Herne. Ein Herner Unternehmen geht neue Wege bei der Gewinnung von Fachkräften oder Auszubildenden. Für die Bewerbung reicht ein Bierdeckel.

CDU-Politiker Friedrich Merz schlug vor langen Jahren mal die Steuererklärung auf dem Bierdeckel vor - ohne Erfolg. Das Herner Reifenhandels-Unternehmen Stiebling hat nun die Bewerbung auf dem Bierdeckel getestet - und ist damit auf reichlich Resonanz gestoßen.

Wer während der Fußball-Europameisterschaft die deutschen Spiele im EM-Park am Gysenberg verfolgt hat, dem werden die Bierdeckel möglicherweise aufgefallen sein: Auf der einen Seite steht auf blauem Untergrund „Unterlegscheibe“, wer die Pappe umdreht, blickt auf ein Formular für eine „Kurzbewerbung“. Lediglich Name, Alter, Telefonnummer und Mailadresse müssen ausgefüllt werden, zusätzlich kann man ankreuzen, für welche der vier Stellen man sich interessiert. Zusätzlich leitet ein QR-Code auf weitere offene Stellen bei Stiebling.

Das Ausfüllen des Bewerbungs-Bierdeckels dauert nur wenige Sekunden.
Das Ausfüllen des Bewerbungs-Bierdeckels dauert nur wenige Sekunden. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

„Wir sind ständig aktiv, um mögliche Fachkräfte oder Azubis anzusprechen und setzen uns regelmäßig zusammen, um passende Aktionen zu entwickeln“, so Stiebling-Geschäftsführer Alexander Stiebling. So habe man entschieden, das Sponsoring des EM-Parks zu nutzen, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren, das sei in der Vergangenheit selten passiert. Das Ergebnis: Auf den Bierzeltgarnituren lagen bei zwei Spielen jede Menge Bewerbungsbierdeckel.

19 konkrete Bewerbungen, ein neuer Mitarbeiter fängt am 1. September an

Alexander Stiebling nimmt für sich nicht an Anspruch, Erfinder dieses ungewöhnlichen Instruments zu sein, er habe etwas Ähnliches schon mal gesehen. Der Bierdeckel habe aber hervorragend zum Public Viewing gepasst - viele Getränke, viele Untersetzer. Mit der Resonanz zeigt er sich sehr zufrieden. In der kleinen Urne hätten 19 konkrete Bewerbungen gelegen, zwei Gespräche hätten inzwischen zu einer Anstellung zum 1. September geführt. Es habe aber auch lustig gemeinte Bierdeckel gegeben, erzählt Stiebling mit einem Schmunzeln: Mindestens zehn Bewerbungen seien für den Geschäftsführerposten eingegangen.

Senior-Chef Christian Stiebling kann sich vorstellen, diese Bierdeckel auch in anderen Gastronomien zu platzieren. „Was macht man, wenn man auf sein Getränk wartet? Man spielt vielleicht mit dem Bierdeckel.“ Schon jetzt gibt es Überlegungen für eine Version für Auszubildende und Praktikanten. Alexander Stiebling denkt zum Beispiel an die Kooperation mit der Fußball-Jugendabteilung des DSC Wanne-Eickel.

Firmen legen Hürden für den Berufseinstieg bewusst tief

Diese einfache und direkte Art der Bewerber-Ansprache hat auch mit der Erkenntnis zu tun, dass für Bewerbungen längst keine Mappen mehr mit Anschreiben und Lebenslauf zusammengestellt werden - zu aufwändig. Selbst das Hochladen von Dateien bei Online-Bewerbungen kann für junge Menschen mittlerweile eine zu hohe Hürde sein. Alexander Stiebling hat die Erfahrung gemacht, dass immer mehr Bewerbungen über das Handy geschickt werden. Das Unternehmen habe sich darauf eingestellt. „Wir wollen im ersten Schritt einfach nur die Daten der Bewerber, danach liegt der Ball quasi bei uns, und wir können uns dann melden“, so Stiebling. Für ihn spielten Lebensläufe bei der Auswahl keine Rolle mehr, wenn jemand ein Praktikum absolviert habe, wüsste man viel mehr über den Menschen.

Stieblings Strategie ist vergleichbar mit der zahlloser anderer Unternehmen. In Zeiten des Nachwuchs- und Fachkräftemangels werden die Hürden für den Berufseinstieg so tief wie möglich gelegt. Bei der Bäckerei Büsch reicht es, einen QR-Code zu scannen und eine Sprachnachricht zu senden. Büschs Gleichung: „Scannen. Sprechen - Job.“ Beim Herner Unternehmen Fresh Cars kann der erste Kontakt über die Plattform Instagram geschehen, selbst handgeschriebene Bewerbungen sind kein Problem. Und bei manchen Unternehmen sind Bewerbungsmappen inzwischen sogar unerwünscht, weil die komplette Mitarbeitergewinnung digital läuft.

Dieses symbolische Rückfahrticket erhalten Mitarbeiter, die einen guten Job gemacht haben, wenn sie Stiebling verlassen.
Dieses symbolische Rückfahrticket erhalten Mitarbeiter, die einen guten Job gemacht haben, wenn sie Stiebling verlassen. © Tobias Bolsmann

Um für den unbekannten Beruf des Vulkaniseurs Nachwuchs zu finden (ein Standbein ist die Runderneuerung von Lkw-Reifen), nutzt Stiebling - in Kooperation mit anderen Unternehmen - die Dienste des Youtubers und Influencers Varion. Der produzierte Clip erzielte immerhin knapp 180.000 Aufrufe. Auch deshalb konnte Stiebling alle Ausbildungsplätze besetzen - und die Azubis haben eigene „Vulki“-Shirts und Kappen erhalten.

Über die persönliche Weiterempfehlung kommen die meisten neuen Mitarbeiter

Doch der am häufigsten genutzte Weg bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitern sei die Weiterempfehlung. „Ein Mitarbeiter bringt den nächsten Mitarbeiter mit“, so Stiebling. Diese Quote sei bei Stiebling ziemlich hoch.

Und selbst wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, die einen guten Job gemacht hätten, das Unternehmen verlassen würden, erhielten sie seit einiger Zeit zum Abschied das „Goldene Rückfahrticket“. „Wir haben gemerkt, dass Beschäftigte, die mal gegangen seien, sich nicht trauen, sich wieder bei uns zu bewerben“, so Stiebling. Mit diesem Ticket soll die Rückkehr erleichtert werden.

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