Essen. Ruhr Museum Essen präsentiert den „Adel an Rhein und Ruhr“. Warum das Land der „Schlotbarone“ einst eine der burgenreichsten Regionen Europas war.
Wer an Schlösser, Burgen und Herrenhäuser denkt, der hat nicht unbedingt das Ruhrgebiet vor Augen. Im Land der „Schlotbarone“ sind die Fördertürme zu Wahrzeichen geworden. Und genau dort, auf der Essener Welterbezeche Zollverein, hat der „Adel an Rhein und Ruhr“ nun seinen großen Auftritt. Mehr als 800 Ausstellungsexponate zeugen davon, dass das Land zwischen Rhein und Ruhr auch eine reiche vorindustrielle Vergangenheit hat – und einst sogar eine der burgenreichsten Regionen Europas war.
Es ist eine Ausstellung mit Glanz und Gloria, mit Ritterrüstung und Galauniform. Doch die Überblicksausstellung über 1000 Jahre Feudalgeschichte zeigt viel mehr als Prunk und Pracht dieser vom Frühmittelalter bis zum Ende des Ersten Weltkriegs herrschenden Schicht. Sie verdeutlicht beispielsweise auch, wie eng die heutigen Strukturen des Ruhrgebiets (53 Städte) noch mit der einstigen Vielzahl kleinteiliger Herrschaften zusammenhängen. Von den etwa 400 Adelssitzen im Hoch- und Spätmittelalter existieren heute noch rund 200 Herrenhäuser und Burgen, mehr oder weniger gut erhalten.
Viele Exponate waren bislang noch nie zu sehen
Die Ausstellung zeigt aber auch, welchen Anteil der Adel an der Industrialisierung hatte. Manche waren sogar Pioniere – wie die Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Sachsen mit dem Kauf der St. Antony-Hütte in Oberhausen. Andere Industriedynastien wie die Familie Krupp wurden später wiederum durch Heirat Teil der Adelswelt und zu den Krupp von Bohlen und Halbachs.
Drei Jahre Forschungsarbeit haben die Historiker des Hauses in die Vorbereitung gesteckt. So ist die Schau nicht nur die Bilanz einer fundierten, wissenschaftlichen Recherche, es ist auch das Ergebnis langer vertrauensbildender Maßnahmen, die durchaus notwendig waren, um Zutritt in die privaten Archive und Sammlungsräume zu bekommen und sogar Einlass in die Wohnzimmer zu finden. „Wir erschließen eine Welt, die den Menschen sonst weitgehend verborgen bleibt“, sagt Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums.
Die edle Tapisserie mit dem Wappen der Familie von Westerholt-Lembeck schmückt sonst den Wohnbereich. Wie auch das Löwenfell einer – an Altersschwäche verblichenen Wildkatze – aus dem ehemaligen Löwenpark von Egon Graf von Westerholt bislang durchaus zur Einrichtung gehörte. Und das Gemälde der schönen Adeligen aus der Familie von der Recke, das ein unbekannter Maler um 1600 geschaffen hat, stammt aus dem Besitz des Freiherrn von Fürstenberg, Hausherr im weithin bekannten Schloss Hugenpoet.
Aus dem Kettwiger Schloss-Archiv stammen eine Reihe von Exponaten, darunter ein Jagdhorn aus dem 18. Jahrhundert oder die familieneigene Uniform eines Malteserritters. Viele andere private Leihgeber öffneten daraufhin ihre Archive, aber auch etliche Museen, Bibliotheken und Sammlungen sind beteiligt. Das Kunsthistorische Museum Wien hat den Prunkharnisch des Herzogs Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg geschickt. Das Großgemälde der Essener Fürstäbtissin Franziska Christine und ihres schwarzen Kammerdieners Ignatius Fortuna ist ebenso zu sehen wie eine Holzstatue des 1225 ermordeten Kölner Erzbischofs Engelbert II. und viele weitere wertvolle Exponate. Der Versicherungswert der Ausstellung beläuft sich auf stattliche 30 Millionen Euro.
Die Schau prunkt nicht nur mit weltlichen Preziosen, mit Kunstwerken, Interieurs und Möbeln, Streitkolben und Ringpanzerhelmen, Urkunden und Gerichtssiegeln, die Machtbefugnisse und Besitztümer regelten. Und Stücken, die so unterschiedliche Aspekte wie die adelige Kindheit und Erziehung, die Heiratspolitik, die höfischen Repräsentation, aber auch Macht- und Privilegienverlust, kulturelles und soziales Engagement und die Form der adeligen Selbstdarstellung beleuchten.
Bedeutenden Platz nehmen auch die geistlichen Schätze ein. Das Ruhrgebiet und seine Ausläufer sei stärker als andere Regionen vom geistlichen Adel geprägt, sagt Theodor Grütter. Allen voran das Frauenstift Essen mit seiner fast tausendjährigen Fürstäbtissinnen-Herrschaft. Die Essener Domschatzkammer hat denn auch einige der wichtigsten Sammlungsstücke zur Verfügung gestellt. Darunter das ottonische Zeremonialschwert und das Große Karolingische Evangeliar.
Die fensterlosen Bunkerräume werden zum weiträumigen „Glaspalast“
Ausstellungsgestalter Bernhard Denkinger hat die fensterlosen Bunkerräume des Ruhr Museums dafür in einen weiträumigen, lichten „Glaspalast“ verwandelt, wo aus den Seitenschiffen bisweilen mal der Klang einer Knickhaltslaute dringt und der scheinbare Widerspruch von Industrie und feudaler Welt für einen besonderen Reiz sorgt.
Und doch dürfen auch Schatten auf die Noblesse fallen. „Die Ausstellung ist keine Glorifizierung des Adels“, betont Grütter. Ein Aspekt der Ausstellung ist beispielsweise die Rolle des Adels in der NS-Zeit. Und auch das 1926 angestrebte – aber nicht durchgesetzte – Volksbegehren zur „Fürstenenteignung“ hat seinen Ausstellungsplatz. Der Besitz blieb erhalten wie auch die bis heute ungebrochene Faszination fürs blaue Blut.