Essen. Ein Rettungswagen bringt eine Heimbewohnerin zur Klinik gegenüber. Kein Einzelfall: Die Feuerwehr Essen fährt die teure Kurzstrecke jede Woche.
Regelmäßig beklagt sich die Feuerwehr Essen über sogenannte Bagatelleinsätze: Bürger und Bürgerinnen wählten zu oft die 112 für bloße Wehwechen. Umso mehr wundert sich eine Essenerin, dass ihre Mutter mehrfach im Rettungswagen vom Seniorenstift ins Krankenhaus auf der anderen Straßenseite gebracht wurde. Für die Kurzstrecke im Rettungswagen seien einmal 486 Euro fällig gewesen, beim nächsten Einsatz waren es 1035 Euro, weil ein Notarzt dabei war. Die Tochter fragt sich nun, ob man die 98-Jährige nicht einfacher und rascher in die Klinik hätte bringen können: Die sei doch durch einen Verbindungsgang mit dem Heim verbunden.
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Der erste Einsatz fand am 26. März 2024 statt, der nächste am 12. August im selben Jahr. Gestritten wird darüber bis heute. „Bitte reichen Sie diese Unterlagen zur Abrechnung bei Ihrer privaten Krankenkasse ein“, hieß es im ersten Schreiben der Stadt im Namen der Feuerwehr. Als Privatversicherte müsste die alte Dame die Rechnung begleichen und sich die Summe dann von der Versicherung erstatten lassen.
Angehörige zweifeln, dass die Rettungsfahrten von einer zur anderen Straßenseite nötig waren
Doch ihre Angehörigen haben Zweifel, ob die Rettungsfahrten überhaupt notwendig waren: Denn das St. Josef-Quartier am Heidbergweg in Kupferdreh, in dem die 98-Jährige lebt, liegt direkt gegenüber dem St. Josef-Krankenhaus. Beide Häuser betreibt die Contilia. Es handle sich um einen „zusammenhängenden Gebäudekomplex“, die Rechnung sei daher „nicht nachvollziehbar“, schreibt die Tochter im Widerspruch an die Stadt. „Die Gebäude liegen unmittelbar gegenüber und sind sogar für den Zweck des Krankentransports mit einem Gang untereinander verbunden.“ So könnte man Patienten „schonender, schneller und weniger gefährdend“ in das Krankenhaus bringen.
„Nach Aussage der Besatzung ist der Transport mit dem Rettungswagen in weniger als fünf Minuten durchzuführen.“
Im Briefwechsel mit der Stadt weist die Tochter darauf hin, dass „auch von der Krankenkasse eine Erklärung über das Zustandekommen der Rechnungen verlangt wird“. Der Rettungswagen sei vom Heim angefordert worden und habe die 98-Jährige folglich auch transportiert, erklärt die Stadt. Der Arzt im Krankenhaus habe bestätigt, dass es dafür eine medizinische Indikation gab. „Auch die erforderliche Notwendigkeit für die Inanspruchnahme des Rettungswagens wurde ärztlich verordnet.“
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Dass ihre Mutter eine medizinische Behandlung gebraucht habe, bestreiten die Angehörigen nicht. Sie sehen nur nicht ein, warum die Rettungsfahrt statt des Tunnels gewählt wurde: „Hier werden der Allgemeinheit Kosten aufgebürdet, die nicht zu rechtfertigen sind.“ Die Stadt hält jedoch an ihrer Argumentation fest und weist den Widerspruch im Dezember zurück. Nun erwägen die Angehörigen eine Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Die Rettungskräfte dürfen den Tunnel zwischen Heim und Krankenhaus nicht nutzen
Auf Nachfrage, ob es nicht möglich wäre, Heimbewohner durch den Tunnel ins Krankenhaus zu bringen, verweist der für die Feuerwehr zuständige Ordnungsdezernent Christian Kromberg auf das Rettungsdienstgesetz des Landes, das vorgebe, „dass die Notfallrettung die Aufgabe hat, bei Notfallpatienten lebensrettende Maßnahmen vor Ort durchzuführen, deren Transportfähigkeit zu prüfen und sie unter Vermeidung weiterer Schäden mit Notarzt oder Rettungswagen in das für die weitere Versorgung zuständige Krankenhaus zu befördern“. Der Wagen sei für eine medizinische Versorgung bis zur Ankunft im Krankenhaus ausgestattet.
