Hattingen. Die „Randalezentrale“ macht die kontrollierte Zerstörung zum Event. 70 Prozent der Kunden sind Frauen - die oft Haushaltsgeräte zertrümmern.

Lena, Lisa und Sarah haben sich den Wäschetrockener vorgenommen. Immer und immer wieder schlagen sie mit Vorschlaghammer und Baseballschläger zu. Brüllend laut hämmert dazu Metal-Musik aus den Lautsprechern, und man fragt sich: Wo nehmen die Mädels nur diese Wut her? Nach 40 Minuten ist das Haushaltsgerät in Einzelteile zerfetzt und Lena lächelt selig.

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Offenbar musste da was raus und das geht am besten in der „Randalezentrale“ in einem ehemaligen Bunker in Hattingen. Dort zahlt man Geld, mietet sich ein, um Dinge zerstören zu können. Es gibt nur wenige solcher „Rage Rooms“ oder „Smash Rooms“ in Deutschland, etwa in Stuttgart, Nürnberg oder Bonn. Vor einem Jahr hat die „Randalezentrale Ruhr“ in Hattingen eröffnet. Und dieses skurrile Geschäftsmodell läuft: „70 Prozent unserer Kunden sind Frauen“, sagt Betreiber Dirk Jaresch. Meist seien sie zwischen 25 und 40 Jahre alt, es hat sich aber auch eine knapp 70-Jährige im Wut-Raum ausgetobt.

Erzieherinnen, Krankenschwestern und Pflegerinnen lassen ihren Frust raus

Manche kommen zur Trauerbewältigung, wegen Beziehungsproblemen, viele aus „beruflichen Gründen“. Vor allem Erzieherinnen, Krankenschwestern und Pflegerinnen lassen hier ihren Frust raus. Auch die Diakonie nutzt die Räume für ihre Psychotherapie. Eine Hausärztin ist mittlerweile Stammkundin. Dirk Jaresch und seine Lebensgefährtin Heike Hilbrand fragen nie nach Gründen, erfahren sie aber doch irgendwann: „Das sprudelt von selbst raus.“

Baseball mal anders - hier mit Tellern.
Baseball mal anders - hier mit Tellern. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Der Bochumer Unternehmer baut eigentlich Großaktenvernichter, „auf Zerstören verstehe ich mich“, witzelt er. 2022 kam ihm die Idee mit dem bezahlten Kaputtmachen: „Ich habe in einem amerikanischen Spielfilm gesehen, wie Leute gegen Gebühr ein Hotelzimmer zerlegten“, erinnert sich Jaresch. Seine bekloppte Idee ging ihm nicht aus dem Kopf. „Ich habe dann aus Fake eine Webseite bauen lassen und geschaltet. Und die Klicks gingen durch die Decke.“ Für ihn der Beweis, dass ein Rage Room funktionieren würde.

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Geselliges Zertrümmern von Büro-Inventar

Die perfekte Location fand der 64-Jährige auf dem Hüttengelände in Hattingen. Die Randalezentrale befindet sich in einem ehemaligen Hochbunker in der Straße Am Walzwerk. Der einstige Satkom-Tower, mittlerweile in „Unicorn Park“ umgetauft, beherbergt junge Unternehmen und auch eine Event-Location. „Rainbow Catering“ vermietet diese für Hochzeiten oder Taufen. Von dort bezieht die Randalezentrale Getränke und Speisen, denn hier werden auch Firmenweihnachtsfeiern veranstaltet - man denke nur an das gesellige Zertrümmern von Büro-Inventar! Direkt neben dem Bunker hat „MäckMöbel“ seinen Sitz, spezialisiert auf Haushaltsauflösungen. Die Beschäftigten bringen Nützliches für die Randalezentrale mit, Geschirr zum Beispiel.

