Essen. Chris von Minden ist in seinen 76. Geburtstag hineingelaufen, 76 Stunden lang. Eine schwere persönliche Krise brachte den Essener zum Ultralauf.

Der schlanke Mann mit dem kräftigen grauen Oberlippenbart trägt Laufschuhe. In hellem Orange, im Bereich der großen Zehen schon grau und löchrig geworden. Fußbekleidung muss einiges aushalten bei Chris von Minden. Der Essener ist Ultraläufer. Und diese abgetragenen Schuhe, mit denen er zum Interviewtermin auf Zollverein erscheint, kamen auch bei seiner Geburtstagsaktion zum Einsatz. Diese fand ebenfalls im Essener Weltkulturerbe statt. Und war einigermaßen extrem.

Essener Ultraläufer im Video

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Am 29. Dezember 2024 ist von Minden 76 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat er einen 76-Stunden-Lauf auf die Beine gestellt, hat andere Ausdauersportlerinnen und -sportler aus ganz Deutschland dazu eingeladen. „Er wollte sich einen Traum erfüllen und in seinen Geburtstag reinlaufen“, berichtet ein Freund, der dabei war. Und „laufen“ heißt bei Chris von Minden etwas anderes als bei den allermeisten anderen Menschen, erst recht in seinem Alter.

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Essener Ultralauf zum 76. Geburtstag startete am zweiten Weihnachtstag

Am zweiten Weihnachtstag um 12 Uhr ging es los.: Chris von Minden, seine Familie plus 17 Gäste. Immerhin hat sich der Ultraläufer für seine Geburtstagsaktion einen überdachten Ort gesucht. Anfragen bei der Stadt Essen nach einer Sportstätte seien erfolglos geblieben, sagt er, auch aus versicherungstechnischen Gründen. Er habe es dann bei der Stiftung Zollverein versucht, „in der Hoffnung, dass sie uns irgendeine leerstehende Bude anbieten“.

Die Stiftung Zollverein stellte dem Essener Ultraläufer Chris von Minden die geräumige Halle 5 unbürokratisch zur Verfügung.
Die Stiftung Zollverein stellte dem Essener Ultraläufer Chris von Minden die geräumige Halle 5 unbürokratisch zur Verfügung. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Er bekam die geräumige Halle 5. Kurzfristig. Unbürokratisch. Eine Sprecherin der Stiftung Zollverein bestätigt dies auf Anfrage der Redaktion. Man habe auch nur wenig Aufwand mit der Veranstaltung gehabt, ergänzt sie. Betriebs- und Reinigungskosten habe der Ultraläufer übernommen. Umbau- und Aufbauarbeiten seien nicht nötig gewesen: „Sogar Feldbetten hat Chris von Minden selbst mitgebracht.“

Sportlerinnen und Sportler drehen 110-Meter-Runden, Tag und Nacht

Die Laufrunde haben die Sportler einfach auf dem Fußboden mit Klebeband markiert und vermessen. 110 Meter seien es gewesen, berichtet von Minden. Auf diesem engen Zirkel sind sie dann Tag und Nacht gelaufen, gewandert, getrabt. Bis zum Ende der Aktion habe er selber knapp 285 Kilometer zurückgelegt, sagt der Essener. Eine Mitläuferin, „deutlich jünger“, leistungsstark, habe sogar 401 Kilometer bewältigt.

Ultraläufer Essen
Befreundete Sportlerinnen und Sportler unterstützten den Essener Ultraläufer bei seiner Geburtstagsaktion.   © Axel Junkers

Alle seien mit Transpondern gelaufen, so dass Distanzen und Zeiten offiziell erfasst werden konnten. Das Ergebnis des 76-Jährigen ist in der aktuellen Statistik der Deutschen Ultramarathon Vereinigung (DUV) dokumentiert. Von Minden, der im niedersächsischen Nordenham geboren wurde, gehört auch einem Verein an, dem Ultrafriesen e.V., doch nur pro forma, um bei offiziellen Wettkämpfen antreten zu dürfen.

Auch die Enkelkinder liefen zwischendurch mit

Der Geburtstagslauf hatte familiären Charakter. In der Zollverein-Halle waren Zelte aufgebaut, falls doch mal jemand ein Stündchen Schlaf brauchte, Campingtische und -stühle, viele Liter Getränke, bevorzugt Soft- und Energydrinks. Jemand machte zwischendurch Livemusik, ein kleiner Hund war zugegen, Freunde schauten vorbei. Auch seine Enkelkinder, vier und fünf Jahre alt, seien zwischendurch mitgelaufen, sagt von Minden, der in Borbeck lebt.

