Gelsenkirchen. Kuriose Geschichten, sonderbare Begegnungen - und ganz viel Zauber: Vor dem EM-Finale blicken wir auf die besten Momente in Gelsenkirchen zurück.
Mit dem großen Finale zwischen Turnierfavorit Spanien und den in der K.-o.-Runde plötzlich erstarkten Engländern geht am Sonntag die Fußball-EM in Deutschland zu Ende. Millionen Besucher aus aller Welt reisten in den vergangenen vier Wochen quer durch die Republik, lernten Land, Leute und Stadien kennen. So auch in Gelsenkirchen! Für uns WAZ-Reporter war dies ebenfalls eine besondere Zeit. Wir wollen anlässlich des Endspiels noch einmal zurückblicken - und Ihnen unsere ganz persönlichen EM-Momente präsentieren. In Erinnerung an ein schon jetzt unvergessliches Turnier.
Als der Fußballgott einen Regenbogen über Gelsenkirchen zauberte
Das waren unsere bewegendsten EM-Momente in Gelsenkirchen
Oje, wie soll ich denn bitteschön diese wunderschönen Spieltage hier bei uns in Gelsenkirchen auf nur einen einzigen Moment reduzieren?!? Ich könnte Ihnen Hunderte schildern. Und sie alle wären erzählenswert! Etwa vom Abend des Eröffnungsspiels zwischen Deutschland und Schottland, als es in der Fanzone am Nordsternplatz plötzlich brannte, weil ein Fan in einem Toilettenwagen gezündelt hatte. Oder von einer Vater-Sohn-Kombination, die extra aus Minneapolis in den USA nach Gelsenkirchen geflogen war, um die englische Nationalelf im Achtelfinale gegen die Slowakei zu unterstützen. Und der Vater unternahm diese Strapaze sogar trotz eines angebrochenen Knöchels, den er dank eines Spezialschuhs stabilisierte.
Apropos England: Die „Three Lions“ waren ja gleich zweimal in Gelsenkirchen zu Gast. Sie brachen nach massiven Rückreise-Problemen nach dem ersten Match gegen Serbien eine Diskussion über die Schwächen des deutschen Zug- und Straßenbahnverkehrs vom Zaun, die weltweit Schlagzeilen machte. Mein persönlicher England-Moment dieses Turniers wird aber das Public Viewing auf der Trabrennbahn bleiben. Denn dort zauberte der Wettergott mithilfe eines wunderschönen Sonnenuntergangs und eines sich dazu gesellenden Unwetters plötzlich einen Regenbogen an den Himmel. Kurz zuvor hatte Jude Bellingham für die Briten ein Traum-Tor erzielt. Ich weiß bis heute nicht genau, was von beidem ich nun schöner fand. Doch beides wird mir auf ewig in Erinnerung bleiben. Thomas Richter
Georgier begeistern mit Tanz und Musik – und ein Selfie mit Ed Sheeran
Es fällt mir nicht immer leicht, aber ich liebe Gelsenkirchen! Und ich weiß, dass es vielen Menschen in unserer Stadt ebenso geht, die gerade deshalb gelegentlich hart mit ihr ins Gericht gehen, die aber mit Tatendrang und Witz zur Stelle sind, wenn es darauf ankommt. Wie etwa als Gelsenkirchen gleich zum Beginn der EM ein Marketing-Desaster drohte (#shithole). Wie den meisten Gelsenkirchenern sicher auch, geht mir deshalb das Herz auf, wenn ich auf unseren Plätzen, Cafés und Restaurants fröhliche Menschen aus allerlei Ländern das Leben feiern sehe.
Nach dem verstolperten Start in die EM ist das Turnier aber auch in unserer Stadt noch das gewünschte Fest der Begegnungen geworden, wenn auch insgesamt etwas kleiner als erhofft. Am meisten imponiert haben mir dabei die Georgier, deren Mannschaft heroisch gekämpft hat und deren Fans auf dem Heinrich-König-Platz mit Tanz und Musik begeisterten. Natürlich haben auch die Engländer großen Spaß gemacht – wohlgemerkt die Fans und weniger der Fußball der Three Lions, während leider nicht so viele Anhänger der anderen Mannschaften, die in Gelsenkirchen gespielt haben, auch in der Stadt gefeiert haben. Unterm Strich bleiben aber trotzdem zwei anekdotenreiche Wochen. Die vielleicht lustigste hat uns dabei Bezirksbürgermeister Dominic Schneider beschert, der in der Arena einen Rotschopf bat, ein Foto von ihm und dem früheren englischen Top-Spieler Rio Ferdinand zu machen. Der englische Fan mit den roten Haaren tat wie ihm geheißen, drängte sich mit ins Bild, und so bekam Schneider ein Foto mit Ferdinand und Megastar Ed Sheeran. Sinan Sat
300 Euro für eine Taxifahrt zum Stadion?
Das „Sommermärchen“ 2006 habe ich in Gelsenkirchen leider verpasst – umso gespannter war ich jetzt auf die EM. Ganz so sommerlich wie vor 18 Jahren war das Wetter bekanntlich nicht, aber beeindruckende Bilder gab es trotzdem: Deutlich in Erinnerung bleibt mit der Fanmarsch der portugiesischen Fans, die vor ihrem Spiel gegen Georgien den ganzen Tag auf dem Buerschen Marktplatz gefeiert hatten und sich dann gemeinsam auf den Weg zur Arena machten.