Immer drauf: hier zertrümmert Lena (li.) eine Motorhaube.
Immer drauf: hier zertrümmert Lena (li.) eine Motorhaube. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

„Vor allem können wir hier Krach machen ohne Ende. Man kann voll aufdrehen“, schwärmt Jaresch. Seine Kunden kommen aus ganz Deutschland. Sie finden ihn über Google und buchen online. Eine Sitzung dauert 40 Minuten. „Mehr schafft man körperlich auch nicht“, sagt Heike Hilbrand. Lena, Lisa und Sarah kommen aus Dortmund. Die Freundinnen haben das Event Lena zum Geburtstag geschenkt. „Weil ich so gestresst aussah“, sagt Lena. Knapp 300 Euro ist den jungen Frauen diese Frustbewältigung wert.

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Frauen zahlen für Randalezentrale-Session 300 Euro

Vor Ort gibt es einen Raum mit Billardtisch und Sofas. Hier ziehen die drei sich um, in Einweg-Overalls, Handschuhe und Helmen mit Visier. Sie unterschreiben einen Haftungsausschluss - Randalieren auf eigene Gefahr. Dann gibt es noch das WLAN-Passwort für die eigene Musikauswahl, die drei jungen Frauen betreten den für sie eingerichteten Raum - und die Stahltür fällt ins Schloss.

Aus Sicherheitsgründen beobachtet Dirk Jaresch das Geschehen in der „Randalezentrale.“
Aus Sicherheitsgründen beobachtet Dirk Jaresch das Geschehen in der „Randalezentrale.“ © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Die folgenden Minuten können wir nur über den Bildschirm der Überwachungskamera verfolgen. Es scheppert und dröhnt in den dicken Wänden. Lena greift sich als Erstes einen Baseballschläger und zerlegt mit einem Schlag eine Holzkommode. Lisa und Sarah werfen erst zögerlich Teller gegen die Wände, dann greifen auch sie zum Vorschlaghammer und hauen auf die Mikrowelle ein. Systematisch arbeiten sie sich durch den Raum, bis ihr Fokus auf den Wäschetrockner fällt. Rumms!

„Befreiend, mal was kaputtzumachen“: Sarah, Lena und Lisa nach ihrer Session in der  „Randalezentrale“, einem „Rage Room“, in Hattingen.
„Befreiend, mal was kaputtzumachen“: Sarah, Lena und Lisa nach ihrer Session in der „Randalezentrale“, einem „Rage Room“, in Hattingen. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

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Glasbausteine ploppen beim Zerschlagen

Wenn eine Gruppe ihre „Session“ beendet hat, beginnt das große Aufräumen. Eine Stunde brauchen die Mitarbeiter, um erst den zerkleinerten Müll aus dem Raum zu kehren und - brav nach Wertstoffen getrennt - in Containern zu entsorgen. Anschließend wird der Raum neu bestückt. Maximal vier Durchgänge schaffen sie am Tag. Es könnten mehr sein, aber die meiste Zeit frisst das Beschaffen der Einrichtung über Kleinanzeigenportale.

Dirk Jaresch hatte die Idee zur „Randalezentrale“.
Dirk Jaresch hatte die Idee zur „Randalezentrale“. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Was zerschlagen Menschen gerne? Möbel nicht, denn die zerbersten ja beim ersten Hieb. Heißbegehrt sind Glasbausteine und Röhrenfernseher, denn die „ploppen beim Zerschlagen“. Männer dreschen gerne (erfolglos) auf Autoreifen ein. Beliebt seien auch Spülmaschinen sowie Kopiergeräte, Drucker oder Bildschirme. „Wir hatten einen Fall, da hatte eine Gruppe junger Frauen einen Stapel Papierausdrucke dabei“, so Jaresch. Es waren Fotos ihrer Arbeitskollegen, die sie mit Tesafilm erst sorgsam auf die Geräte klebten, um sie dann zu zerstören. „Unser nächster Schritt wären thematisch eingerichtete Räume“, sagt Dirk Jaresch. Buchen könnten Kundinnen dann das Setting „Scheidung“. Oder „Schwiegermutter“.

Preise: Eine Person 117 Euro, zu zweit 196 Euro. Man kann auch Gutscheine verschenken: randalezentrale.de

Dieser Text erschien erstmals am 3. Dezember 2024.

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