„Self Transcendence Lauf“ hieß das Extremsport-Event auf Zollverein. In Zelten konnten sich die Teilnehmenden kurz ausruhen.
„Self Transcendence Lauf“ hieß das Extremsport-Event auf Zollverein. In Zelten konnten sich die Teilnehmenden kurz ausruhen. © Von Minden

Doch das Geburtstagsevent hatte für ihn einen tieferen Sinn. „Self Transcendence Lauf“ hat er die Aktion genannt, sie sollte dazu dienen, die eigenen Grenzen auszuloten, so erklärt er es selber: „Ich wollte gucken, was geht, was man aushält.“ Ähnliches könnte als Motto über seinem Leben stehen. Dabei ist Chris von Minden noch gar nicht so lange Ultraläufer.

Essener begann nach schwerer Krankheit mit dem Lauftraining

Eine tiefe persönliche Krise hat ihn auf diesen Weg gebracht, von schwerer Krankheit begleitet, die der 76-Jährige nicht öffentlich ausbreiten möchte. Er erzählt aber von einem lebensbedrohlichen Herzinfarkt im Alter von 68 Jahren, einer Operation im Herzzentrum Duisburg, bei der ihm mehrere Bypässe gelegt worden seien. Völlig unsportlich sei er damals gewesen, etwa 25 Kilo schwerer als heute, Raucher.

Pommes-Pause: Der Essener Ultraläufer Chris von Minden stärkt sich.
Pommes-Pause: Der Essener Ultraläufer Chris von Minden stärkt sich. © Von Minden

Er habe vieles geändert, sofort nach der OP, konsequent. Habe mit langsamen Joggingversuchen begonnen, dann einen Fünf-Kilometer-Lauf gemeistert, sich bis zum Baldeney-Marathon gesteigert, für den er etwa sechs Stunden brauchte. Mittlerweile ist Chris von Minden Experte für die ultralangen Strecken, 45 Kilometer aufwärts, hat etliche Läufe teils mehrfach bewältigt, die nach normalen Maßstäben reine Grausamkeiten sind. Etwa die „TorTour de Ruhr“ über 100 Kilometer. Im vergangenen Jahr habe er rund 5500 Kilometer zu Fuß zurückgelegt, sagt der Essener, der fast immer alleine trainiert.

Hundert Meilen um einen Kreisverkehr

Für Februar hat er sich erneut ein „Highlight“ vorgenommen: den „Dutch Coast Ultra Run by Night“, der von Den Helder aus am winterlichen Strand entlang führt. 50 Kilometer will er laufen, bei Wind und Nacht. Chris von Minden steht oft als Altersklassen-Sieger in den Listen, obwohl er nach eigenen Worten „im gemächlichen Tempo“ unterwegs ist.

Darüber hinaus gibt es viele inoffizielle Rekorde und Aktionen, zu denen er sich gerne hinreißen lässt. Er zählt einige auf: erst 100 Kilometer, später 100 Meilen um einen Kreisverkehr am Oberhausener Centro, mal eben 50 Kilometer rund um den Burger King an der Aktienstraße. Habe er alles schon gemacht.

Geschafft: Chris von Minden (76) bewältigte den 76-Stunden-Lauf gemeinsam mit Freundinnen und Freunden. Hier zeigt er ein Finisher-Foto.
Geschafft: Chris von Minden (76) bewältigte den 76-Stunden-Lauf gemeinsam mit Freundinnen und Freunden. Hier zeigt er ein Finisher-Foto. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Keinerlei Schmerzen nach fast 285 Kilometern auf den Beinen

Seinen 75. Geburtstag habe er mit seinen Enkelkindern bei Mc Donald‘s gefeiert, erzählt der Essener, doch vorher ging es um die Duisburger Regattabahn, 75 Kilometer weit. Doch jetzt, nach dem „Self Transcendence Lauf“ zwischen den Jahren, wirkt Chris von Minden nachdenklich. Nach fast 285 Kilometern habe ihm nichts wehgetan, nicht einmal die Füße. „Ich hatte keinerlei Schmerzen, habe keinen Moment an Abbruch gedacht. Darüber bin ich auch sehr erschrocken. Wo soll das noch hinführen?“

Er spürt, er wird sich nicht endlos steigern können. „Ich denke, ich werde das Laufen in irgendeiner Form reduzieren müssen.“ Aber noch nicht sofort. Wenn er laufe, stundenlang, tagelang, empfinde er „Glück“, sagt der 76-Jährige. Doch gerade die ganz harten Strecken machen ihn auch „demütig“. Er sagt: „Ich bin nicht gläubig. Aber die Dankbarkeit, so etwas zu können, ist tief in mir verankert.“

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