Herne. Immer mehr Handwerksunternehmen, auch in Herne, werden aufgekauft. Was dahintersteckt - und welche Konsequenzen das hat.
In Herne verschwindet nach 96 Jahren der Eickeler Sanitärbetrieb Mosebach. Geschäftsführerin Isolde Mosebach beantwortet zwar noch Anrufe und bedient Kunden, doch neue Aufträge nimmt sie nicht mehr entgegen. Sie muss sich darum kümmern, die Mosebach GmbH & Co. KG abzuwickeln.
Dabei wäre genug Nachfrage und Arbeit vorhanden, erzählt sie im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Allein: Es fehlten die Fachkräfte. Ihr Sohn Guido habe als Meister noch zwei Gesellen gehabt, doch einer gehe in den Ruhestand, der andere zur Meisterschule. Die Folge: Die Firma stellt den Betrieb ein, Guido Mosebach hat am 1. Mai bei der Bertram GmbH an der Bochumer Straße begonnen. Dort freut man sich über den Zuwachs.
„Wir sind sehr froh, dass wir mit Guido Mosebach einen Meister gewinnen konnten, der viel Erfahrung, aber auch seine Perspektive als Selbstständiger mitbringt. Er hat eine Lücke geschlossen, die vorher so gar nicht präsent war“, so Josua Klur, kaufmännischer Leiter bei Bertram. Hinzu komme, dass Mosebach seinen Kundenstamm mitgebracht habe. Isolde Mosebach macht dagegen eine düstere Vorhersage: „Die kleinen Betriebe wird es irgendwann nicht mehr geben.“ Die WAZ weiß von mindestens einem weiteren Sanitärbetrieb, der ebenfalls von der Bildfläche verschwinden wird.
Hans-Joachim Drath, stellvertretender Kreishandwerksmeister, bereitet das Problem der Unternehmensnachfolge schon seit geraumer Zeit Kopfzerbrechen. „Wir haben einen beträchtlichen Teil an Unternehmen, bei denen die Inhaber aus der Babyboomer-Generation stammen und nun in Ruhestand gehen“, erzählt Drath. Und viele hätten keinen Nachfolger im eigenen Unternehmen. Dann gebe es nur zwei Möglichkeiten: Den Betrieb schließen oder ihn verkaufen. Deshalb gebe es zurzeit einen Trend, dass große Betriebe kleinere aufkaufen, auch in Herne. Ein Hauptmotiv von Übernahmen sei, auf diese Weise dringend benötigte Fachkräfte zu gewinnen. „Denn die Mitarbeiter sind das wichtigste Gut“, so Drath.
Dass es in vielen Fällen keine Unternehmensnachfolger gebe, habe verschiedene Ursachen. So sei die große Anfangsinvestition eine hohe Hürde. „Und wer übernimmt in der heutigen Zeit ein Unternehmen?“, fragt Drath. Arbeit sei genug da im Handwerk, aber die überbordende Bürokratie verleide die Motivation zur Übernahme. Das schrecke junge Meister ab. Da lockten eher gut bezahlte Jobs in großen Betrieben oder in der Industrie. Das gelte gerade im Bereich Sanitär-Heizung-Klima (SHK). Da brauche man schon fast ein ganzes Planungsbüro, wenn man nur daran denke, was vor der Installation einer Photovoltaikanlage alles zu beachten sei. Kleinere Betriebe seien da im Hintertreffen.
Große Konzerne wollen Handwerksbetriebe kaufen oder anders an sich binden
Doch es gebe noch einen weiteren Trend: dass große Konzerne auf Handwerksunternehmen schielen, diese übernehmen oder in anderer Form an sich binden wollen, gerade im SHK-Bereich. Der Grund: All die Photovoltaikanlage und Wärmepumpen, mit den die großen Konzerne werben, müssen installiert werden. Doch dafür hätten zum Beispiel Energieversorger kein Knowhow, so Drath. Deshalb suchten sie Betriebe, um sie zu übernehmen. Ein Blick auf den Onlineauftritt des Energiekonzerns Vattenfall lässt erahnen, was Drath meint. Wer überlege, eine Wärmepumpe zu installieren, könne sich von qualifizierten Vattenfall-Experten zu Hause beraten lassen - von regionalen Fachhandwerkern, heißt es auf der Vattenfall-Seite. Und Vaillant, Produzent von Heizlösungen, lockt Fachhandwerker damit, Teil der Vaillant-Familie zu werden.
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„Hier müssen wir als Handwerk massiv gegen arbeiten“, so Drath. „Wir dürfen uns nicht einen Teil unseres Handwerks aus der Hand nehmen lassen.“ Die großen Konzerne würden sich die Fachkräfte schnappen, die das Handwerk ausgebildet habe. Dem Nachwuchs müsse klargemacht werden, dass Handwerk nach wie vor goldenen Boden habe - und das auf Dauer. Allein die Energiewende bringe sehr viel Arbeit für die Gewerke SHK, Dämmung oder Elektro.
Auch Stadtwerke mischen bei Übernahmen mit
Aber auch Stadtwerke würden ein Auge auf Handwerksunternehmen werfen. Drath verweist auf Bochum, wo die Stadtwerke das Tiefbauunternehmen HVT Harpener Versorgungstechnik gekauft haben. „Die Energie-, Wärme- und Verkehrswende erfordern in den nächsten Jahren massive Investitionen in unsere Infrastrukturen. Mit diesen Investitionsbedarfen steigt auch der Bedarf an qualifizierten Tiefbauunternehmen. Diese sind bekanntlich nicht nur in Bochum, sondern in ganz Deutschland knapp“, begründete Elke Temme, Geschäftsführerin der Stadtwerke, den Kauf. Auch in Herne soll es nach WAZ-Informationen einen ähnlichen Versuch gegeben haben.
Neu ist das Phänomen der Übernahme durch die großen Player allerdings nicht. So erzählt Gerwin Schweppe, Geschäftsführer bei Wärmetechnik Leickel, dass das Wanne-Eickeler Unternehmen 1981 von Veba-Kraftwerke-Ruhr übernommen wurde. Damit hatte das Großunternehmen seinen eigenen Handwerksbetrieb für Arbeiten an den Energiesystemen. Schweppe, der Leickel 2004 mit seinem Partner Wolfgang Keller vom niederländischen Konzern Essent gekauft hat, bekommt zurzeit beinahe wöchentlich Anfragen, um zum Beispiel „strategische Partnerschaften“ einzugehen. Und manche Interessenten seien durchaus hartnäckig. Doch das lässt Schweppe kalt.