Duisburg. Die Fotoausstellung „Shame – European Stories“ gastiert in Duisburger Kirchen. Zu sehen sind markerschütternde Geschichten sexualisierter Gewalt.
Man erschaudert. Und das liegt nicht daran, dass es in der Salvatorkirche am Duisburger Burgplatz ziemlich frostig ist. Noch bis Mittwoch, 27. November, ist in den dunklen Hallen der Kirche nämlich die Fotoausstellung „Shame – European Stories“ zu sehen. Die Ausstellung ist ein Projekt des italienischen Fotojournalisten Simone Padovani, getragen von der „Justice-Initiative“ und dem Verein „Umsteuern! Robin Sisterhood“. Das Thema: Überlebende sexualisierter Gewalt, aus ganz Europa.
16 Gesichter schauen den Besucher von den Wänden der Kirche, sogar aus dem Altarraum, an, Schwarz-Weiß-Portraits, eine Texttafel darunter. Neutrale Blicke, manche lächeln sogar, jedenfalls wird das Leid dieser Menschen nicht plakativ zur Schau gestellt. Man könnte die Bilder filigran nennen, wäre das Thema nicht so markerschütternd, einfühlsam sind die Fotos aber allesamt.
Karl, 72, aus Deutschland: „Verbündete im Geiste Gottes und gegen die Würde des Menschen“
Zum Beispiel Emiliano, heute 55 Jahre alt, aus Spanien. Der als Kind von einem Kleriker ausgezogen und misshandelt wurde. Und der heute sagt: „Alles, was ich will, ist, dass niemand je wieder erleidet, was ich erlitten habe.“ Oder Vasfije aus dem Kosovo, die mit 16 Jahren von einem serbischen Polizisten entführt und von einem Offizier und Zivilisten vergewaltigt wurde. Oder Agnes aus Deutschland, die neun Jahre alt war, „als der Priester mich in sein Haus befahl und vergewaltigte. Das Leben zerbrach – zersplitterte – lautlos.“
Und dann ist da noch Karl. 72 Jahre alt, aus Deutschland. Damals war er nur ein Kind, als der Kleriker ihm die Kindheit nahm. „Dieser Priester ignorierte mich als Kind und als Mensch. Er ignorierte meine Schutzbedürftigkeit – denn es tat weh. Als geweihter Priester ignorierte er die Verletzbarkeit meiner kleinen Seele – denn er brach das Vertrauen des Kindes in ihn. Auch das Risiko, bei den Vergewaltigungen entdeckt zu werden, war ihm in seiner Gier nach Macht gleichgültig. Die Kapelle, die Orgelempore, die Turnhalle waren ihm für seine Gewalt willkommen – immer konnte er sich sicher sein, dass alle Mitwisser schweigen würden. Sie waren Verbündete im Geiste Gottes und gegen die Würde des Menschen.“
Duisburger Pfarrer: „Das hat mit Amoralität nichts zu tun. Das sind Verbrechen“
Nicht alle der Überlebenden in der Salvatorkirche sind Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche geworden – aber auffällig viele von Ihnen. Wie kommt es da, dass ausgerechnet eine Kirche ihre Pforten für die Ausstellung öffnet? „Weil das bedauernswerterweise auch bei uns ein Thema ist“, sagt Martin Winterberg. Der Pfarrer der Salvatorkirche blickt ins steinerne Rund, auf die Bilder, und erinnert sich, dass es in der evangelischen Kirche in Sachen Missbrauch „ein Zurücklehnen mit falschen Vorstellungen“ gegeben habe. „Aber sexualisierte Gewalt gab es bei uns eben auch. Nicht nur in der katholischen Kirche, nicht nur wegen des Zölibats.“
„Wir wollen ganz klar sagen: Ja, diese Dinge hat es gegeben. Und wir hoffen, dass es sie nicht mehr gibt“, so Winterberg, und natürlich gibt es in der Kirche deswegen auch einen Aufsteller mit Mailadressen und Telefonnummern für alle, die sich geschulten Psychologen und Seelsorgern anvertrauen wollen.
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Martin Winterberg wird sehr deutlich, das Thema beschäftigt ihn spürbar. „Dass die Ratsvorsitzende Bischöfin Fehr die Aufklärung dieser Fälle ‚Entgegenstemmen gegen die Amoralität‘ genannt hat, das ist falsch. Das hat nichts mit Moral zu tun. Das ist ein Verbrechen. In der evangelischen Kirche ist nicht ‚Amoralisches‘ passiert, sondern Verbrechen an Menschenkörpern und -seelen.“
>> „Shame – European Stories“ an drei Ausstellungsorten in Duisburg
- Die 16 Fotos und Geschichten gibt es in der Salvatorkirche noch bis zum 27. November zu sehen. Die Kirche hat dienstags bis samstags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, sonntags von 10 bis 13 Uhr.
- Ab Sonntag, 10. November, und bis zum 28. November werden andere Fotos der Wanderausstellung in der Karmel-Kirche ausgestellt, täglich von 9 bis 18 Uhr.
- Ebenfalls bis zum 28. November sind weitere Teile der Ausstellung im katholischen Stadthaus zu sehen, montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist jeweils kostenlos.