Essen. Hier Baustelle, dort Weihnachtsmarkt: Am Willy-Brandt-Platz in Essen entsteht der neue Königshof (einst Kaufhof). Ein Blick hinter die Kulissen.
Tannenbäume mit roten Schleifen schmücken den Bauzaun, der den Willy-Brandt-Platz in zwei völlig verschiedene Zonen teilt: dort die gemütlichen Weihnachtsbuden mit fröhlichen Glühwein-Genießern – hier die Großbaustelle „Königshof“ (früher Galeria Kaufhof), in der Abbruchspezialisten mit Presslufthämmern und Betonsägen lärmend zu Werke gehen. Mittendrin steht der imposante Baukran: mit 45 Metern Höhe und 70 Tonnen Gewicht ein wahrer Koloss. Gut ein Jahr nach Schließung des Warenhauses besichtigen wir die Baustelle.
Uwe Hirzel, der Polier der „ARGE Königshof“, findet die Baustelle anspruchsvoll, „weil man hier jeden Tag auf neue Herausforderungen trifft“. Das sei oft so, wenn ein in die Jahre gekommenes Gebäude saniert und umgebaut werden müsse. Die Bauleute sprechen von „Bauen im Bestand“. „Das mache ich inzwischen sogar lieber als den reinen Rohbau“, fügt er hinzu.
Spezialisten sägen tonnenschwere Betonteile von der Fassadenfront
Schon seit Wochen sind sie dabei, das Gebäude zu entkernen und die Fassade zum Willy-Brandt-Platz hin zu öffnen. Das Knattern des Presslufthammers sorgt für eine Dauer-Geräuschkulisse. An diesem eiskalten Dezembermorgen trennen zwei Spezialisten mit der Betonsäge hoch oben auf der fahrbaren Scherenbühne schwere Betonteile von der Fassadenseite. Der wendige Kranausleger, der dabei schnell unterstützend zur Stelle ist, hat den klangvollen Namen „Manitou“.
Die Container stehen unten auf dem Platz ungefähr dort, wo zuletzt der beliebte Obststand platziert war. Sie nehmen die schweren Abbruchteile Stück für Stück auf. „Die wiegen zweieinhalb bis drei Tonnen“, so Hirzel. Die Abbrucharbeiten, die den Schaulustigen unten am Bauzaun eher brachial vorkommen mögen, erfordern in Wirklichkeit viel Geschick und höchste Präzision. Besonders vom Kranführer, der penibel darüber zu wachen hat, dass die Arbeiter bei den schweren Lasten, die hier bewegt werden, unversehrt bleiben. Ohne Walkie-Talkie läuft hier deshalb nichts. „Der Kranführer hat mit die größte Verantwortung“, betont Hirzel. Kein Wunder, dass Kran- und Baggerwetten bei Thomas Gottschalk die allerbesten waren.
An der Fassade haben sie auf den fünf Geschossen fast alle getönten Glasscheiben entfernt. Zugig ist es trotzdem nicht, aber völlig ausgekühlt. Im ersten OG ist bereits ein Stück Unterkonstruktion fürs Fassadenmuster montiert. Weil Original Naturstein viel zu schwer wäre, werden leichte Aluminiumelemente angehängt: in Natursteinoptik.
Die geöffnete Fassade und der 35 Meter hohe Lichthof bringen Licht ins riesige Haus
Vom ersten bis zum fünften Obergeschoss wird es in Zukunft keinen Handel mehr geben, sondern moderne „Multispace“-Flächen für Dienstleister. Während das Warenhaus einst geschlossene Fassaden brauchte, um innen möglichst viele Verkaufsregale stellen zu können, verlangt der neue Königshof Licht statt Wand. Das Problem der hohen Decken, es sind durchweg fünf Meter, lösen sie so: Sie werden mit Hilfe von Heiz- und Kühlsegeln abgehängt, die obendrein noch schallschluckend sind. Der Vorteil: „Das Feeling der hohen Decken bleibt“, sagt Oliver Berief, Geschäftsführer des Bauherrn mit dem XL-Namen „Kölnische Haus- und Grundstücksverwaltungsgesellschaft Dr. Koerfer GmbH & Co KG“.
Eine mittlere zweistellige Millionensumme investiert die „Koerfersche“ in den Königshof. In gewisser Weise betreiben die Kölner damit am Eingang zur Essener Innenstadt auch Traditionspflege. Ein Stück weiter die Lindenallee hinauf steht ein weiterer Koerfer-Bau: das Deutschlandhaus von Jacob Koerfer, Essens erstes Hochhaus. Gerne betonen die Koerfer-Chefs, wie sehr sie von der Strahlkraft und von der Zukunft des Einzelhandels in der Essener Innenstadt überzeugt sind. Sie wollen ein hochwertiges Projekt verwirklichen, das die nächsten Jahrzehnte Bestand haben soll.
