Essen. Die Ratssitzung im Januar fiel aus, ebenso einige Bezirksvertretungen und Ausschüsse. Steht das politische Geschehen in Corona-Zeiten still?

Die Januar-Sitzung des Rates wurde abgesagt, ebenso einige Ausschusssitzungen im Februar und Zusammenkünfte der Bezirksvertretungen. Der politische Betrieb darf im Corona-Lockdown jedoch nicht lahmgelegt werden: Politik und Verwaltung müssen auch in Zeiten einer Pandemie handlungsfähig bleiben. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Was machen die Politiker mit ihrer freien Zeit, wenn die Sitzungen ausfallen?

Ratsfrau Michaela Heuser hat zuletzt Schneespaziergänge mit einigen Bürgern gemacht: „Dabei habe ich mir die Probleme angehört.“ Ansonsten saß sie vor allem im Januar viel vor dem Computer und wenig im Rats-Sessel.

Welche Richtlinien legen fest, wie Politik in Pandemie-Zeiten funktionieren kann?

Die Gemeindeordnung, die Corona-Schutzverordnung und ein Erlass des Landes NRW aus dem Januar legen fest, wie das politische Geschäft auch im Lockdown funktionieren kann.

Was sind die wichtigsten Regeln in Bezug auf politische Sitzungen?

Kernpunkte des Erlasses des Landes NRW sind, dass die Sitzungen nur in Präsenz und nicht über digitale Formate abgehalten werden dürfen, dass die Bürger das Recht haben, dabei zu sein und, dass der Rat seine Rechte auf den Hauptausschuss übertragen kann. Wird das beschlossen, gibt es eine Sitzung weniger, somit entfallen auch zahlreiche Kontakte. Grundsätzlich muss der Rat zusammenkommen, „so oft es die Geschäftslage erfordert“, gleiches gilt für Ausschüsse und Bezirksvertretungen. Über allem schwebt also die Frage: Muss der jeweilige Tagesordnungspunkt dringend abgearbeitet werden oder kann er warten?

Welche politischen Themen können nicht aufgeschoben werden?

Zum einen gibt es akute Vorfälle wie etwa die Silvester-Randale in Altenessen. 50 junge Männer randalierten und zeigten ihre Zerstörungswut auf Videoaufnahmen im Internet. Trotz Kontaktbeschränkungen berief Oberbürgermeister Thomas Kufen eine Krisensitzung mit Verantwortlichen von Stadt und Polizei ein. Der städtische Ordnungsausschuss kam zu einer Sondersitzung zusammen und auch im Innenministerium des Landes landete das Thema auf der Tagesordnung. 

Als weitere Beispiele, die auf den Tagesordnungen der Sitzungen und Ausschüsse stehen, nennt Stadtsprecherin Jasmin Trilling geförderte Projekte, die auslaufen, Hilfen für Vereine in der Corona-Krise, die auf den Weg gebracht werden müssen und laufende Baumaßnahmen, bei denen Entscheidungen notwendig sind, um keine Verzögerungen und somit Kosten zu riskieren.

Die Planung des Kinderbildungs- und Betreuungsangebotes im Kindergartenjahr 2021/2022 konnte beispielsweise nicht aufgeschoben werden - der Jugendhilfeausschuss tagte demnach planmäßig Anfang Februar. Am 1. März können die Kindergartenleitungen dann endgültig die Plätze vergeben, auf die viele Essener Eltern hoffen. Ein Stillstand der Politik wegen Corona hätte in diesem Fall langfristige Folgen.

Welche Themen können aufgeschoben werden?

Auf den Tagesordnungen der Bezirksvertretungen stand im Januar beispielsweise ein Gespräch zur Gesundheitsversorgung im Essener Norden mit Gesundheitsdezernent Peter Renzel und Contilia-Geschäftsführer Dirk Albrecht. In diesem Punkt entschieden die Verantwortlichen, dass die Diskussion auch ein paar Wochen oder auch Monate später stattfinden kann.

