Essen. Fast 2500 Kitaplätze fehlen in Essen. Doch Tagesmütter haben freie Plätze: Aus Sorge vor der zweiten Coronawelle verlängern Mütter die Elternzeit

Zum Start des neuen Kita-Jahres am 1. August fehlen in Essen trotz des Ausbaus der Kita-Landschaft noch 2439 Plätze. Zahlreiche Eltern haben ihren Rechtsanspruch förmlich angemeldet, 77 klagen sogar auf einen Betreuungsplatz. Gleichzeitig sind bei Tageseltern 227 Plätze frei. Die für die Tagespflege zuständigen Fachverbände beobachten eine große Verunsicherung bei den Eltern. „Viele Mütter verlängern die Elternzeit lieber noch ein halbes Jahr aus Sorge, was sie machen sollen, wenn eine zweite Corona-Welle kommt“, sagt etwa Caroline Heßeler vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV).

Aus Sorge vor der zweiten Corona-Welle verlängern Mütter die Elternzeit

Frauen, die länger zu Hause blieben, riskierten Nachteile bei Lebenseinkommen und Rente, warnt der Verband. Dabei habe sich die Tagespflege in der Corona-Zeit als verlässliche Betreuungsform bewiesen, sagt Caroline Heßeler: „Wir sind früher an den Start gegangen und haben die volle Stundenzahl angeboten.“ Bei Kitas war das Kontingent um je zehn Stunden reduziert worden.

Trotzdem gebe es bei den vom VAMV betreuten Tageseltern kurz vor Start des Kita-Jahres noch viele freie Plätze im ganzen Stadtgebiet. Ähnlich ist die Lage bei der CSE, wo 100 der fast 1000 Plätze offen sind. Aufgrund der unklaren Lage hätten sich einige Eltern entschieden, „Elternzeiten zu verlängern oder weiter im Homeoffice zu arbeiten“, sagt CSE-Pressereferentin Mirja Berresheim.

Knapp 22.500 Plätze in Kitas und bei Tageseltern in Essen

In Essen gibt es für Kinder von null Jahren bis zur Schulpflichtaktuell 22.426 Betreuungsplätze. Legt man die angestrebten Versorgungsquoten von 40 Prozent für Kinder unter drei Jahren (U3) und 100 Prozent Kinder über drei Jahren (Ü3) zugrunde, fehlen zum Start des Kita-Jahres im August 2439 Plätze.

Laufen alle Bauvorhaben glatt, wird sich die Zahl der fehlenden Plätzen im Lauf des Kita-Jahres 2020/21 auf gut 1200 reduzieren. Freilich wurden von den für 2019/2020 geplanten 1050 neuen Kita-Plätzen nur 771 schon realisiert. 187 Plätze verschieben sich ins neue Kita-Jahr, weitere 72 entstehen erst 2021/2022. Lediglich 20 Plätze werden gar nicht umgesetzt.

Aktuell haben 1.876 Eltern förmlich ihren Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz angemeldet. Außerdem laufen in 77 Fällen Klageverfahren zur Bereitstellung eines Betreuungsplatzes.

Weitere Infos auf: www.essen.de/kinderbetreuung

Für die Tagesmütter kann das Zögern der Eltern finanzielle Engpässe bedeuten. Schließlich betreuen nur noch wenige die Kinder im eigenen Zuhause, viele haben eigens Räumlichkeiten angemietet. Wer mit einer Kollegin eine „Großtagespflege“ betreibt, hat mitunter erhebliche Mietkosten. Da schlage es schon zu Buche, „wenn statt neun Kindern nur sechs angemeldet sind“, sagt Anneke Groneweg vom Diakoniewerk, das noch 60 offene Plätze meldet.

Wenn Plätze frei bleiben, geraten Tagesmütter schnell ins Minus

Die Interessengemeinschaft (IG) Kindertagespflege, die sich als Lobby der Tageseltern in Essen versteht, spricht von einer „megaschwierigen Situation“. In der akuten Corona-Zeit hätten Stadt und Land die Ausfälle zum Glück aufgefangen, betont Andrea Belusa von der IG. Wenn im neuen Kita-Jahr aber viele Plätze unbelegt blieben, machten die betroffenen Kolleginnen sofort Minus: Die ersten hätten schon aufgegeben oder dächten darüber nach. In der Krise zeige sich, wie unsicher der Job sei.

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Während die Tageseltern sonst im Juni ausgebucht seien und Wartelisten anlegten, habe sich die Lage nun verkehrt, sagt Andrea Belusa: „Auf Facebook, bei Ebay-Kleinanzeigen – überall suchen nicht mehr Eltern nach Plätzen, sondern Tagesmütter nach Kindern.“ Doch die blieben jetzt vermehrt zu Hause, und zwar nicht allein weil die Elternzeit verlängert wird.

Viele kombinieren Homeoffice und Kinderbetreuung – oft bis zur Belastungsgrenze

„Mit dem Homeoffice, das von fast allen Arbeitgebern geschaffen wurde, haben sich neue Möglichkeiten der Arbeitsorganisation aufgetan.“ Viele Familien hätten – zunächst notgedrungen – erlebt, dass sie keine externe Betreuung brauchen, wenn ein Partner Vollzeit und der andere Teilzeit im eigenen zu Hause arbeite. Andere hätten das jedoch als sehr belastend erlebt, ergänzt Caroline Heßeler vom VAMV: „Viele Mütter gerieten an ihre Grenzen.“

Awo-Chef Oliver Kern bezweifelt daher auch, dass es eine langfristige Abwendung von der Tagespflege gibt: Bei der Arbeiterwohlfahrt würden 680 Kinder betreut, nur 16 Plätze seien derzeit frei. „Und wir bilden gerade neue Tageseltern aus.“ Auch die Stadt erklärt, dass von den knapp 1600 neuen Betreuungsplätzen, die im nächsten Kita-Jahr entstehen sollen 320 auf Tageseltern entfallen.