Herne. SPD-Ortsvereine in Herne haben einen Brandbrief an den Kanzler geschrieben. Tenor: So darf es nicht weitergehen. Sonst muss es Neuwahlen geben.
Die vier Ortsvereine aus dem Stadtbezirk Wanne in Herne haben einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben. Darin zeigen sich die Vorsitzenden bestürzt über das schlechte Abschneiden der Herner SPD bei der Europawahl im Juni 2024. Nur mit hauchdünner Mehrheit vor der CDU erzielten die Sozialdemokraten vor Ort die meisten Stimmen, erlitten gegenüber den vorherigen Wahlen aber große Verluste. Grund sei die Politik der Ampelregierung. Diese müsse sich grundlegend ändern, fordern die Ortsvereine. „Lieber Olaf, wenn dies in der Ampelkoalition nicht umgesetzt werden kann, dann muss es Neuwahlen geben“, heißt es in dem Schreiben.
Gerichtet ist der offene Brief neben dem Bundeskanzler auch an die Vorsitzenden der Bundes-SPD Saskia Esken und Lars Klingbeil, an den SPD-Bundesvorstand und die SPD-Bundestagsfraktion. Die Absender, die Ortsvereinsvorsitzenden Frank-Uwe Klemczak (Baukau-West), Andreas Hentschel-Leroy (Bickern), Markus Hille (Unser Fritz) und Winfried Marx (Wanne), wollen das Wahlergebnis der Europawahl und dabei auch das gute Abschneiden der AfD nicht einfach hinnehmen. Sie fordern in ihrem dreiseitigen Schreiben Konsequenzen aus der Wahlschlappe. Grund dafür, das hätten ihnen Bürgerinnen und Bürger im Wahlkampf gesagt, sei „die Politik der Ampelkoalition und besonders auch Deine Politik als Bundeskanzler und die Bundes-SPD“. Und: „Gerade ehemalige Wähler der SPD werfen der Bundes-SPD Verrat vor.“
Herne: Wanner Ortsvereine fordern Ende des Dauerstreits
In dem Brief listen die Ortsvereine mehrere Forderungen auf. Zuallererst: „Der offene Streit innerhalb der Koalition muss enden.“ Die ewigen Streitereien „werden nicht nur als nervend, sondern als Verhalten von Kleinkindern im Sandkasten empfunden.“ Niemand traue der Bundesregierung noch vernünftige Lösungen zu. Hinzu komme eine „mangelnde und schlechte Kommunikation“.
Außerdem fordern die Sozialdemokraten eine „Migrationsagenda 2030“. Die SPD habe keinen erkennbaren Leitfaden in der Migrationspolitik, kritisieren sie. Der Zuzug von Flüchtlingen und Asylsuchenden führe zu Ängsten bei Bürgerinnen und Bürgern. Insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen fühlten sich bedroht. Dies nutzten rechte Populisten aus. Darüber hinaus fordern die Ortsverbände unter anderem eine bessere Personalausstattung für die Kommunen und die Behörden, um ihre Aufgaben zügig durchführen zu können: „Es kann nicht sein, dass bei der Ausländerbehörde Herne aufgrund des Personalmangels allein die Terminvergabe zwischen 6 Monaten und 2 Jahren liegt.“
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Auch beim Thema Sicherheit und Ordnung fordern die Ortsvereine eine Korrektur: „Wir dürfen dieses Themenfeld nicht den Rechten überlassen.“ Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten, dass die Sicherheit in der Öffentlichkeit, auf Straßen, Plätzen und im ÖPNV durchgesetzt werde. Hinzu komme, dass Teile der Bevölkerung Rechtsradikalen glaubten, dass Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund der Respekt gegenüber unseren Gesetzen und Werten fehlten. „Das ist übertrieben, aber wir müssen klarstellen, dass wir die Einhaltung des Grundgesetzes, der Gesetze und Verordnungen, unsere Werte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit auch von Einwanderern und MitbürgerInnen mit Migrationshintergrund erwarten und dies auch durchgesetzt wird“, heißt es weiter.
Nicht zuletzt müsse die SPD wieder „mehr Politik für Menschen mit geringen und durchschnittlichen Einkommen“ machen, außerdem brauche die Stadt mehr Geld für Infrastruktur. „Marode Schulen, zu große Klassen, unzureichende Digitalisierung, zu wenig Kitas, kaputte Straßen, Schrottimmobilien - das sei nur ein Teil der Liste an Problemen. „Insbesondere in den Schulen ist die Situation prekär“, heißt es. Und weiter: „Ohne gute Kitas und Schulen können wir unser sozialdemokratisches Versprechen des Aufstiegs durch Bildung ebenso wenig wie eine gelungene Integration erreichen.“ Zusätzlich kämen weitere Aufgaben wie Offener Ganztag, Flüchtlingsaufnahme, Anpassung an den Klimawandel hinzu - ohne dass eine ausreichende Finanzierung sichergestellt ist.
All diese Maßnahmen müssten umgesetzt werden. „Wenn das gegenüber FDP und Grüne nicht durchsetzbar ist, muss eine Minderheitsregierung gebildet werden oder Neuwahlen stattfinden“, stellen die Ortsvereine noch einmal klar. Zugleich laden sie den Kanzler nach Herne ein: „Gerne kannst du dir vor Ort unsere Probleme, die zu den hohen AfD-Ergebnissen führen, anschauen. Du bist herzlich eingeladen.“ Unterstützt werde der offene Brief von den Ortsvereinen ALTenhöfen, Baukau, Herne-Stamm, Pantringshof, Sodingen und Wanne-Süd sowie der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen Herrne, heißt es abschließend.