Gelsenkirchen. In Schalke und Erle werden Frauen getötet, in Polsum kann sich eine Frau schwer verletzt noch retten. Im Erler Fall gibt es einen Verdächtigen.

Zwei vollzogene und ein versuchter Femizid – allein in diesem Sommer – erschüttern Gelsenkirchen. Im jüngsten Fall, beim Tod einer 36-Jährigen im Stadtteil Erle, haben Polizei und die zuständige Staatsanwaltschaft in Essen nun erneut Zeugen aufgerufen, sich bei den Behörden zu melden und Angaben zu „einer männlichen Person“ zu machen, die in Tatortnähe „durch verdächtiges oder unübliches Verhalten auffällig“ geworden ist.

Zuvor war im Morgengrauen am Dienstag, 13. August, ein Notruf bei der Polizei eingegangen. Es gab Hinweise auf eine schwer verletzte Frau an der Baldurstraße. Doch die Rettungskräfte konnten vor Ort nur noch den Tod der 36-jährigen Frau feststellen. Sie wurde erstochen. Einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge war die Frau frühmorgens aus dem Mehrfamilienhaus gegangen. Weil sie nicht zurückkam, habe ihr Freund nach ihr gesehen und sie dann blutüberströmt im Zwischengang zum Hinterhof gefunden. Polizei und Staatsanwaltschaft halten sich dazu bisher bedeckt.

Fakt ist, dass noch am Dienstag der ehemalige Partner der getöteten Gelsenkirchenerin festgenommen wurde. Am Mittwoch wurde der 38-jährige Deutsche aus Herne einem Haftrichter vorgeführt, der einen Untersuchungshaftbefehl erließ. Aussagen zum möglichen Motiv und zum Tathergang, machen die Behörden mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht.

Zwei weitere Taten in Gelsenkirchen - allein im Sommer 2024

Nur zwei Tage zuvor wurde eine 35-jährige Frau in Polsum bei einem Streit von ihrem 29-jährigen Partner schwer verletzt. Der Mann habe versucht, sie zu töten, berichtete die Polizei. Doch der 35-Jährigen gelang die Flucht aus der Wohnung, wo Passanten auf sie aufmerksam wurden. Die Frau ist schwer verletzt, aber nicht in Lebensgefahr.

Mitte Juli wurde in Schalke eine junge Mutter mutmaßlich von ihrem Mann niedergestochen und getötet. Der dringend tatverdächtige Ehemann ist zunächst geflüchtet, wurde aber wenig später in Belgien festgenommen. Die drei traumatisierten Kinder sind seither in der Obhut des Gelsenkirchener Jugendamtes.

Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners

Jeden Tag gibt es in Deutschland einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Und dabei bleibt Gewalt von Männern gegen Frauen oft verborgen. Viele Frauen haben Angst, zur Polizei zu gehen - weil sie fürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird, berichten Experten. Die Dunkelziffer vermisster und schwer verletzter Frauen kennt niemand.

Bis heute ist auch der Fall der früheren Gelsenkirchener Polizistin, Annette Lindemann, ungeklärt. Im Frühsommer 2010 verschwand die ehemalige Polizistin aus Gelsenkirchen spurlos von einem auf den anderen Tag. Obwohl es keine eindeutigen Beweise gibt, sind sich die Ermittler sicher: Annette Lindemann ist tot, wurde umgebracht in ihrem Schlafzimmer, von ihrem Ehemann, dem früheren Polizeibeamten Dirk L.. Der Fall wurde zuletzt in der TV-Sendung XY-Ungelöst erneut aufgerollt, den Hinweisen, die danach eingegangen sind, gehen die Ermittler nun nach.

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Gelsenkirchen gehört laut Gleichstellungsatlas der Landesregierung zu den Städten in Nordrhein-Westfalen mit dem höchsten Gefährdungspotenzial für Frauen, Opfer von häuslicher Gewalt zu werden. Im Jahr 2023 gab es laut der Polizeikriminalstatistik in Gelsenkirchen 1273 Fälle häuslicher Gewalt, darunter drei „Straftaten gegen das Leben“ - also unter anderem Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung. Auch wenn die Gesamtzahl im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken ist, ist sie weiterhin hoch. In 75 Prozent der Fälle waren Frauen Opfer.

Nicht von ungefähr kommt es daher, dass am 15. März die Türen eines zweiten Frauenhauses für Gelsenkirchen geöffnet und damit dringend benötigte Schutzplätze für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder geschaffen wurde. „Damit leisten wir nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Frauen und Kindern vor geschlechtsspezifischer Gewalt für die Stadt Gelsenkirchen, sondern auch für die Region und ich bin stolz darauf, dass Gelsenkirchen als erste Kommune seit 30 Jahren innerhalb Nordrhein-Westfalens ein weiteres Frauenhaus eröffnet“, erklärte Oberbürgermeisterin Karin Welge.

Zusätzlich zu den Frauenhäusern verfügt die Stadt Gelsenkirchen noch über weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden. Die Kommunen arbeiten städte- und auch länderübergreifend zusammen.

Anlaufstellen in Gelsenkirchen:

MannoG - Mann ohne Gewalt, Tätertrainings, die Brücke Dortmund e.V.: Fachstelle Gelsenkirchen:
Dickampstraße 12, Telefon: 0231 317 310 80, mannog@die-bruecke-dortmund.de
Frauenberatungsstelle der AWO:
Robert-Koch-Straße 18, frauenberatungsstelle.gelsenkirchen@awo-gelsenkirchen.de, Telefon: 0209 36 16 36 -91
Frauenhaus Gelsenkirchen: 0209 201100
Weisser Ring Gelsenkirchen-Bottrop: 0151/55164686
Hilfetelefon gegen Gewalt, Tag und Nacht erreichbar in 18 verschiedenen Sprachen: 116 016

Gewalt in Partnerschaften, so haben es Kriminologen erforscht, passiert in allen Schichten, egal, ob arm oder reich, Stadt oder Land, in jedem Alter. Immer geht es darum, dass Macht in einer Beziehung missbraucht wird – selten durch die Frau, sehr häufig durch den Mann. Er spricht ihr das Recht auf eigene Entscheidungen, am Ende das Recht auf ein eigenes Leben, ab. Weil sie eine Frau ist. Eine Beziehung setzen Täter mit „Besitz“ gleich. Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass Frauen viel besser geschützt werden müssen. „In der Gewalt gegen Frauen und Mädchen spiegelt sich die zunehmende Gewalt in der ganzen Gesellschaft“, sagte Christina Garberding, Vorstandsmitglied im Dachverband der 51 autonomen Frauenberatungsstellen NRW.