„Die Gebäude liegen unmittelbar gegenüber und sind sogar für den Zweck des Krankentransports mit einem Gang untereinander verbunden.“
„Nach Aussage der Besatzung ist der Transport mit dem Rettungswagen in weniger als fünf Minuten durchzuführen“, sagt Kromberg zu den Gegebenheiten in Kupferdreh. Es sei nicht vorgesehen, dass der Rettungsdienst den Verbindungsgang nutze. Bleibt die Frage, ob nicht Pflegekräfte ihre Bewohner durch den Tunnel ins Krankenhaus bringen könnten. Katja Grün, Sprecherin der Contilia Pflege und Betreuung GmbH, verneint das: „Das St. Josef Quartier ist eine Senioreneinrichtung, kein Krankenhaus. Es verfügt daher über pflegerisches und betreuerisches Fachpersonal, nicht jedoch über hauseigene Ärztinnen und Ärzte.“ In medizinischen Notfällen wähle man also immer die 112 und alarmiere so die Rettungskräfte. „Bis zu ihrem Eintreffen leisten die Pflegekräfte Erste-Hilfe-Maßnahmen.“ Contilia-Sprecher Thomas Kalhöfer ergänzt, dass der Tunnel nur „zum Transport von Wäsche oder Speisen dient“.
61 Transporte führt die Feuerwehr in einem Jahr zwischen Heim und benachbarter Klinik durch
Und so gibt es zwischen St. Josef-Quartier und St. Josef-Krankenhaus einen regen Pendelverkehr: 61 Transporte führte die Feuerwehr im vergangenen Jahr durch – mehr als einen pro Woche. 33 mal fuhr ein Rettungswagen, in zehn dieser Fälle war ein Notarzt dabei.
In den restlichen 28 Fällen (knapp die Hälfte) handelte es sich um Krankentransporte. Sie befördern kranke, verletzte oder hilfsbedürftige Personen, die keine Notfallpatienten sind. Auch für sie stelle man Rettungssanitäter und medizinisches Equipment, erklärt Feuerwehrsprecher Christian Schmücker. Er wolle aber nicht völlig ausschließen, dass bei weniger gravierenden Fällen auch Pflegekräfte die Heimbewohner ins Krankenhaus bringen könnten. „Da muss der Betreiber wissen, was er seinem Personal zutraut.“ Und wohl auch, ob das Personal abkömmlich ist. Daneben müsste man vermutlich versicherungsrechtliche Fragen klären.
„Das St. Josef Quartier ist eine Senioreneinrichtung, kein Krankenhaus. Es verfügt daher über pflegerisches und betreuerisches Fachpersonal, nicht jedoch über hauseigene Ärztinnen und Ärzte.“
Die Familie der 98-Jährigen fragt sich, warum all das nicht wenigstens geprüft werde, „warum die Stadt die absurde und teure Vorgabe widerspruchslos hinnimmt“, dass das Heim stets die 112 wähle. Der Tunnel sei mit seitlichen Schutzschienen durchaus für Bettentransporte ausgelegt.
Feuerwehr vermittelt Klinikpersonal, wann Krankentransporte überflüssig sind
Unter der Hand äußern auch Verantwortliche Sympathie für die Tunnel-Lösung. Schließlich entfallen mittlerweile gut 90 Prozent der Feuerwehreinsätze auf Krankentransporte, Rettungsdienst und Co. Darunter, wie Dezernent Kromberg schon 2023 beklagte, eine Vielzahl von Bagatelleinsätzen. Zuletzt hat die Feuerwehr Essen sogar Kliniken besucht, um das Personal dafür zu sensibilisieren, wann Krankenfahrten überflüssig seien.
Derweil ist die 98-Jährige vergangene Woche erneut ins St. Josef-Krankenhaus gebracht worden. Im Rettungswagen.
Wann reicht ein Taxi statt des Krankentransports?
Einen „Riesenerfolg“ verkündete die Feuerwehr Essen im vergangenen Juni: Erstmals seit Jahren sei die Zahl der Rettungsdiensteinsätze rückläufig, sagte Feuerwehr-Chef Thomas Lembeck. Laut Jahresbericht 2023 summierten sich 75.391 Krankentransportfahrten, 53.371 mit dem Rettungswagen, 18.070 mit Notarzt sowie 1629 Intensivtransporte auf insgesamt 152.588 Rettungsdiensteinsätze. Das waren 10.862 weniger als 2022.
Die Feuerwehr habe die Krankenhäuser abgeklappert, um dem Personal ein Gefühl für notwendige und für überflüssige Krankenfahrten zu vermitteln. So müsse es bei der Entlassung aus einer Klinik nicht immer der Rettungswagen sein; je nach Gesundheitszustand des Patienten reiche eine (auch für die Krankenkasse kostengünstigere) Taxifahrt oder das Abholen durch Angehörige. Man habe den Pflegekräften eine computerisierte Checkliste an die Hand gegeben, die bei Eingabe der Patientendaten zuverlässig ermittle, welches Transportmittel jeweils das geeignete ist.
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