Herne. Betriebsrat und IG Metall schlagen Alarm: Wegen der Krise in der Bauwirtschaft gerät ein großes Herner Unternehmen zunehmend in Schwierigkeiten.
Die Bauwirtschaft steckt seit geraumer Zeit in einer tiefen Krise. Gestiegene Zinsen und Kosten gehören ebenso zu den Problemen wie der Fachkräftemangel. Hinzu kommt die allgemeine Unsicherheit angesichts des Ukraine-Krieges und anderer Krisen. Darunter leidet auch ein großes Herner Unternehmen massiv, das eigentlich zu den weltweiten Technologieführern in seiner Branche zählt.
Seit etwa einem Jahr versucht die Herner WAZ-Redaktion, Mehmet Varlik, den neuen Geschäftsführer des Cranger Auto-Betonpumpenherstellers Schwing zu einem Interview zu gewinnen. Vergeblich. Die WAZ wurde mit verschiedenen Gründen immer wieder vertröstet. Ein möglicher Grund: Varlik dürfte wenig Positives zu verkünden haben, das Unternehmen steckt in ernsthaften Problemen.
Seit Jahresbeginn ist eine Arbeitszeitabsenkung in Kraft
Die Auftragslage sei so schlecht, dass bereits seit Anfang des Jahres eine im Tarifvertrag vereinbarte Arbeitszeitabsenkung in Kraft sei, berichtet Peter Brauer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Und diese Absenkung müsse nicht das Ende sein. Schwing sei nicht „kilometerweit“ von Kurzarbeit entfernt. „Das könnte im Herbst oder im frühen Winter der Fall sein“, sagt Brauer im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Betriebsbedingte Kündigungen stünden nicht zur Diskussion, doch die am Jahresende auslaufenden Zeitverträge könnten ein Thema werden, fürchtet der Betriebsrat. Es werde eine Herkulesaufgabe, alle Mitarbeiter mit Zeitverträgen weiter zu beschäftigen. Ähnliches gelte für die Übernahme von Auszubildenden. Hinzu komme, dass mittelfristig zahlreiche Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, die Belegschaft sei vergleichsweise alt. So müsse überlegt werden, wie diese erfahrenen Kräfte ersetzt werden können.
Brauer betont: „Unsere Produkte sind gut. Die Kunden wollen unsere Betonpumpen und kaufen gerne bei uns.“ Schwing gehöre nach wie vor zu den Technologieführern in seiner Branche. Doch der Markt für Autobetonpumpen in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, sei zurzeit hart umkämpft. In Deutschland und Europa sei der Auftragseingang außergewöhnlich stark zurückgegangen. In den USA bewege er sich noch auf einem guten Niveau, allerdings schaue er mit großer Sorge auf die Präsidentschaftswahlen im November. Die Befürchtung sei, dass Donald Trump gewinnt und wieder seine America-first-Politik durchzieht. „Das macht uns als Arbeitnehmervertreter große Sorgen“, so Brauer. Der US-Markt mache für Schwing den größten Anteil am Umsatz aus, allerdings habe Schwing eine große Marktstreuung. Doch wenn selbst nur ein Teil des US-Markts wegbreche, mache das bei der momentanen Auftragslage große Sorgen.
In anderen Regionen der Welt - etwa Arabien - sei die Neubautätigkeit immer noch vorhanden, doch diese Märkte seien sehr hart umkämpft. Brauer: „Der Kampf um jeden Auftrag ist groß und geht in den allermeisten Fällen über den Preis.“ Und inzwischen hätten andere Produzenten qualitativ deutlich aufgeholt.
Ohne finanzielle Hilfe des chinesischen Anteilseigners sei die Lage wohl noch bedrohlicher
Hinzu komme, dass in anderen Ländern die Lohn- und Materialkosten niedriger seien. So verlagere Putzmeister, der andere große deutsche Hersteller neben Schwing, seinen Stahlbau in die Türkei. Deshalb habe er als Betriebsrat immer die Sorge: „Was passiert bei uns am Standort?“ Allerdings gebe es keine Diskussion, dass Abteilungen geschlossen werden sollen. Allerdings: Ohne die - finanzielle - Hilfe des chinesischen Anteilseigners sähe es bei Schwing wohl noch bedrohlicher aus. 2012 hatte der chinesische Baumaschinenkonzern XCMG Schwing übernommen.
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Schwing stehe mit seinen Problemen keinesfalls alleine da, so IG-Metall-Sekretär Torsten Lankau. Der Einbruch in der Bauwirtschaft habe immense Folgen für alle Unternehmen, die in irgendeiner Form davon abhängen: angefangen bei Steckdosen über Garagentore bis in zu Küchenproduzenten. Und die Frage sei, inwiefern das gerade beschlossene Wachstumsprogramm der Bundesregierung die Bauwirtschaft wieder ankurbele. „Alle warten auf Signale, die Optimismus verbreiten, doch bislang ist nichts gekommen“, so Brauer. Lankau verweist darauf, dass das Ziel der Bundesregierung, dass 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden, weit verfehlt worden sei. Und es gebe eine weitere Gefahr: dass nach Abschluss von großen Projekten keine neuen mehr geplant werden und so eine gefährliche Lücke entstehe. Denn von der ersten Planung eines Großprojekts bis zum ersten Einsatz einer Schwing-Autobetonpumpe können zwei bis drei Jahre vergehen.
IG Metall fordert unterstützende Maßnahmen der Bundesregierung
Lankau: „Wir brauchen unterstützende Maßnahmen, damit die Betriebe die Delle überleben können.“ Der Einbruch am Markt sei gigantisch. Und niemand wisse, wie lange die Krise am Bau noch dauere. Lankaus und Brauers Appell an die Bundesregierung: „Bei allem Drang zum Sparen. Es muss etwas geschehen.“ Man könne sich auch zu Tode sparen, es stünden massiv Arbeitsplätze in der Baumaschinenbranche auf dem Spiel.
Klar ist, dass die Stimme einzelner zu leise ist, um gehört zu werden. Deshalb arbeitet die IG Metall gerade daran, auch über die Regionalgrenze hinaus eine Petition vorzubereiten, die sichtbare Unterstützung und Instrumente von der Bundesregierung fordert, um die Krise zu überstehen.