Doch die kurioseste Situation habe ich am ersten Gelsenkirchener Spieltag erlebt. Die Partie hieß England gegen Serbien, und für uns als Redaktion hieß das, dass wir mit vielen Kolleginnen und Kollegen in der Stadt unterwegs waren. An diesem Sonntag war das Wetter herzlich schlecht, und gegen 18 Uhr rief die Kollegin an, die auf der Trabrennbahn im Einsatz war: Sie sei komplett nass, würde gern in die Redaktion kommen – aber es fuhren gerade weder Busse noch Bahnen. Also setzte ich mich ins Auto, fuhr Richtung Trabrennbahn bis zur Absperrung und wartete da auf die Kollegin. Und während ich wartete, strömten hunderte englische Fans an mir vorbei, genevt, meist durchnässt bis auf die Haut – und boten mir Unsummen für eine Fahrt zum Stadion an. Bis zu 300 Euro (!) hätte ich verdienen können. Ich lehnte (nicht ohne leises Bedauern) ab, schließlich hatte ich der Kollegin mein Wort gegeben. Als sie dann kam, habe ich zumindest zwei Fans mitgenommen und sie am Musiktheater abgesetzt, dort fuhren die Bahnen Richtung Stadion. Kurz habe ich darüber nachgedacht, mir fürs nächste Spiel einen Kleinbus zu leihen und Taxi zu spielen. Vielleicht mache ich das beim nächsten großen Turnier in Gelsenkirchen. Matthias Heselmann
Currywurst-Pommes für acht Euro? Ist doch ein Schnäppchen!
Mitten unter fröhlich-feiernden Engländern, Spaniern, Italienern, Georgiern oder Portugiesen zu sein - das wird als schöne EM-Erinnerung in meinem Gedächtnis bleiben. Darunter auch der Gänsehautmoment mit Opernsänger Mamuka Manjgaladze auf dem Heinrich-König-Platz. Ich hatte schon fast vergessen, was für ein Sinnesfeuerwerk eine gute Stimme auslösen kann - als der Sänger für seine Landsleute auf die Bühne trat, war klar: Es wird Zeit, wieder ein Live-Konzert zu besuchen. Die georgischen Fans waren übrigens so hin und weg von dem Auftritt des Profis, dass sie ihm glatt ein Ticket für die Partie gegen Portugal schenkten. Die beeindruckende Dankesgeste verdrängte den lange währenden Ärger, den mir das Handy wenige Tage zuvor beschert hatte. Ausgerechnet beim Fan-Marsch der Spanier zeigte das Gerät mir die rote Karte und fror ein. „Shit happens“ - wie der Engländer sagt.
Apropos Engländer. Auf der Domplatte traf ich am Achtfinaltag (England - Slowakei) auf einen Briten aus Birmingham mit seinen beiden Söhnen, die ihrerseits ihre beiden besten Kumpel im Schlepptau hatten. In Essen waren George und die Jungs für die EM abgestiegen. Und zwar für das komplette Turnier. Sage und schreibe neun Partien hatten die fünf Fußball-Fetischisten bis zu dem Zeitpunkt schon gesehen, auch bei der Regenschlacht in Dortmund (Deutschland - Dänemark) waren sie dabei. Gut, das Verkehrschaos zum EM-Auftakt wäre vermeidbar gewesen, schließlich komme „so ein Turnier ebenso überraschend wie Weihnachten“, bewies der Vater feinen britischen Humor im Gespräch. „Aber kommen sie erst mal nach England, nach 22 Uhr fährt bei uns so gut wie kein Bus und keine Bahn mehr“. George graute es schon vor dem kommenden Heimturnier. Die Gastgeberländer für die EM 2028 heißen England, Schottland, Wales, Nordirland und Irland. Stadiontickets, Unterkunft und Verpflegung sowie das Reisen von einem EM-Standort zum nächsten - ist das nicht teuer? „Überhaupt nicht“, sagte George und pikste mit der Holzgabel in die übersichtlich gefüllte Currywurst-Pommes-Schale. „Die Preise in Deutschland sind echt okay, die Portion hat nur acht Euro gekostet.“ Aha, verstehe. Nikos Kimerlis