Gelsenkirchen. Knapp 1100 Menschen haben in Gelsenkirchen 2023 an einem Integrationskurs teilgenommen. Könnten es mehr sein? Was sich dazu verändern müsste.
Sprache ist der Schlüssel zur Integration – das ist die Binse der Migrationsdebatte. Und in Gelsenkirchen, wo 70.300 der Einwohner einen ausländischen Pass haben, wo Statistiken immer wieder zeigen, wie wenig Menschen ausreichende Deutschkenntnisse haben, da bekommt diese Binse eine besondere Relevanz. Nur wie lernen Menschen, die nach Gelsenkirchen kommen, überhaupt Deutsch, wenn nicht gerade als Kinder in Schulen? Wie viele erwachsene Menschen werden in Integrationskursen geschult? Und könnte es besser, schneller, effektiver gehen?
Die Grundlagen, dass die Menschen, die neu nach Deutschland einwandern, so früh und umfassend wie möglich Deutsch lernen, hat das 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz geschaffen. Damit ist erstmals eine bundesgesetzliche Verantwortung für Integrationskurse definiert worden. Diese bestehen aus einem Sprachkurs (in der Regel 600 Unterrichtsstunden) und einem Orientierungskurs (100 Stunden), in dem die Zuwanderer über Recht, Kultur und Geschichte Deutschlands informiert werden.
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Der Aufenthaltsstatus eines Zugewanderten entscheidet darüber, ob dieser Anspruch auf einen Integrationskurs hat und die Kosten übernommen werden. Die große Gruppe der rumänischen und bulgarischen Migranten in Gelsenkirchen können auch einen Antrag stellen, in der Regel ist ein Integrationskurs für EU-Bürger aber nicht vorgesehen. Auch Asylsuchende im laufenden Verfahren sind in der Regel ausgeschlossen, es sei denn, es gibt eine positive Aussicht auf Anerkennung oder eine Duldung.
So viele Menschen haben in Gelsenkirchen Integrationskurse abgeschlossen
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beauftragt private und öffentliche Träger mit der Durchführung von Integrations- und Berufssprachkursen. Laut BAMF-Statistik wurden im vergangenen Jahr 55 Integrationskurse in Gelsenkirchen gestartet, 46 von ihnen abgeschlossen. Insgesamt gab es 1882 Menschen in Gelsenkirchen, die eine Teilnahmeberechtigung erhalten haben. Wer keine Berechtigung erhält, kann niedrigschwellige Sprachkurse nutzen, die zum Beispiel von zahlreichen Anbietern in Gelsenkirchen ehrenamtlich angeboten werden – oder man muss den Kurs selbst zahlen. 1083 Menschen (Wiederholer nicht mitgezählt) haben 2023 tatsächlich an einem Kurs teilgenommen.
Diese Zahl ist immerhin fast doppelt so hoch wie die Zahl der Geflüchteten, die der Stadt im Jahr 2023 neu zugewiesen wurden. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass jeder Neuankömmling gleich einen Integrationskurs bekommt, sondern es eher Menschen sind, die schon länger in Deutschland sind. „Es gibt in Gelsenkirchen zum Beispiel viel zu wenig Plätze mit Betreuungsangebot für Kinder“, nennt Katharina Küsgen, Fachbereichsleitung „Interkulturelles Zusammenleben“ bei der Diakonie einen Grund dafür. „Wenn die Kinder noch zu klein sind, müssen sie mit zum Sprachkurs genommen werden.“ Sie habe kürzlich eine Frau mit Kind betreut, die neun Monate gebraucht hat, um einen Platz im Integrationskurs mit Kinderbetreuung zu bekommen.
„Man kommt in Gelsenkirchen weit mit der Heimatsprache“
Ähnliches berichtet Uwe Gerwin, Leiter des städtischen Integrationsreferats. „Es gibt lediglich drei Anbieter in Gelsenkirchen, die einen Kurs mit Kinderbetreuung in Gelsenkirchen anbieten“, sagt er. Ein Problem sei es, die Auflagen für einen Kurs mit Kinderbetreuung zu erfüllen und diesen entsprechend refinanziert zu bekommen. Die Räumlichkeiten müssten als „kindgerecht“ abgenommen werden, betreuendes Personal müsste entsprechende Voraussetzungen erfüllen. Inhaltlich sei das zwar logisch, insgesamt seien die Regelungen jedoch „zu starr“.
Die BAMF-zertifizierten Kurse sind der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Für die meisten Teilnehmer steht am Ende das B1-Sprachzertifikat, das Grundvoraussetzung für die meisten Jobs in Deutschland ist. 90,9 Prozent der fast 255.000 Prüfungsteilnehmer, die es 2023 in Deutschland gab, konnten das Niveau auch erreichen. Allerdings warnt Gerwin davor, den Abschluss des Kurses als „alleinigen Heilsbringer“ für die Integration in Deutschland zu bezeichnen. „Es ist vielmehr ein Mosaik-Stein“, sagt er. „Zur Integration gehört viel mehr, von der Betreuung der Kinder in der Kita bis zur Unterhaltung mit dem Nachbarn.“ Und ein Problem sei, dass manche Teilnehmer nach dem absolvierten Kurs „keinen Trainingsraum“ mehr hätten.
Die Stadt tue zwar eigentlich viel dafür, dass sich die Menschen aus dem Ausland nicht nur in ihre eigenen „Blasen“ aufhalten – „von Krabbelgruppen in Moscheevereinen über die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten bis zu direkten Anlaufstellen im Quartier – jedoch sei es nun auch einmal eine Tatsache, „dass viele Menschen aus dem Ausland mit ihrer Heimatsprache in Gelsenkirchen sehr weit kommen.“ Dass sie sich in ihrem eigenen soziokulturellen Umfeld bewegten, sei zwar nachvollziehbar, aber nun einmal eine Herausforderung.
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Eine weitere Herausforderung ist, dass viele Migrantinnen und Migranten, die vor allem seit 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, in ihrem Heimatland keine Schule besucht und nie lesen und schreiben gelernt haben. „Auch hier in Gelsenkirchen müssen viele Menschen einen Alphabetisierungskurs belegen“, sagt Katharina Küsgen von der Diakonie. Das könne sich dann Jahre hinziehen, bis sie das Deutsche so beherrschen, dass sie in den Arbeitsmarkt einsteigen können. Im Schnitt könne man sagen, dass ein geflüchteter Mensch etwa zwei Jahre braucht, bis die Deutschkenntnisse ausreichend sind, um in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, schätzt Küsgen.
Schwierig sei zudem, dass die Stadt Gelsenkirchen „keine Zügel in der Hand hält“, wenn es um die Integrationskurse geht, formuliert es Integrationschef Uwe Gerwin. „Das BAMF sitzt weit weg in Bielefeld. Die Sprachkursträger verhandeln direkt mit Bielefeld und die Zuweisung der Kurse erfolgt über das Jobcenter.“ Die Stadt selbst könne bei dieser Struktur „nur Bitte und Danke sagen“. Hilfreich wäre aus Gerwins Sicht eine Art BAMF-Service-Center in Gelsenkirchen, wo Menschen direkt einen Deutschtest machen könnten, um ihren Bedarf zu prüfen, wo man sie direkt an einen passenden Bildungsträger vermitteln könnte. „Bedarfe und Angebote mehr zusammenführen“, nennt das Gerwin – um die Zeit zu verkürzen, in der Leute auf eine Kursteilnahme warten. „Denn das“, sagt er, „ist oft eine tote Zeit.“