Herne. Die Krise im Lokalfunk trifft einen kleinen Sender wie Radio Herne mit besonderer Wucht. Warum der Radiostandort Herne in großer Gefahr ist.
„Radio Herne von Schließung bedroht“: So lautete 2013 eine Schlagzeile über die Situation des lokalen Radiosenders für Herne und Wanne-Eickel. Das Aus des defizitären Senders konnte damals - nicht zuletzt durch personelle Einschnitte - gerade noch abgewendet werden. Elf Jahre später steht Radio Herne erneut am Scheideweg.
Dem am 1. September 1985 erstmals auf Sendung gegangenen Lokalradio droht eine Zusammenlegung mit anderen Sendern in einem sogenannten Funkhausmodell und die damit verbundene Aufgabe des Redaktionsstandorts Herne. Im schlimmsten Fall könnte der derzeitige Strukturprozess in NRW dazu führen, dass das Sendegebiet neu zugeschnitten wird - mit der Folge, dass der kleine Herner Sender seine Eigenständigkeit verlieren und in einem größeren Regionalsender aufgehen würde. Der Rat der Stadt Herne, die Gewerkschaft DJV und die Radio-Redaktion wehren sich gegen solche Szenarien: Sie fordern den Erhalt des Senderstandorts Herne.
Die Krise der Lokalradios
Die Struktur von Radio Herne und der mehr als 40 weiteren Lokalradios in NRW galt jahrzehntelang als Erfolgsmodell. Es basiert auf zwei Säulen: Die Betriebsgesellschaft (BG) ist für die betriebswirtschaftliche Seite verantwortlich, die ehrenamtlich geführte örtliche Veranstaltergemeinschaft für die redaktionelle Ausrichtung.
Betriebsgesellschaft für Radio Herne und zehn weitere lokale Sender im Ruhrgebiet ist Westfunk, eine Tochter der Funke Mediengruppe (zu der auch die WAZ Herne gehört). Diese Gesellschaft hält 75 Prozent der Anteile von Radio Herne, weitere 16 Prozent gehören einer Holding und die restlichen 9 Prozent der Stadt Herne. Auch in anderen Regionen geben große Zeitungsverlage den Ton in der lokalen Radiolandschaft an. Die Veranstaltergemeinschaft soll als Gegenpol zur BG einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden; in Herne sind in dem Gremium unter anderem Parteien, Verbände, Kirchen und die Wirtschaft vertreten.
Ein Hauptproblem: Seit mehr als einem Jahrzehnt belasten Einbrüche bei den Werbeeinnahmen das System Lokalradio. Durch Pandemie und Lockdown hat sich die strukturelle Krise zusätzlich verschärft. Auf Landesebene wird nun schon seit mehreren Jahren unter der Moderation der Landesmedienanstalt (LfM) um den zukünftigen Kurs der Lokalradios in NRW gerungen.
Das „Funkhausmodell“: Mehrere Sender unter einem Dach
In welche Richtung es im Ruhrgebiet gehen könnte, zeigt das von Westfunk umgesetzte sogenannte Funkhausmodell: Anfang 2024 sind die Redaktionen von Radio Mülheim, Radio Oberhausen, Radio Emscher Lippe (Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck) und Radio K.W. (Kreis Wesel) in die Essener Konzernzentrale der Funke Mediengruppe umgezogen. In vier Studios wird dort das jeweilige Morgen- und Nachmittagsprogramm der vier Sender produziert.
In einer Pressemitteilung erklärte die Funke Mediengruppe, dass alle Sender durch diese „Stärkung der Audiostrategie“ weiterhin eigenständig agierten, gleichzeitig aber die „Vorzüge von synergetischem Arbeiten“ nutzen könnten. Die Redakteurinnen und Redakteure berichteten weiterhin aus den lokalen Sendegebieten. Dieses Projekt solle auch Vorbild für weitere Lokalsender sein, hieß es.
