Essen. Ein Essener Ehepaar richtet in einem Wohnhaus eine WG mit acht kleinen Appartements ein. Den Anstoß für das Projekt gab ihr Sohn.

Er hat die Comenius-Schule in Burgaltendorf besucht, geht nun in die Werkstätten, hat einen geregelten Tagesablauf und könnte mit über 20 auch zu Hause ausziehen. Eine passende Wohnung für ihren Ältesten zu finden, ist aber gar nicht so einfach. Darum richten Christiane Michelitsch und Thomas Imkamp kurzerhand selbst eine Wohngemeinschaft für ihren Sohn und weitere Bewohner mit geistiger Behinderung ein. Unterstützt werden sie dabei von der Lebenshilfe Essen.

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Das Ehepaar hat drei Kinder, die noch alle im Familienzuhause leben, doch es ist absehbar, dass die beiden Jüngeren in naher Zukunft ausziehen werden. „Wir wünschen uns, dass unser ältester Sohn das auch tun kann und dann nicht in ein winziges Zimmer in einer riesigen Wohngruppe ziehen muss“, erklärt Christiane Michelitsch. Ideal fände sie eine WG, die neben gemeinsam genutzter Fläche auch einen privaten Rückzugsraum bietet.

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Seit vielen Jahren haben sie und ihr Mann sich Gedanken gemacht, wie das aussehen könnte. Die Familie lebt im Essener Süden, wo günstiger Wohnraum rar ist. Ihre erste Idee, einen Bauernhof zum inklusiven Wohnprojekt zu machen, verwarfen sie bald: „Viel zu teuer.“

Dann habe sich der glückliche Zufall ergeben, dass in Burgaltendorf nicht weit von ihrem Wohnhaus ein Mehrfamilienhaus an der Kohlenstraße 1b zum Verkauf stand, erzählt Thomas Imkamp. „Das kam eigentlich zwei Jahre zu früh für uns, aber es liegt zentral und ist gut geeignet, also haben wir es gekauft.“

Inzwischen hat sich gezeigt, dass sie die Vorlaufzeit gut gebrauchen können. Denn mit der Aufgabe als Projekt-Entwickler und Bauherren sind Thomas Imkamp und Christiane Michelitsch ausgelastet. Die anfängliche Idee, die WG dauerhaft auch noch selbst zu betreiben und dafür einen Verein zu gründen, gaben sie auf: „Da besteht die Gefahr, dass am Ende alle Arbeit an uns kleben bleibt“, sagt Imkamp. „Wir werden ja auch älter und können das nicht ewig stemmen“, ergänzt seine Frau.

Hier soll die ambulante Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung entstehen: Das Gebäude an der Kohlenstraße 1b in Essen-Burgaltendorf soll erweitert werden.
Hier soll die ambulante Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung entstehen: Das Gebäude an der Kohlenstraße 1b in Essen-Burgaltendorf soll erweitert werden. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Auch bringe ein Träger, der schon ähnliche Projekte betreibt, die notwendige Expertise von Ausstattung bis Wirtschaftlichkeit mit. Und stelle sicher, dass die WG langfristig betrieben werde. Die Suche nach einem Kooperationspartner dauerte, aber die Familie musste auch früher schon Ausdauer beweisen. „Unser Sohn war seit seiner Kindheit immer überall dabei“, sagt Imkamp. Nicht immer sei das für jeden selbstverständlich gewesen. „Das war ein weiter Weg.“

„Da hat jeder Mitbewohner sein eigenes kleines Reich mit Wohn-Koch-Bereich, Schlafzimmer und Nasszelle.“

Christiane Michelitsch über die von ihr und ihrem Mann initiierte WG für Menschen mit geistiger Behinderung

In den vergangenen Jahren sahen sie sich also viele Wohnmodelle an, entdeckten bei der Lebenshilfe Hagen eine WG, die für sie zum Vorbild wurde: „Da hat jeder Mitbewohner sein eigenes kleines Reich mit Wohn-Koch-Bereich, Schlafzimmer und Nasszelle“, beschreibt Christiane Michelitsch. So könne jeder sich zurückziehen oder sich ungestört mit Gästen zusammensetzen.

Zunächst hofften das Ehepaar mit der Hagener Lebenshilfe auch den Träger für ihr Wohnprojekt gefunden zu haben, doch das sollte sich zuletzt zerschlagen. Bitter im Moment, aber längst verschmerzt. Jetzt haben sie in der Essener Lebenshilfe Service gGmbH einen Betreiber gefunden, der das Projekt mit Überzeugung und Herzblut angeht. Die Lebenshilfe begleitet Menschen mit geistiger Behinderung von der Inklusions-Kita bis zur Betreuung in der eigenen Wohnung.

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„Ambulant unterstütztes Wohnen ist bei uns ein großer Bereich, wir legen Wert auf eine professionelle Betreuung“, sagt Lebenshilfe-Geschäftsführer Jörg Woltermann-Hoffrichter. Auch in der Burgaltendorfer WG werden rund um die Uhr Fachkräfte anwesend sein – 365 Tage im Jahr. „Wir freuen uns, dass wir das mit einer so tollen Familie zusammen machen.“

Info-Nachmittag zur Wohngemeinschaft

Wie die ambulante Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung einmal aussehen soll, wie sie betrieben und gestaltet wird, können Interessierte bei einem Info-Nachmittag an diesem Samstag, 21. September, von 16 bis 20 Uhr erfahren: Kohlenstraße 1b in Essen-Burgaltendorf. Es soll einen lockeren Austausch bei Grillwurst und Getränken geben.

Das Projekt wird von der Lebenshilfe Essen Service gGmbH betrieben und ist von Christiane Michelitsch und Thomas Imkamp initiert worden. Die beiden freuen sich über Anmeldungen unter: zusage@mui-gmbh.de

Er halte Größe und Zuschnitt der geplanten Einrichtung für optimal, sagt Woltermann-Hoffrichter. Auch einen Garten, in dem man zusammen grillen könne, solle es geben. Möglich wird das durch eine Erweiterung des bestehenden Gebäudes; die jetzigen Mieter können in ihren Wohnungen bleiben. Damit sei das Projekt im besten Sinne „inklusiv“, führe also Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen.

Christiane Michelitsch freut sich schon darauf, ihren Sohn in seinem Zuhause zu besuchen, mit ihm spazieren zu gehen. Sie könnte sich vorstellen, eine Gruppe anzubieten, bei der die Mitbewohner mitlaufen können. „Vielleicht kann im Haus sogar ein integratives Café entstehen.“ So könnten sich WG und Stadtteil begegnen. „Schon jetzt kommen viele Leute auf uns zu, bieten Hilfe an“, sagt ihr Mann.

Das gibt Auftrieb für die nächsten Etappen: von Brandschutzkonzept über Baugenehmigung bis Baubeginn (erhofft für Spätsommer 2025). „Der gesamte Prozess hat viel Kraft und Nerven gekostet“, sagt Imkamp. Aber wenn alles klappe, könne ihr Sohn Ende 2026 mit Mitbewohnern zusammenziehen. „Ich bin sicher, die WG wird ihm guttun.“

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