Brenzliger ist die Entscheidung im Bezug auf eine Verkehrssituation im Essener Süden. Zum einen geht es um eine gefährliche Kreuzung an der Ecke Kahrstraße/Goethestraße in Rüttenscheid. Nach dem Abbau von Ampeln kam es dort zu mehreren Unfällen. Zum anderen gab es mehrere Unfälle an der Haltestelle Rubensstraße in Holsterhausen. In beiden Fällen wären dringend Ortstermine mit Politik und Behörden erforderlich. Mit Rücksicht auf die die Coronaregeln kamen sie aber bislang nicht zustande.

Wer entscheidet, ob die Sitzungen ausfallen?

„Verwaltung, Ausschussvorsitzende und die Geschäftsführer der Fraktionen haben vor der Ratssitzung im Januar überlegt, ob es unaufschiebbare Tagesordnungspunkte gibt“, erklärt Jasmin Trilling. Auch die Bezirksbürgermeister in den Stadtteilen sprechen sich mit den einzelnen Fraktionen ab und entscheiden dann, ob die Sitzungen stattfinden. Im Januar sind die meisten Sitzungen ausgefallen, im Februar tagen einige Gremien wieder - so beginnt am Mittwoch, 24. Februar, um 15 Uhr die Ratssitzung in der Grugahalle.

Fraktionssitzungen, Parteitage und Beiräte können online stattfinden. Warum gilt das nicht auch - etwa über eine Videoplattform - für Rat, Ausschüsse und Bezirksvertretungen?

Die Gemeindeordnung schreibt vor, dass Bürger die Möglichkeit haben müssen, dabei zu sein. „Die Bürger müssen nachvollziehen können, was wie beraten und beschlossen wird, da sie von den Beschlusslagen unmittelbar betroffen sein werden“, erklärt Ministeriums-Sprecher Robert Vornholt. Zugänglich bedeutet in diesem Fall tatsächlich körperlich anwesend und nicht etwa per Livestream oder Zoom-Konferenz. Trilling erklärt, man könne nicht davon ausgehen, dass jeder ein Endgerät habe. Vornholt dazu: „Die Öffentlichkeit soll die Beratungen und Abstimmungen umfassend verfolgen können. Diese Anforderungen lassen sich auf digitale Formate nicht ohne Weiteres übertragen.“ Gleiches gilt für die Sitzungen selbst. Dort, wo Entscheidungen getroffen werden, müssen sich die Mitglieder persönlich treffen.

Bekommen die Politiker ihre Aufwandsentschädigung, auch wenn keine Sitzungen stattfinden?

Sie bekommen die Aufwandsentschädigung auch weiterhin, wobei die Sitzungen nur einen Teil ihres politischen Einsatzes ausmachen. Denn Fraktionstreffen und -gespräche finden trotz Lockdown durchaus statt, allerdings dann online. Zudem erhalten Bezirksvertreter auch nach wie vor Anfragen oder Beschwerden von Bürgern, mit denen sie sich befassen.

Wie empfinden Essens Politiker die Situation?

Michael Schwamborn (SPD), Vorsitzender des Sportausschusses, klagt über „mangelnde Demokratie“ und nennt die Januar-Sitzung des Hauptausschusses eine „Farce“, weil dort über Themen entschieden worden sei, die in „seinem“ Ausschuss erst später diskutiert wurden. Ratsfrau Michaela Heuser (SPD) bezweifelt, dass es sinnvoller ist, eine lange Ratssitzung abzuhalten, als zwei kurze: „Ich finde es erschreckend, dass so viel ausfällt.“

Bezirksvertreter Martin von der Gathen (CDU) ist neu im Amt. Er fühlt sich nicht ausgebremst: „Es gibt viele Kommunikationswege im Hintergrund.“

Hans-Wilhelm Zwiehoff (SPD), Bezirksbürgermeister im Norden, bleibt gelassen: „Für mich sind rechtliche oder tatsächliche Gründe, die einer Verschiebung der BV auf die März-Sitzung entgegenstünden, nicht erkennbar.“ Seinem Kollegen Michael Zühlke (SPD), Bezirksbürgermeister für Schonnebeck, Stoppenberg und Katernberg war es nach dem Ausfall der Januar-Sitzung wichtig, dass die Politiker jetzt zusammenkamen: „Den Haushalt wollten wir abschließen, sonst sind wir nicht handlungsfähig.“ Darunter leiden dann im Zweifel Einrichtungen, die keine Gelder bekommen.

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