Essen. Zurückgeblättert: Vor 100 Jahren führte die schmale und belebte Kettwiger Straße am früheren Hotel Königshof und am Handelshof vorbei.

Historisch betrachtet zählt der Willy-Brandt-Platz zu den eher jungen Plätzen in Essen. Eine großflächige, mit dem Kennedyplatz vergleichbare Außengastronomie bis in die späten Abendstunden, hat es an dieser Stelle nie gegeben. Und das aus einem naheliegenden Grund: Dem Areal fehlte bislang jegliche Aufenthaltsqualität.

Anfänglich hatte der Platz nicht einmal einen Namen. Die Benennung nach dem früheren Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt erfolgte im Mai 1994, zwei Jahre nach dem Tod des prominenten sozialdemokratischen Politikers. Sie spiegelt übrigens auch die damaligen Machtverhältnisse in Essen wider. Die Stadt war damals noch SPD-Hochburg.

Mehr zum Thema Königshof in Essen

Das Hotel Königshof stand bis 1936. Dann musste es dem neuen Warenhaus Defaka weichen.
Das Hotel Königshof stand bis 1936. Dann musste es dem neuen Warenhaus Defaka weichen.
Schmale Kettwiger Straße: Noch versperrt das Hotel Königshof (links) die freie Sicht auf das Eick-Haus. Rechts: der Handelshof.
Schmale Kettwiger Straße: Noch versperrt das Hotel Königshof (links) die freie Sicht auf das Eick-Haus. Rechts: der Handelshof.
Essen vor dem Zweiten Weltkrieg: Die neue Hauptpost (1930) und das Defaka-Warenhaus (1937) sind mehrere Meter zurückgesprungen. Der Blick ist frei auf das markante Eick-Haus.
Essen vor dem Zweiten Weltkrieg: Die neue Hauptpost (1930) und das Defaka-Warenhaus (1937) sind mehrere Meter zurückgesprungen. Der Blick ist frei auf das markante Eick-Haus. © FUNKE Foto Services | Fabian Vogel

Es hat mehr als hundert Jahre gedauert, ehe an dieser immer stärker frequentierten Örtlichkeit am alten Kettwiger Tor in mehreren Etappen überhaupt ein Platz entstanden ist.

Freie Fahrt in alle Richtungen: Autofahrer können sich bis Mitte der 1970er Jahre frei zwischen Handelshof (links), Eick-Haus (rechts) und Defaka bewegen.
Freie Fahrt in alle Richtungen: Autofahrer können sich bis Mitte der 1970er Jahre frei zwischen Handelshof (links), Eick-Haus (rechts) und Defaka bewegen. © WAZ Essen | WAZ Essen

Historische Bilder aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zeigen das Entrée zur Innenstadt noch mit einem völlig anderen Gesicht: Straßenbahnen zuckeln durch die enge Kettwiger Straße, die vom Handelshof auf der einen und dem Grand-Hotel Königshof sowie der alten Hauptpost auf der anderen Seite gesäumt wird. Beide Gebäude sind in den 1930er-Jahren Neubauten gewichen: zuerst der neuen Hauptpost (1930), dann dem Warenhaus Defaka (1937), dessen Fassade die Architekten des neuen Königshofs unübersehbar inspirierte. Stadtplaner nutzen damals die Gunst der Stunde und lassen die neuen Gebäude mehrere Meter zurückspringen. Gleichzeitig wird der Blick auf das markante Eick-Haus freigelegt. Es ist ein schleichender Prozess: Aus der verbreiterten Kettwiger entsteht im Laufe von Jahrzehnten ein Platz.

Keine Spur von einem Platz: Vor 50 Jahren galt das Prinzip „Freie Fahrt für freie Bürger“. Autos beherrschen das Bild. Die Straßenbahnen sind längst aus der Kettwiger verschwunden. Stattdessen halten Busse am Handelshof.
Keine Spur von einem Platz: Vor 50 Jahren galt das Prinzip „Freie Fahrt für freie Bürger“. Autos beherrschen das Bild. Die Straßenbahnen sind längst aus der Kettwiger verschwunden. Stattdessen halten Busse am Handelshof. © WAZ Essen | WAZ Essen

Obwohl von repräsentativen Gebäuden wie Hauptpost, Handelshof und Eick-Haus gesäumt, war die Fläche nie mehr als ein Durchgangsraum - bis in die 1980er-Jahre noch für den rollenden Straßenverkehr aus Autos und Straßenbahnen, später in verkehrsberuhigten Zeiten dann ausschließlich für Fußgänger. Gemütlichkeit konnte so nicht entstehen. Die Koerfer-Manager vergleichen den alten Willy-Brandt-Platz mit einer „Betonwüste“.

1977 ist das Defaka-Haus durch den Horten-Neubau ersetzt. Über den vorgelagerten Pavillon, inzwischen modernisiert, können das Untergeschoss und die U-Bahnhöfe erreicht werden. Es entsteht ein verkehrsberuhigter Abschnitt zur Kettwiger Straße hin.
1977 ist das Defaka-Haus durch den Horten-Neubau ersetzt. Über den vorgelagerten Pavillon, inzwischen modernisiert, können das Untergeschoss und die U-Bahnhöfe erreicht werden. Es entsteht ein verkehrsberuhigter Abschnitt zur Kettwiger Straße hin. © WAZ Essen | WAZ
Der Willy-Brandt-Platz vor vier Jahren im September 2020: Galeria Kaufhof schließt.
Der Willy-Brandt-Platz vor vier Jahren im September 2020: Galeria Kaufhof schließt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Lebhaft und bisweilen laut wurde es - abgesehen vom Weihnachtsmarkt - auf dem Platz allenfalls, wenn Demonstranten aufzogen: von rote Fahnen schwenkenden marxistischen Grüppchen bis hin zu jungen Fridays for Future-Demonstranten mit Trillerpfeifen. Der neue Königshof mit der damit verbundenen Außengastronomie schafft nicht nur Aufenthaltsqualität, sondern im günstigsten Fall auch eine neue Dynamik. Eine, die durch die neue Citybahn zusätzlich verstärkt werden könnte.

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]