Hattingen/Witten. Im Swingerclub fühlen sich Bio84 (39) und TausendMalDu (53) respektierter als in der Disko. Es geht nicht nur um Sex, der Club ändert ihr Leben.
Swingen kann Leben verändern. Es klingt seltsam, doch zwei Frauen, die in Hattingens Steinenhaus Stammgäste sind, geben Einblicke in die Welt hinter den blickdichten Fenstern. „Wenn irgendwo Gleichberechtigung im Übermaß umgesetzt wird, dann im Swingerclub“, betonen sie. Gemeinsam mit anderen wollen sie eine Lanze für ihren Swingerclub brechen und für ihn kämpfen. Denn das Steinenhaus, von ihnen als einer der schönsten Clubs in Deutschland gelobt, soll voraussichtlich sehr bald schließen und dann zu etwas ganz anderem werden.
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Unter den Namen Bio84 und TausendMalDu sind die zwei Frauen in der Swingerszene unterwegs. Bio84 ist 39 Jahre alt, TausendMalDu 53. Ihre echten Namen wollen sie nicht hier lesen, denn ihre Familien und Freunde wissen nur teilweise von ihrer Leidenschaft. Beruflich kümmert sich die eine um die „psychische Gesundheit von Menschen“ und die andere um die „physische Gesundheit“, erzählen sie lachend. Und kennengelernt haben sich die beiden: im Swingerclub.
Es geht nicht allein um Sex
„Wir wären uns sonst nie begegnet“, betonen die Freundinnen, die unterstreichen, sie seien beide heterosexuell. Angesprochen hätten sie sich auch nur aufgrund gegenseitiger Sympathie. Sexuelles habe dabei keine Rolle gespielt.
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Und da sind sie auch schon mittendrin, mit Swinger-Klischees aufzuräumen. Denn: Im Steinenhaus, da ginge es nicht nur um Sex. „Es geht nicht darum, hier nur seine Triebe abzuarbeiten. Es ist Familie. Man kennt sich, tauscht sich privat aus, auch seine Sorgen“, betont die 53-Jährige. So müsse man sich im Club auch nicht zwangsläufig entblößen.
Erste Erfahrungen im Swingerclub
Gut, etwas sexy und fernab des Alltags sollte die Kleidung schon sein - für Männer und Frauen. „Straßenkleidung und Feinripp sind tabu“, erklären die Swingerinnen mit Blick auf die männlichen Gäste. Aber: „Es ist auch kein Saunaclub mit Bademantel und Schlappen.“ Schwarze Schuhe sind Pflicht, ein Club-Outfit auch. Wer sich daran nicht hält, kommt nicht rein. So erinnert sich TausendMalDu, wie ein Mann, der ohne Rucksack, also offensichtlich ohne Wechseloutfit ankam, schon an der Tür abgewiesen wurde.
„Als Frau bist du auf dem Oktoberfest Freiwild. Man wird angegrapscht und in den Arm genommen. Ich wollte das vorher nicht glauben.““
Die 53-Jährige hat einen langen Weg hinter sich, bis sie zur überzeugten Swingerin wurde. Immer wieder sei sie in Beziehungen gewesen, bis einer ihrer Partner, der bereits Erfahrungen hatte, sie mitnahm. Erst in ein Sexkino. „Danach war ich traumatisiert, das war so richtig schmuddelig“, erinnert sie sich. Auch in ihrem ersten Swingerclub habe es ihr nicht gefallen. Und doch war da ein Reiz - und sie entdeckte das Steinenhaus für sich. Und ging den Weg fortan allein.
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Denn: „Man kann da auch als Frau allein hingehen“, betont sie und unterstreicht: „Es ist dort sicherer als in der Disko oder auf dem Oktoberfest“. Dort hat sie Erfahrungen machen müssen: „Als Frau bist du auf dem Oktoberfest Freiwild. Man wird angegrapscht und in den Arm genommen. Ich wollte das vorher nicht glauben“, sagt TausendMalDu. Sie sei nicht prüde, betont sie: „Aber ich will respektiert werden“. Sexy sein, ohne dass Mann direkt denke, man könne die Frau einfach flachlegen.
