Gelsenkirchen. Die Flüchtlingshilfe hat „existenzielle“ Aufgaben – und ist chronisch unterfinanziert. In Schalke-Nord gibt’s 3 Mitarbeiter für tausende Menschen
Ob Hausaufgabenbetreuung, Sprachkurse oder die Einführung in die Mülltrennung: In den Gelsenkirchener Flüchtlingsunterkünften bekommen die Menschen „das Rundum-Paket“, wie es Ina Geldermann, Leiterin des städtischen Sozialreferates, nennt. „Die Träger leisten hier ganz viel Integrationsarbeit“, sagt sie, die Bewohner könnten sich den Angeboten „quasi nicht entziehen.“ Anders sieht es aus, sobald der Auszug aus der Unterkunft ansteht. Dann sind die Menschen im Wesentlichen auf sich allein gestellt. Integration? Die findet vornehmlich an Stellen statt, die chronisch unterfinanziert sind.
Die Stadt Gelsenkirchen bringt Asylbewerber nach dem Grundsatz der dezentralen Verteilung unter. Das heißt: 70 Prozent der Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, leben in Privatwohnungen, nicht in Sammelunterkünften. Integrationsangebote in ihrem Viertel erhalten sie nach dem Auszug aus den Unterkünften von der „Flüchtlingshilfe im Quartier“, die von den Wohlfahrtsverbänden getragen wird. In Gelsenkirchen ist klar festgelegt, welcher Verband sich wo um die Menschen kümmert (siehe Karte).
In Schalke-Nord ist es zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das hier an der Kurt-Schumacher-Straße, am „Stadtteiltreff Henry’s“, „im Prinzip für alles zuständig ist“, wie es Michael Mrowietz, Leiter der dortigen Flüchtlingshilfe, formuliert. Während er ein Interview gibt, bekommt er die hohe Stromnachzahlung einer Ukrainerin in die Hand gedrückt – der Verbrauch ist irrsinnig hoch, es gilt herauszufinden, woran es gelegen hat. Neben der Alltagshilfe gibt es ein Sozialcafé, Kinderprogramm, Deutschkurse, vieles mehr.
Flüchtlingshilfe im Quartier: „Wir sind dafür da, dass man Teil der Gesellschaft wird“
Zusammenfassend kann man sagen, die Flüchtlingshilfe ist dafür da, dass sich keine Parallelgesellschaften bilden, die Menschen also nicht nach dem Auszug aus der Flüchtlingsunterkunft in ihrem Milieu, unter den Landsmännern- und frauen bleiben, die sie in ihrer Unterkunft kennengelernt haben. „Wir sind dafür da, dass man Teil der Gesellschaft wird, dass man an ihr teilnimmt“, formuliert es Mrowietz. Man wolle ja eben nicht die Fehler machen, wie damals bei der Gastarbeiter-Generation. „Es geht darum, dass die Leute sich vernetzen und die Interaktion losgeht.“
Auch Ina Geldermann vom Referat Soziales sagt daher: „Diese Arbeit ist existenziell wichtig.“ Insbesondere für die Integration der Erwachsenen, die eben nicht wie die Kinder täglich verpflichtend zur Schule gehen, dort ihre Kontakte knüpfen. Wer zum „Henry’s“ kommt, der kommt freiwillig. „Wir müssen den Leuten erklären, dass das hier kostenlos, niederschwellig, ohne Zwang ist“, sagt Mrowietz. Dies dem potenziellen Adressatenkreis zu vermitteln, sei bereits eine große Herausforderung.
Und dieser ist sehr groß: Das DRK in Schalke-Nord kommt nach eigenen Angaben auf über 5000 Menschen, die hier im Stadtteil von der Flüchtlingshilfe angesprochen werden könnten. Es geht nicht nur um Asylbewerber, auch um Rumänen und Bulgaren, Menschen, die auf anderem Weg eingewandert sind – die „Flüchtlingshilfe“ soll deswegen künftig unter dem Namen „Gemeinsam im Quartier“ laufen.
Für diesen großen Kreis an Menschen stehen nicht mehr als drei Vollzeit-Sozialbetreuer zur Verfügung sowie Mrowietz’ Leitungsstelle. Aber er tanzt auf unzähligen Hochzeiten; muss derzeit vertretungsweise die Leitung der Notunterkunft an der ehemaligen Mehringschule übernehmen, in der vor allem Ukrainer untergebracht sind.
„Man wird also sicher nicht alle Menschen mit unseren Maßnahmen erreichen können“, betont Mrowietz, „dafür ist die Zielgruppe viel zu groß.“ Verdoppeln könne man die Personalstärke locker, sagt er. „Und man hätte immer noch eine Vollzeitstelle zu wenig.“
Weitere vier DRK-Sozialarbeiter im „Case Management“ kümmern sich laut Mrowietz um ganz intensive Fälle – zum Beispiel um Frauen mit problematischen Schwangerschaften, Menschen mit schweren Behinderungen oder welche, die in ihrem Heimatland eine Krebsbehandlung begonnen haben, die jetzt fortgesetzt werden muss. Es sind Fälle, die quasi eine Eins-zu-eins-Betreuung benötigen.
Integrationsprojekte in Gelsenkirchen: Soziale Träger müssen oft selbst Geld aufbringen
Im Kern sind es deshalb jene drei Sozialbetreuer – und ehrenamtliche Unterstützer, darunter viele frühere Geflüchtete – die das Alltagsgeschäft der Flüchtlingshilfe in Schalke-Nord gestalten. Hinzukommt das Grundproblem vieler sozialer Träger: Ihre Aufgaben werden größtenteils projektbasiert finanziert. Es müssen also immer wieder Anträge für die Integrationsprogramme geschrieben werden, immer wieder neue Finanztöpfe gesucht werden. „Es wäre schön, freier auf die Geldmittel zugreifen zu können“, sagt Mrowietz. „Aber noch besser wäre, wenn die Mittel überhaupt reichen würden.“
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Denn obwohl die Flüchtlingshilfe eine so „existenzielle“ Aufgabe für die Integration übernimmt: Viele Fördertöpfe seien nicht mal kostendeckend, bedauert Mrowietz. Nicht selten sei ein Eigenanteil von zehn bis 20 Prozent, den das DRK dann selbst stemmen müsse, „über Spenden zum Beispiel, oder über einen Dritten, wenn man das Glück hat und einen Geldgeber findet.“
Mrowietz sagt dies, als in den regionalen Nachrichten, auch in der WAZ, gerade Auseinandersetzungen zwischen syrischen und libanesischen Clans die Schlagzeilen bestimmen. „Wenn ich Leute auffange, wenn ich mich mit ihnen auseinandersetze“, sagt er, „dann ist die Wahrscheinlichkeit mit Sicherheit viel geringer, dass sich irgendjemand kriminellen Gruppen anschließt.“