Hattingen/Sprockhövel. Aufgewachsen mit einem Süchtigen in der Familie, Partner alkoholkrank: Regina (70) war lange co-abhängig. Hier erzählt sie ihre Geschichte.
Es ist ein Tag im Sommer 2013: Da kann Regina Hölzgen ihrem damaligen Partner endlich sagen, was sie selbst will. Da ist dieser endlich nicht mehr der, den sie unbedingt an ihrer Seite braucht, um sich gebraucht zu fühlen.
Eine Frist, ihr die ihm geliehenen 2000 Euro zurückzuzahlen, setzt Regina Hölzgen dem Ex-Partner an jenem Sommertag. Nach 15 Jahren hat sie den Ausstieg aus der Co-Abhängigkeit von dem Alkoholiker geschafft. Heute will sie mit einer Ausstellung in Hattingens Café Sprungbrett für das Thema sensibilisieren.
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Regina Hölzgen sagt: „Ich bin ein erwachsenes Kind aus suchtbelasteter Familie. Mein Stiefvater war Alkoholiker. Mein erster Freund und späterer Ehemann war es auch.“ Hier wie dort habe sie gelernt, zu funktionieren und den äußeren Schein vom intakten Familienleben zu wahren nach außen.
Sie verfällt in krankhafte Verhaltensmuster zurück
Sich um sich selbst kümmern, das vermag Regina Hölzgen lange Jahre aus eigener Kraft nicht. Und nur wegen ihrer Tochter, die damals noch ein kleines Mädchen ist, schafft sie 1985, mit 30 Jahren, auch den Ausbruch aus ihrer Ehe. Doch einige Zeit später rutscht sie in die nächste ungesunde Beziehung. Und verfällt in krankhafte Verhaltensmuster zurück.
Regina Hölzgen trifft Alex (Name von der Redaktion geändert), einen verheirateten Mann, und denkt: Der ist es. „Er sah gut aus, war selbstständig, hilfsbereit, hörte mir stets aufmerksam zu. Ich war blind und gefangen, habe gedacht: Das ist Liebe. Nicht zu wissen, was passiert, in welcher Stimmung er ist, das ständige Warten auf ihn: All‘ das hielt ich lange Zeit für ein aufregendes Leben.“
„Ganz ehrlich: Eine Alkoholfahne bei ihm habe ich nie gerochen. “
Dass auch ihr vermeintlicher Traummann ein Alkoholiker ist, will die frühere Sekretärin jahrelang nicht wahrhaben. „Ganz ehrlich: Eine Alkoholfahne bei ihm habe ich nie gerochen.“ Auch dass Alex ständig mit ihren Gefühlen spielt, ihr immer wieder droht, sie aufzugeben und ihr kurz darauf das Gegenteil verspricht, nimmt Regina Hölzgen hin. Weil sie eine Co-Abhängige ist, eine Frau mit einer schweren Beziehungsstörung. Betroffene machen sich in der Regel in ungesunder Weise von anderen abhängig und neigen dazu, Partner, Eltern, Kinder, Verwandte oder Freunde als einzige Quelle ihrer Identität, ihres Wertes und ihres Wohlbefindens zu benutzen.
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Regina Hölzgen geht es mit ihrem „Traummann“ immer schlechter. Auf Anstoß ihrer inzwischen erwachsenen Tochter begibt sie sich 2001 in sozialtherapeutische, 2003 auch in psychotherapeutische Betreuung. Doch von Alex lösen, sich ihre toxische Beziehung eingestehen, das kann sie noch lange nicht.
„Es“ nennt sie ihre Person als Co-Abhängige heute
Durch einen Zufall beginnt die Sprockhövelerin schließlich zu malen: Erst nur Blumen, Landschaften, Stillleben. Später auch „Es“: So nennt sie ihre Person als Co-Abhängige heute. Ein Zustand bestimmt von Angst, Scham, Schmerz - ohne auch nur irgendetwas davon außerhalb der Malerei artikulieren zu können. „Am besten war es, unsichtbar zu sein.“
Selbsthilfegruppen für Co-Abhängige
In Hattingen gibt es zwei Selbsthilfegruppen für Co-Abhängige: Menschen, die ihr eigenes Selbst aufgeben, um innerhalb eines gestörten Familien- oder Beziehungssystems zu überleben.
Eine Anlaufstelle ist die Gruppe anonymer Co-Abhängiger in CoDA (Englisch: Co-Dependents Anonymous). Diese trifft sich jeden Dienstag von 19 bis 20.30 Uhr in den Räumen der Caritas auf der Bahnhofstraße 23 in Hattingen. Kontakt: Telefon 0163-1997328.
„Raus aus der Co-Abhängigkeit – zurück zum eigenen Ich“ heißt eine andere Selbsthilfe-Gruppe für Betroffene, Angehörige, Partner und Freunde. Die Treffen finden ebenfalls an jedem Dienstag von 17 bis 19 Uhr im Café Sprungbrett am Steinhagen 19 in Hattingen statt. Kontakt über das Café Sprungbrett, Telefon 02324 596979.
Doch allmählich beginnt Regina Hölzgen, sich selbst wahrzunehmen und wertzuschätzen. In einer Klinik für Hypnose-Therapie lernt sie, erstmals eigene Gefühle zu erkennen und diese auch herauszulassen: Wut, Trauer, Stolz, Freude. Auch die jahrelange therapeutische Begleitung und das Malen helfen ihr auf ihrem Weg heraus aus der Co-Abhängigkeit vom alkoholkranken Alex. Dem Ex-Partner, weiß sie heute, „habe ich mich jahrelang besinnungslos hingegeben bis zur Selbstaufgabe. Ich war emotional total abhängig von ihm. Ich habe mich von ihm psychisch missbrauchen lassen“.
Bis zu besagtem Sommertag im Jahre 2013.
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Kurz darauf erhält Regina Hölzgen von Alex das geforderte Geld zurück, danach ist es aus mit ihm. „Damals“, sagt sie, „hat mein bewusstes Leben begonnen.“
„Mein Leben jetzt, das ist echt der Knaller.“
Heute ist Regina Hölzgen 70 Jahre alt, sie hat vor acht Jahren erfolgreich eine Krebserkrankung überstanden, lebt ohne Partner. Und ist glücklich. Sie sagt: „Es geht mir gut. Nein: Sehr, sehr gut.“ Sie habe eine tolle Familie, „die zwei coolsten Enkel der Welt“, zudem liebe Freunde, das Malen und andere schöne Hobbys. „Mein Leben jetzt“, betont die Sprockhövelerin, „das ist echt der Knaller.“
Im Café Sprungbrett, Steinhagen 19 in Hattingen, zeigt Regina Hölzgen noch bis Ende Oktober ihre farbgewaltigen Bilder, in denen sie ihren Weg aus der Co-Abhängigkeit aufgearbeitet hat. Initiiert worden ist die Ausstellung zusammen mit „Trialog“ und Café Sprungbrett e.V.