Überwachung für die Sicherheit der Gäste
Und genau das erfahren beide im Swingerclub. Denn im Steinenhaus gebe es überall Videoüberwachung. Das Personal passe ebenfalls genau auf. Offen stehende Getränke werden sofort abgeräumt. Angst vor K.O.-Tropfen muss man hier, im Gegensatz zu mancher Disko, nicht haben.
Frauen seien hier in der Regel in der Unterzahl, wissen die 39- und 53-Jährige. Aber als Frau könne man sich fallenlassen. Ein plumpes Angraben und Belagern der Frauen gebe es im Club nicht. „Die Männer reglementieren sich untereinander und werden notfalls auch zurechtgewiesen. Die Frauen sind die Königinnen im Club. Es ist kein Bordell, wo Frauen ausgebeutet werden“, sagt TausendMalDu, die übrigens ihren aktuellen Partner auch im Swingerclub kennen und lieben gelernt hat.
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Bio84 macht deutlich, was das Besondere im Swingerclub und im Steinenhaus im Speziellen sei: „Die Männer könnten ja auch in den Puff gehen, wenn sie eine schnelle Nummer wollen. Aber sie zahlen viel Geld pro Abend, denn sie wollen mehr, die Lust der Frau spüren.“ In der Tat ist der Eintritt für Männer deutlich teuerer als für Frauen. Während sie zwischen 10 und 30 Euro zahlt für Aufenthalt inklusive Getränken, Essen, Whirlpool etc., legt er schnell mehr als 100 Euro am Abend auf den Tisch.
Auch die 39-Jährige hat über ihren Ex-Mann den Weg zum Swingen gefunden. „Ich war schockiert, aber auch fasziniert“, erinnert sie sich heute. In ihren Beziehungen habe sie sich nie wirklich frei gefühlt. Die Erfahrungen im Club änderten das. Das Steinenhaus sei dabei die erste Adresse gewesen, wo sie auch allein hingegangen sei.
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Beiden Frauen ist wichtig, dass es im Swingerclub keine Rolle spiele, wie jemand aussieht oder wie alt er oder sie ist. „Hier kann jede Frau eine selbstbestimmte Art von Sexualität eintdecken. Jeder Topf findet hier einen Deckel“, sagt TausendMalDu. Sie will vor allem auch Frauen ihres Alters ermutigen. „Frauen in meinem Alter sind oft unsichtbar. Sie werden nicht gesehen, haben ihre Aufgabe im Leben und ziehen sich zurück.“ Auch Bio84 beobachtet: „Die Gesellschaft ist prüder geworden. Es wird sehr wenig über Sex gesprochen. Gerade die sexuelle Lust der Frauen wird totgeschwiegen.“
„Man hört nie: ‚Du bist hässlich‘, es ist ein respektvoller Umgang.““
Beide finden, die Gesellschaft müsste wieder offener und freier werden. Das hilft auch dem Selbstbewusstsein. Vermeintliche körperliche Defizite spielten zum Beispiel im Swingerclub keine Rolle. „Man hört nie: ‚Du bist hässlich‘, es ist ein respektvoller Umgang und man merkt: Groß, klein, dick, dünn - alles ist normal.“
Kampf um das Steinenhaus
Auch deshalb kämpfen sie für ihr Steinenhaus. Doch obwohl knapp 800 Menschen eine Online-Petition zum Erhalt des Clubs unterzeichnet haben, sieht es nicht gut aus. Die derzeitigen Eigentümer wollen den Club aus Alters- und Gesundheitsgründen abgeben. Schon vor zwei Jahren inserierten sie ihn online.
In dieser Woche soll in Hattingen im Haupt- und Finanzausschuss die Entscheidung fallen, den Club zu kaufen und zu einer Flüchtlingsunterkunft umzubauen. Eigentümer und Stadt sind sich offenbar einig. Die Swinger hoffen bis zuletzt, dass sich ein Käufer findet, der den Club weiter betreiben wird und dass die Stadt das ermöglicht.