Essen. Lea Oltmanns inszeniert im Schauspiel Essen die Uraufführung von „Tabak“. Es geht auch um weibliche Solidarität und den Umgang mit Wut und Scham.
Weltweit sind sie dieser Tage im Rahmen der UN-Kampagne „Orange the World“ wieder auf die Straße gegangen, um - begleitet von alarmierenden Zahlen - für die Beseitigung von Gewalt gegen Mädchen und Frauen zu protestieren. Das Schauspiel Essen trägt das Thema nun auf die Bühne: „Tabak. Oder warum Sie mit dem Frauen morden aufhören sollten“ heißt das Stück von Rachel J. Müller, das am Samstag, 30. November, 20 Uhr, in der kleinen Ada-Studiobühne im Grillo seine Uraufführung feiert.
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Geplant war das Stück eigentlich für die größere Casa. Nach dem beschlossenen Aus der Schauspiel-Bühne musste noch einmal umgeplant werden. Regisseurin Lea Oltmanns und Bühnenbildner Thorben Schumüller zeigen offene Räume in einem Haus, das gewissermaßen selbst zum Darsteller wird. Dieses Haus hat nicht nur eine eigene Stimme im Stück, die Wände haben gewissermaßen auch Ohren. Und was da alles hinter dünnen Mauern passiert, macht Greta Gottschalk in einer ausgetüftelten Alltagssound-Collage hörbar. So nähern sich auch zwei Bewohnerinnen dieses Hauses an, die der gewaltsame Tod der Betreiberin des Tabaklädchens im Untergeschoss zusammenbringt.
Die Wände haben hier Ohren und das Haus eine eigene Stimme
Der Titel „Tabak“ bezieht sich dabei auf einen Vorfall in Österreich, der für die Autorin Rachel J. Müller der konkrete Auslöser war, das Thema Femizid im Theater zu behandeln. Im März 2021 wurde eine Frau in einem kleinen Tabakwarengeschäft in Wien von ihrem Expartner geschlagen, gewürgt und angezündet. Sie erlag einen Monat später ihren Verletzungen. Die Tat sorgte nicht nur in Wien für Entsetzen. Mittlerweile ist der kleine Tabakladen ein Kunstraum und Mahnmal für die Brutalität in Beziehungen, die nicht selten auch tödlich endet. „Fast täglich findet ein Femizid statt, alle drei Minuten sind Frauen Opfer von häuslicher Gewalt“, hat das Bundeskriminalamt erst unlängst die alarmierende Lage zusammengefasst.
Müllers Stück macht aus dem konkreten Vorfall aber keine theatralische Spurensuche, kein Täterstück. Nur in einer Szene wird über ihn gesprochen und „die männliche Sozialisation angerissen“, erklärt Lea Oltmanns. Viel interessanter ist für die Autorin und die junge Regisseurin die Frage, wie man der Scham, der Angst, dem Schuldgefühl begegnet; wie man das Thema der sexualisierten Gewalt gegen weiblich gelesene Körper enttabuisiert und das Schweigen bricht, um Veränderungen zu bewirken. „Wir müssen uns verbinden und hinschauen, Solidarität und Empathie üben“, sagt Oltmanns.
„Tabak“ in Essen: Es geht auch um Liebe und weibliche Solidarität
Mehr noch als die alarmierenden Zahlen des BKA sorgt dabei gerade ein spektakulärer Vergewaltigungs-Prozess in Frankreich für ein öffentliches Aufbegehren und eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema. Das Opfer des jahrelangen, von ihrem eigenen Ehemann zu verantwortenden Martyriums, die Französin Gisèle Pelicot, ist dabei offensiv an die Öffentlichkeit gegangen. Die Scham müsse die Seiten wechseln, lautet ihr Credo und sorgt in Frankreich seither für eine riesige Woge der Solidarität. Dass ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet, hat Oltmanns auch in Deutschland zumindest in Ansätzen registriert. Obwohl wichtige politische Beschlüsse wie eine Zustimmung zum Gewalthilfegesetz weiterhin überfällig seien.
Benefizvorstellung von „Tabak“
Die Premiere von „Tabak“ am 30. November ist bereits ausverkauft. Weitere Vorstellungen: 4., 6. und 29. Dezember.
Die Vorstellung am 6. Dezember ist eine Benefizveranstaltung in Kooperation mit den drei Essener Soroptimist-Clubs anlässlich der UN-Women-Kampagne „Orange the World“.
Vor der Aufführung gibt es eine Einführung in das Stück und im Anschluss eine Nachbesprechung mit Regisseurin und Schauspielerinnen. Die Vorstellung ist ausschließlich für Frauen reserviert, Tickets (35 Euro) sind für diese Vorstellung nur unter www.clubessenvictoria.soroptimist.de/kontakt erhältlich. Von jeder verkauften Karte gehen 20 Euro direkt an das Frauenhaus Essen.
Tickets für weitere Vorstellungen gibt es unter Tel. 0201-8122-200 und online www.theater-essen.de
Gleichwohl habe sich das Gesprächsklima verändert: „Jetzt passiert, was auch in dem Stück passiert!“, sagt die Regisseurin und meint die Frauen, die derzeit nicht nur in Frankreich zusammenstehen. Auch in „Tabak“ rücken die weiblich gelesenen Personen nach dem ungeheuerlichen Verbrechen zusammen, finden in der Begegnung nicht nur Trost und ein Ventil für ihre Wut, sondern auch ein anderes Gefühl von Zugehörigkeit. Auch das sei eine Botschaft des Stücks, sagt Oltmanns, dass Liebe, Verlässlichkeit und Füreinanderdasein, dass „Familiengefühl“ eben, nicht nur in einer klassischen Paar-Konstellation zu haben seien, sondern auch in besonderen Freundschafts-Formen. So finden auch die beiden Hauptfiguren zu einer intensiven, „nicht romantischen oder sexuellen“, aber doch von großer Fürsorge geprägten Intimität, so Oltmanns.
Und auch die Autorin Rachel J. Müller und Regisseurin Lea Oltmanns haben über die Arbeit an „Tabak“ einen engen Draht zueinander entwickelt. „Das wird nicht die letzte Arbeit bleiben“, zeigt sich die junge Theatermacherin jedenfalls überzeugt.
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