Gelsenkirchen. Jahrelang stieg die Zahl der Menschen aus Südosteuropa, die nach Gelsenkirchen kamen, an. Doch dieser Trend scheint vorerst einmal gestoppt.

  • Das EU-Interventionsteam kontrolliert regelmäßig Schrotthäuser in Gelsenkirchen und macht oft schlimme Entdeckungen.
  • Oft finden die Kontrollen in Problemvierteln statt, die von armen Menschen aus Südosteuropa bewohnt werden.
  • Die Zahlen sind weiterhin hoch, aber beim Zu- und Wegzug der Rumänen und Bulgaren ist mittlerweile ein Trend erkennbar.
  • Aus Sicht der Stadt hat das auch mit der Abschreckung durch das EU-Interventionsteam zu tun.

Dass der soziale Frieden in Gelsenkirchen gefährdet ist, das ist eine Diagnose, die man mittlerweile von den verschiedensten politischen Adressen in der Stadt hört. Mit den viel beachteten, zweimal im Monat stattfindenden Schrotthaus-Kontrollen des Interventionsteams EU-Ost will die Stadt jedoch nicht nur Handlungsfähigkeit in Problemvierteln demonstrieren, sie sieht mittlerweile auch Auswirkungen auf die Migration aus Südosteuropa: „Ich gehe im Ergebnis davon aus, dass unsere Strategie aufgeht“, sagte Marcel Günther, Teamleiter beim Innen- und Lagedienst der Stadt. Gelsenkirchen sei „nicht mehr die erstbeste Adresse“ für skrupellose Vermieter und Menschen aus Rumänien und Bulgarien, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind.

Südosteuropa-Migration nach Gelsenkirchen: Das zeigen die Zahlen

Tatsächlich lässt sich mit Blick auf die Zu- und Wegzüge von rumänischen und bulgarischen Staatsbürgern mittlerweile ein Trend feststellen. Zwar können sich die Zahlen noch ändern, da einige Fälle laut Stadt erst später verarbeitet werden, nach aktuellem Stand zeigt sich jedoch, dass 2024 insgesamt 2066 Zuzüge aus den beiden südosteuropäischen EU-Staaten zu verzeichnen waren. Sollte die Zahl durch die Nachmeldungen nicht noch deutlich nach oben korrigiert werden müssen, dann wäre der niedrigste Wert seit Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor über zehn Jahren.

Es kommen zwar insgesamt immer noch deutlich mehr Menschen als wegziehen, aber die vorläufige Zahl der Wegzüge lag 2024 bei 892. Das wäre nach einer kontinuierlichen Steigerung der Abmeldungen seit 2020 ebenfalls der höchste Wert, seitdem sich Rumänen und Bulgaren komplett frei in der EU bewegen können.

Diese Entwicklung bei der Zuwanderung führt die Stadt auch auf die Kontrollen des Interventionsteams zurück, das mittlerweile seit zehn Jahren unterwegs ist. Seit den ersten Schrotthaus-Begehungen der ressortübergreifenden Einsatztruppe, bei der u.a. Polizei, Ordnungsamt, Jobcenter, Wohnungsaufsicht, Stromversorger und Sozialarbeiter mit dabei sind, wurden mittlerweile knapp 13.000 Maßnahmen registriert.

Gesamtzahl der Rumänen und Bulgaren

Insgesamt leben derzeit 4701 Bulgaren (12 weniger als 2023) und 7698 Rumänen (442 mehr als 2023) in Gelsenkirchen. Damit ist die Neu-Zuwanderung aus Südosteuropa mittlerweile vor allem ein rumänisches Phänomen.

Marcel Günther von der Stadt führte die weiterhin deutlich gestiegene Zahl bei den Rumänen auch auf die Geburtenrate in den zugezogenen Familien zurück.

Zusammengefasst werden damit alle Verstöße, die bei den Kontrollen auffallen, und alle Verfahren, die danach in die Wege geleitet werden. Inbegriffen sind also alle Stromzähler, die wegen nicht gezahlter Rechnungen gesperrt werden, alle unangemeldeten Fahrzeuge, die vor den Schrotthäusern auf öffentlichem Raum geparkt werden, alle Leistungsmissbräuche, die anschließend vom Jobcenter geprüft werden und auch alle Verfahren gegen die Bauordnung, die wegen illegaler, nicht genehmigter Anbauten in die Wege geleitet werden. Und das sind nur einige der typischen Missstände, die in den Bilanzen stehen.