Das einst für Horten errichtete Gebäude weist eine massive Substanz auf. Auf die Haustechnik (Lüftung, Klimaanlage, Aufzüge etc.) trifft diese Aussage allerdings nicht zu: Sie ist – von ein paar Regenfallrohren abgesehen – komplett rausgeflogen.
Die alte Gebäudetechnik verschlang immens hohe Energiekosten und musste weg
Der Geschäftsführer erzählt bei der Baustellen-Tour eine Anekdote, die den kolossalen technischen Wandel der letzten Jahrzehnte veranschaulicht. „Mit der uralten Technik hat dieses Gebäude in einem Monat genau so viel Energie verbraucht wie ‘The Crown’ in Düsseldorf im ganzen Jahr.“ Mit „The Crown“ ist das umgebaute Galeria-Warenhaus gemeint, das ebenfalls zur Koerfer-Gruppe gehört, und Vorbild für das Essener Projekt ist.
Wo die Galeria-Rolltreppen einst die Käufermassen hinauf- und herabbewegten, entsteht bald ein großer Lichthof: 35 Meter hoch und 200 Quadratmeter in seiner Grundfläche. Dafür müssen aus den Geschossdecken gewaltige Betonteile herausgesägt werden, die nur mit Hilfe des Riesenkrans aus dem Gebäude-Inneren herausgewuchtet werden können.
Ein Kapitel für sich ist der immense Aufwand, mit dem sie den Kran auf dem komplett unterkellerten Willy-Brandt-Platz standfest gemacht haben. Weil die Betondecke den 70-Tonnen-Koloss nicht zu tragen vermag und wohl einstürzen würde, haben sie genau darunter im 6,5 Meter hohen Untergeschoss (früher Schreibwarenabteilung) 16 Schwerlaststützen eingezogen, die eigentlich beim Tunnelbau in den österreichischen Alpen zum Einsatz kommen. Weil selbst die noch nicht reichen, haben sie im Tiefkeller 16 weitere Stahlstützen eingebaut. „Dafür haben wir die Bodenplatte aufgeschnitten und eigens ein neues Fundament gegossen“, erzählt Oliver Berief. Man merkt den Bauleuten an, wie stolz sie auf dieses aufwändige technische Meisterstück sind.
Alter Posttunnel steht der neuen Ladenstraße im Untergeschoss im Wege
Am Pavillon neben dem Eick-Haus („Sinn“) fallen Sonnenstrahlen ins dunkle Untergeschoss. Auch nach dem Umbau wird es hier einen Eingang geben, der während der Geschäftszeiten ins Basement führt. Dass auch der Pavillon neu gestaltet wird, steht außer Frage. Offen ist lediglich das Wie.
Freie Hand haben die Koerfer-Manager dabei nicht: Sie haben zu berücksichtigen, dass die Stadt Essen den Willy-Brandt-Platz komplett neu gestalten und deshalb einen europaweiten Ideenwettbewerb ausloben will. „Aktuelle Abstimmungen mit der Stadt zeigen uns, dass wir mit der Gestaltung des neuen Pavillons auf dem richtigen Weg sind“, betont Oliver Berief.
Mit dem Hinweis auf laufende Verhandlungen möchten die Koerfer-Manager noch keine Details über die künftigen Ankermieter preisgeben. Zuletzt war von einem großen Lebensmittel-Supermarkt die Rede.
Im Untergeschoss wird es eine „Mall“ geben. „Die Ladenstraße führt vom Pavillon bis zur Passarelle“, so Oliver Berief.
Königshof – ein Standort mit Geschichte
Der Standort Königshof hat eine wechselvolle Geschichte. Um 1900 stand hier das Grandhotel „Royal“, später wurde daraus das Hotel Königshof. Deshalb auch der Name des aktuellen Koefer-Projekts.1937 wurde das Hotel abgerissen und in weniger als einem Jahr durch das Warenhaus „DeFaKa“ (Deutsches Familien Kaufhaus) ersetzt. Der Bau mit der runden Ecke wurde 1976 abgerissen.Mit der Planung des Königshofs ist wie schon 1977 beim Horten-Bau das Düsseldorfer Architekturbüro RKW+ als Generalplaner beauftragt.
Damit diese Mall in voller Opulenz zur Wirkung kommt, steht ein „Eingriff“ an, dessen Vorbereitung den Königshof-Machern viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Gemeint ist der alte Posttunnel, der vom Hauptbahnhof zur Hauptpost im Basement durch das Gebäude führt und im Wege steht. Das Beton-Monstrum ist so groß, dass ein Geländewagen ihn bequem durchfahren könnte. Mehr als tausend Tonnen Beton sind damals verbaut worden, nun sind seine Tage gezählt. Oliver Berief: „Der Posttunnel kommt weg.“