Essen-Holsterhausen. 25 Jahre lang hat Iris Müller-Friege in Essen Patienten des LVR-Klinikums als Seelsorgerin betreut. Uns hat sie von ihrer Arbeit erzählt.

Iris Müller-Friege betritt den „Raum der Stille“. Hier hat die 62-jährige in ihrer Zeit am LVR-Klinikum viel Zeit verbracht. Der Raum ist nicht nur offen für Patientinnen und Patienten, die dem Christentum angehören. Hier kann jeder hinkommen. Die meisten, weiß die Seelsorgerin nach jahrzehntelanger Arbeit, glauben an irgendetwas. Auch wenn sie nichts mit der Kirche zu tun haben wollen. Nach 33 Jahren als Krankenhausseelsorgerin und 25 Jahren am LVR-Klinikum geht Iris Müller-Friege Ende des Jahres in den Ruhestand – und blickt auf bewegende Jahre zurück.

Gläubig war die evangelische Pfarrerin, die in Mülheim lebt, nicht immer. Sie stammt aus einem nicht-religiösen Haushalt. „Man sagt: Blut ist dicker als Wasser. Ich habe mich gefragt, ob das auch stimmt, wenn man ein nicht so fürsorgliches Elternhaus hat“, beschreibt sie ihren ersten Zugang zu spirituellen Themen. Mit fünf oder sechs Jahren habe zum ersten Mal einen Kindergottesdienst in der Nachbarschaft besucht, eher zufällig.

Essener Seelsorgerin war noch nicht immer gläubig

Das Bild des fürsorglichen Vaters, das dort gezeichnet wurde, gab ihr etwas. Und auch, wenn sich ihr Gottesbild später noch öfter veränderte: Das Vertrauen in die Welt, in ein großes Ganzes, war das, was sie mit dem Glauben verband. Später hatte sie das Bedürfnis, dieses Vertrauen weiterzugeben. Sie wurde Pfarrerin und Krankenhausseelsorgerin, begleitete erst in Remscheid Patientinnen und Patienten, dann in Holsterhausen. Das LVR-Klinikum ist eine Fachklinik des Landschaftsverbands Rheinland für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

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Heute ist alles etwas anders als zu den Anfängen. „Die Menschen in der Klinik sprechen nicht mehr automatisch mit mir über ihren Glauben“, ist Müller-Frieges Erfahrung. Für viele habe der Glaube an Gott mittlerweile etwas Naives. Einigen falle es da sogar leichter, über Sexualität zu sprechen. Vor 25 Jahren seien die Leute noch gekommen und hätten gesagt: „Ach, Sie sind die Pfarrerin, ich erzähle Ihnen mal was.“ Heute passiere es, dass junge Menschen fragten: „Was ist eine Pfarrerin?“

Gespräche in der Essener Forensik drehen sich oft um Schuld und Vergebung

Dabei seien die Menschen heute nicht weniger gläubig, ist Müller-Friege überzeugt. Sie seien vielleicht weniger mit Institutionen wie der Kirche verbunden. „Aber vielen ist Spiritualität wichtig“, so die Pfarrerin. „Sie sind quasi auf der Suche nach Gott ohne Religion. Diese Verbundenheit mit einem großen Ganzen spüren viele.“

Müller-Friege ist auch Ansprechpartnerin für die Patientinnen und Patienten der Klinik für Forensische Psychiatrie. Hier sind Straftäterinnen und Straftäter untergebracht. In den Gesprächen mit diesen Patienten gehe es viel um Schuld und Vergebung, berichtet die Seelsorgerin: „Sie müssen ihre Tat verarbeiten.“ Dazu komme die Belastung, dass in vielen Fällen nahestehende Personen nichts mehr mit dem Täter oder der Täterin zu tun haben wollten.

LVR-Klinikum Essen: Gespräche mit Seelsorgerin unterliegen der Schweigepflicht

In den anderen Häusern des LVR-Klinikums gehe es zum Beispiel um die Frage nach der Perspektive: Was wird aus mir? Werde ich je wieder gesund? Was ist Teil meiner Erkrankung, was geht darüber hinaus? „Viele verlassen immerhin diese Klinik und können ihr normales Leben wieder aufnehmen“, so Friege. Auch Konflikte mit Angehörigen seien immer wieder Thema.

In ihrer Rolle als Seelsorgerin hat Müller-Friege – obwohl sie über eine psychotherapeutische Ausbildung verfügt – nicht die Aufgabe, ihre Patienten zu therapieren. Was sie mit ihr besprechen, unterliegt der Schweigepflicht, kommt nicht in die Akte. „Eine Begegnung, ein hilfreicher Kontakt auf der Basis, dass jeder Mensch ein geliebtes Kind Gottes ist“, so beschreibt sie ihre Arbeit.

Essener Seelsorgerin begleitet Klinik-Mitarbeiterin bis zum Tod

Dabei habe es durchaus Fälle gegen, an denen sie an Grenzen gestoßen sei und sich ohnmächtig gefühlt habe. Denn es gebe Menschen, die so viel Destruktives erlebt hätten, das Veränderung kaum möglich sei. „Ich kann den Menschen nur dabei helfen, sich selbst zu helfen“, betont sie. „Man kann niemanden retten. Das gelingt nicht.“

Besonders bewegt habe sie die gemeinsame Zeit mit einer Mitarbeiterin der Klinik, die lebensbedrohlich erkrankt war. „Sie hat noch zwei Jahre gelebt und hat mich gebeten, sie zu begleiten.“ So sei sie zum Beispiel bei den Abschiedsgesprächen mit den Kindern dabei gewesen. „Und zum Schluss habe ich sie beerdigt. Das war sehr bewegend.“

Als Therapeutin ist Iris Müller-Friege weiter tätig. Ihr Amt als Vertrauensperson beim Verdacht auf sexualisierte Gewalt beim Evangelischen Kirchenkreis Essen übt sie ebenfalls weiter aus.

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