Weniger Schrotthaus-Kontrollen in Gelsenkirchen wegen der Fußball-EM

2024 wurden 506 Wohneinheiten kontrolliert, fast 100 weniger als im Jahr zuvor. Die Austragung der Fußball-EM habe das Personal von Ordnungsdienst und Polizei so sehr gefordert, dass man insgesamt weniger Anschriften aufsuchen konnte, erläutert man bei der Stadtverwaltung. Präsentiert wurden die Zahlen auf Antrag der CDU-Fraktion.

Am häufigsten wurden 2024 wieder Anmeldungen von Amtswegen (606) bei den Kontrollen durchgeführt. Dahinter steckt häufig Sozialleistungsbetrug von Menschen, die nicht mehr in Gelsenkirchen wohnen, aber weiterhin Leistungen kassieren. „Es geht dabei aber nicht nur um Großfamilien, die sich ins Ausland abgesetzt haben“, erläuterte Marcel Günther von der Stadt im vergangenen Ordnungsausschuss. „Es geht auch um Überzahlungen wegen nicht mitgeteilten Änderungen der Lebensverhältnisse.“ Bedeuten kann das etwa, dass sich eine Bedarfsgemeinschaft vergrößert oder verkleinert hat, das dem Jobcenter aber nicht mitgeteilt wurde.

Am zweithäufigsten kam es 2024 im Rahmen der Kontrollen zu Verkehrsverwarnungen (488), 404-Mal wurden Verlustfeststellung der EU-Freizügigkeit geprüft. Rumänen und Bulgaren kommen als EU-Bürger über die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Gelsenkirchen. Bei den Verluststellungen geht es um die Frage, ob sie diese Freizügigkeit missbrauchen, etwa, indem sie Sozialleistung beziehen, ohne sich aktiv um Arbeit zu bemühen.

„Unseriöse Problemvermieter nehmen in Kauf, dass ein gesamtes Quartier in Schieflage gerät“

Günther brachte bei der Vorstellung der Zahlen abermals auf den Punkt, welches System hinter dieser Großproblemlage steckt: „Unseriöse Problemvermieter sind die treibende Kraft in diesem gesamten Prozess. Viele erwerben günstigen Wohnraum, verdienen sich mit den Ärmsten der Armen, auch refinanziert über Steuergelder, eine goldene Nase und nehmen in Kauf, dass ein gesamtes Quartier in Schieflage gerät.“

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Dass man auch auf diesen Schlag von Vermietern wirksamen Druck ausgeübt habe, zeige sich an den heutigen Zuständen der Immobilien: „Das Ausmaß von prekärem Wohnraum befindet sich am absteigenden Ast. Die Unbewohnbarkeit ist mittlerweile eher die Ausnahme als die Regel“, berichtete Günther. Im Ergebnis sei es schwieriger als früher, Objekte auszumachen, in denen Missstände erwartet werden. Zwei der in den vergangenen Jahren am häufigsten kontrollierten Straßenzüge (Florastraße, Robergstraße) seien mittlerweile beispielsweise „relativ unauffällig.“

Schrottimmobilien bleiben „Pull-Faktor Nummer eins“ für Armutsmigration

Die Einsätze des Interventionsteams hätten also in vielen Quartieren, vor allem in den im Mittelpunkt stehenden Stadtteilen Bismarck, Schalke und Ückendorf, einen Teil „zur Steigerung der Aufenthaltsqualität und zur Befriedung beigetragen.“ Aber Illusionen, so Günther, dürfe man sich hier auch nicht machen: „Die Reduzierung von Schrottimmobilien bleibt eine langfristige Aufgabe. Wir haben noch 9000 Wohnungen im dysfunktionalen Zustand, das ist der Pull-Faktor Nummer eins für Armutsmigration in diese Stadt.“

Dieser Text ist erstmalig am 31. Januar 2025 erschienen.