Herne. Eine Kita-Leiterin aus Herne kritisiert den Notbetrieb. Es werde ein enormer moralischer Druck auf Eltern abgeladen statt klarer Regelungen.
Seit Montagmorgen sind die Kitas in Herne wegen der Notbremse geschlossen. Oder doch nicht? Bei Eltern herrschen offenbar unterschiedliche Auffassungen, wie frei die Notbremse interpretiert werden kann. Denn NRW-Familienminister Joachim Stamp hat mit der offiziellen Schließung der Kitas bei einer Inzidenz von über 165 direkt viele Ausnahmen für die Regel mitgeliefert. Erzieherinnen sind deshalb verärgert. „Es ist eine wirkliche Katastrophe“, sagt beispielsweise Tina Huschler, Leiterin der evangelischen Kita am Scharpwinkelring.
„Es ist die Aufgabe der Regierung, klare Entscheidungen zu treffen“, findet Huschler. „Und wenn die Notbremse gezogen wird, ist das eine ganz klare Sache.“ Aber das, was Stamp nun aus der Bundes-Notbremse gemacht habe, sei ja noch schlechter als der Appell zum Jahresbeginn, als die Eltern aufgefordert waren, ihre Kinder, wenn irgendwie möglich, zu Hause zu betreuen.
Herne: Eltern entscheiden selbst, ob sie Notbetreuung benötigen
Die Erzieherin spricht von einem „enormen moralischen Druck“, der auf die Eltern abgeladen werde, weil ihnen letztendlich die Entscheidung übertragen werde, ob sie die Notbetreuung benötigen oder nicht. Dabei müsse die Politik diese Entscheidung treffen. Entweder sie mache die Kitas dicht oder eben nicht. „Aber die Verantwortung wird von der Politik nur weitergegeben, und wir stehen am untersten Hebel und müssen das umsetzen, was oben nicht entschieden wird.“
Auch interessant
„Es sollte erstmal einen klaren Cut geben, dass die Kitas schließen“, würde sich Huschler wünschen. Wenigstens so lange die Infektionszahlen bei Kindern so stiegen, aber es nicht ausreichend Tests gebe und die Erzieherinnen nicht zwei Mal geimpft seien. Manche Kollegen hätten aufgrund von Erkrankungen auch die erste Impfung noch nicht erhalten können.
Selbsttest diese Woche eingetroffen
Die Selbsttests seien Montag, Wochen nach dem angekündigten Termin, nun endlich eingetroffen. „Aber auch nicht wie angekündigt zwei Tests pro Kind, sondern nur einer“, sagt die Pädagogin. Aber eine Testpflicht wie etwa in Schulen, findet sie für Kinder in diesem Alter sowieso nicht richtig. „Eltern sollten entscheiden dürfen, ob sie ihr Kind testen.“
Auch interessant
Sie habe viel Verständnis für die Familien: „Die Eltern sind erschöpft und verzweifelt.“ Viele Eltern riefen an und sagten, dass sie ihren Kindern ein bisschen Normalität ermöglichen möchten“, ergänzt Janine Reichelt, stellvertretende Kita-Leiterin am Scharpwinkelring. Die Kinder erduldeten seit einem Jahr das allermeiste, das mache ihr große Sorgen, sagt Huschler. Immer, wenn sich Kinder und Erzieher gerade in einer Gruppe eingefunden hätten, komme durch die Politik wieder ein neues Setting – und das seit einem Jahr.
Erzieher „am absoluten Limit“ und frustriert
Der Frust bei den Erzieherinnen und Erziehern sei enorm groß. „Die Schulen haben in NRW geschlossen, es gibt nur Distanzunterricht. Aber die Kitas sind immer geöffnet“, beklagt Tina Huschler. Den Kindergärten fehle die Lobby. Es werde zu wenig gesehen, dass viele Erzieherinnen selbst Kinder hätten, für die sie eine Betreuung brauchten, Kinder, die im Homeschooling unterstützt werden müssen. Und auch, dass das Personal schon vor der Pandemie knapp gewesen sei. Aufgrund einer Krankheitswelle habe sie von 15 Erzieherinnen beispielsweise zeitweise nur neun einsetzen können - und das bei festen Gruppenstrukturen. „Die Mitarbeiter sind am absoluten Limit“, betont Huschler.
Auch interessant
34 von 85 Kinder seien am Montag in die Kita zur „Notbetreuung“ gekommen, am Dienstag waren es 38. Und jedes Kind, das kommt, sei herzlich willkommen, betont die Erzieherin. Denn auch in ihrer Brust schlagen zwei Herzen: Als Pädagogin möchte sie den Kindern wenigstens etwas Normalität ermöglichen, da sie seit einem Jahr schon so viel aushalten müssten. Und auf der anderen Seite sei da aber auch der Gedanke: „Bitte infiziert euch nicht.“ Man wisse bisher zu wenig über mögliche gravierende Spätfolgen von infizierten Kindern.