-Insolvenz das ganze System ins Wanken geraten würde, weil plötzlich große Gasmengen im System fehlen würden. Deshalb stabilisiere die Gasumlage den gesamten Gasmarkt. Es wäre für alle Versorger ganz schwierig geworden, wenn ein systemrelevantes Unternehmen pleite gegangen wäre.

>>> GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT WIRD WEITERGEFÜHRT

Angesichts der angespannten Lage stellt sich die Frage, ob die Stadtwerke ihr gesellschaftliches Engagement aufrecht erhalten. In dieser Hinsicht sendet Ulrich Koch einer klare Botschaft: Man sei als Stadtwerk kein rein gewinnorientiertes Unternehmen. Deshalb werde man das kulturelle, gesellschaftliche, soziale oder sportliche Engagement in gewohntem Umfang weiterführen, zumal die verschiedenen Institutionen und Vereine, die die Stadtwerke unterstützen, selbst von der Krise betroffen seien.