Rat fordert Erhalt des Radiostandortes Herne
Für Verantwortliche in Herne klingt dies wie eine Drohung. Befürchtet wird, dass ein solches Funkhausmodell auch für Herne umgesetzt wird und der im Stadtwerke-Haus in Herne-Mitte ansässige Sender nach Bochum umziehen muss. Der Rat hat der Stadt dagegen ein klares Zeichen gesetzt: In einer mit breiter Mehrheit beschlossenen Resolution sprachen sich die Parteien für den Erhalt des Standortes Herne und gegen eine Zusammenlegung mit anderen Sendern aus.
Adressiert wurde diese Resolution an das Land NRW. Dieses müsse den dauerhaften Erhalt der Lokalradios sichern sowie Maßnahmen entwickeln und ergreifen, „die den Fortbestand in den jeweiligen Verbreitungsgebieten bei hoher inhaltlichen Qualität, personeller sowie finanzieller Ausstattung und der journalistischen Unabhängigkeit auf lokaler Ebene gewährleisten“, so die Forderung des Rates. Und: Das Land und alle beteiligten Akteure müssten dafür Sorge tragen, „dass die Veranstaltung lokalen Rundfunks nicht ausschließlich unter Wirtschaftlichkeitserwägungen betrieben wird“.
Für die Stadtgesellschaft sei ein Mindestmaß an Medienvielfalt notwendig, um sich angemessen informieren zu können. „Aufgrund der lokalen Entwicklung im Bereich der Printmedien, hier ist die inzwischen mangelnde Konkurrenz kritisch zu betrachten, kommt der Berichterstattung durch das Lokalradio zudem unter medienpolitischen Gesichtspunkten somit eine besondere Bedeutung zu“, heißt es weiter in der Resolution. Auch die viel beschworene Stärkung der Demokratie könnte durch eine Zusammenlegung von Sendegebieten Schaden nehmen.
„Veranstalter“ von Radio Herne appellieren ans Land
Unterfüttert wurde die Resolution im Rat durch eine Rede der CDU-Stadtverordneten Bettina Szelag, die seit mehr als 15 Jahren der Veranstaltergemeinschaft (VG) von Radio Herne angehört und zurzeit stellvertretende Vorsitzende dieses Gremiums ist. Gemeinsam mit dem ehrenamtlichen VG-Vorsitzenden Martin Krause bekräftigt sie anschließend im Gespräch mit der WAZ, warum der Erhalt von Sender und Senderstandort für sie so wichtig sei.
„Wir sind lokal verortet. Dazu gehört, dass man aus dem lokalen Bereich sendet“, sagt der langjährige DRK-Kreisgeschäftsführer Krause, der seit Ende 2023 Chef des städtischen Fachbereichs Personal und Zentraler Service ist. Das Land und die Landesregierung müssten ihrer Verantwortung gerecht werden.
Der anfängliche Ansatz der Landesmedienanstalt, dass sich das System Lokalfunk aus sich selbst heraus reformiere, sei gescheitert, so Krause. Die Interessen der einzelnen Akteure seien einfach zu unterschiedlich. Dass Betriebsgesellschaften Gewinn machen wollten, sei legitim. Wenn man aber von früheren Zahlen träume, dann seien das „Luftschlösser“. Und: „Zu einer Gewinnerzielungsabsicht gehört auch, dass man bereit ist, in die Struktur zu reinvestieren“, erklären Krause und Szelag. In allen zur Diskussion stehenden Verträgen stehe nur, was die Veranstaltergemeinschaften tun müssten. Von den Betriebsgesellschaften sei dagegen kaum die Rede.
Trotz der Kürzungen in den vergangenen Jahren (insbesondere beim Etat für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) mache das Team um Chefredakteurin Christine Schindler und die Redakteure Oliver Grabowski, Martin Lang und Achim Preikschat ein „sehr gutes Programm“ und sei konkurrenzfähig. Es werde aber aufgrund der Rahmenbedingungen zunehmend schwieriger, journalistischen Nachwuchs zu gewinnen.
Chefredakteurin Christine Schindler warnt vor „Mogelpackung“
Christine Schindler, seit 2013 Chefredakteurin von Radio Herne, freut sich über den Rückhalt durch die Resolution des Herner Rates. Zur aktuellen Situation gab die 42-Jährige auf Bitte der WAZ eine Stellungnahme ab: „Radio Herne gehört auch in Zukunft nach Herne. Wir sind nah an unseren Hörerinnen und Hörern, stets erreichbar und arbeiten hier vor Ort mit vollem Einsatz. Nur, weil es technisch möglich ist, von anderen Standorten aus für unsere Stadt zu senden, macht es das nicht sinnvoll.
In der Resolution wird auf die Bedeutung von Radio Herne als Informationsquelle im Krisenfall hingewiesen. Das kann ich nur unterstreichen, auch die Forderung danach, einen Ausbau dieser Rolle weiter zu unterstützen. Zum Beispiel mit der Einrichtung eines Havarie-Studios, über das auch bei großflächigen und andauernden Stromausfällen die Bevölkerung informiert werden kann.
Ich stehe für ein ehrliches lokales Radio aus dieser und für diese Stadt, nicht für eine an eine Mogelpackung grenzende Verpackung, auf der nur Radio Herne steht. Dazu gehört auch, mit den Menschen in unserem Sendegebiet in direktem Kontakt zu stehen und hier vor Ort persönlich erreichbar zu sein.
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Zu Beginn meiner Ausbildung hieß es, ,die Themen liegen auf der Straße‘. Das tun sie für Herne und Wanne-Eickel aber sicherlich nicht am Limbecker Platz in Essen oder auf der Kortumstraße in Bochum. Unser Auftrag ist eine journalistisch unabhängige lokale Berichterstattung, und genau diesen Auftrag wollen wir auch in Zukunft erfüllen. Seit das Lokalfunksystem mit seinem Zwei-Säulen-Modell vor über 30 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, haben sich viele Parameter verändert. Eine Reform kann aber nicht nur vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Überlegungen gelingen. Der aktuelle Strukturprozess in Nordrhein-Westfalen verschiebt wesentliche Aspekte des Landesmediengesetzes. Und Änderungen daran sind letztlich Aufgabe des Gesetzgebers.“
Gewerkschaft fordert redaktionelle Ressourcen vor Ort
Auch die Gewerkschaft Deutscher Journalisten-Verband (DJV) in NRW begrüßt die vom Herner Rat und von anderem Räten beschlossenen Resolutionen zum Erhalt der Lokalradio-Struktur. Solche Signale seien „richtig und wichtig“, erklärt DJV-Geschäftsführer Volkmar Kah. Er habe nichts gegen Kooperationen und Synergien, doch am Ende des Tages müsse sichergestellt sein, dass es vor Ort ausreichend redaktionelle Ressourcen gebe. Die Aufgabe von Senderstandorten sei da der falsche Weg.
Fakt sei, so Kah, dass die „Funke-Sender“ seit Jahren unter besonderem Druck stünden. Es sei sehr schwer, mit Funke zu „konstruktiven Lösungen“ zu kommen. Der publizistische Erfolg des Systems Lokalfunk sei unbestrittenen. Wenn dieser Erfolg sich jedoch nicht bei der Vermarktung niederschlage, sollte vielleicht weniger über redaktionelle Strukturen als vielmehr über Vermarktungsstrukturen nachgedacht werden, so der Gewerkschafter.
Was sagt die Funke Mediengruppe?
Auf Anfrage der WAZ Herne wollte die Funke Mediengruppe nicht Stellung nehmen zur aktuellen Situation von Radio Herne und zum Inhalt der Resolution des Herner Rates.