Essen. Mit einer Mischung aus Frust und Wut reagieren die Menschen in Altenessen auf den Gewaltausbruch, fordern mehr Schutz und härteres Durchgreifen.
Altenessen-Mitte am Samstagmorgen knapp 36 Stunden nach der Silvester-Randale. Die völlig demolierte Bushaltestelle haben sie provisorisch mit rot-weißem Flatterband abgesichert, die roten Pflastersteine sind übersät mit Scherben und Glassplittern. Die Schneise der Verwüstung reicht von den Treppen der U-Bahn bis zum Altenessener Markt: Ein Dutzend aus den Verankerungen gerissener und zerstörter Papierkörbe liegen auf dem Boden herum. Von den beiden angezündeten grünen Mülltonnen mitten auf dem Marktplatz ist eine zur Hälfte geschmolzen. Ein Stück weiter die demolierte Leuchtreklametafel mit einem Haufen Scherben darunter.
"Warum wird das nicht weggeräumt?", sagt eine Geschäftsfrau und fügt spitz hinzu: "In Bredeney wäre der Dreck längst weg gewesen." Auch die Mitarbeiterin der nahen Apotheke nimmt kein Blatt vor den Mund. "Diese Ecke ist auch sonst oft versifft."
Passantin zückt das Handy und fotografiert: "Ja, es ist hier schlimmer geworden"
Erst vor wenigen Tagen war Altenessen wegen seines vermeintlichen Verlierer-Images überregional in die Schlagzeilen geraten. Der Altenessener FDP-Chef Thomas Spilker brachte das Fass zum Überlaufen mit dem provokativen Satz "Ich empfehle jedem, hier wegzuziehen."
Zuerst das geschlossene Marienhospital, dann das Altenessen-Bashing, zwischendurch Zoff zwischen Libanesen und Syrern, jetzt die Silvester-Randale. Der Stadtteil kommt nicht zur Ruhe. "Hier muss was passieren, auf jeden Fall brauchen wir mehr Polizei", sagt die Hundetrainerin Franziska Thelen, die auf den Bus wartet und die demolierte Haltestelle betrachtet. "Vor einem Jahr haben sie die Scheiben an Silvester auch schon kaputtgemacht."
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Eine Passantin kommt vorbei, zückt das Handy und fotografiert das Symbol des Gewaltausbruchs: die Scherben-Haltestelle. "Ja, es ist hier schlimmer geworden", sagt die Frau, die aus Oberhausen zugezogen ist. Furchtbar sei der Anblick der Schäden. Bislang habe sie sich in Altenessen sicher gefühlt, doch nun kommen Zweifel in ihr hoch. "Nachts traut man sich nicht mehr, hier vorbeizugehen."
Zwar beteuern Sicherheitsexperten, dass Altenessen gemessen an der Häufigkeit der Straftaten kein Kriminalitätsschwerpunkt sei. Dagegen steht das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen, sie fühlen sich zunehmend unwohl.
Belebtes Quartier: der kleine Abschnitt zwischen Alter Badeanstalt und Marktplatz
Der kleine Abschnitt zwischen Alter Badeanstalt und Altenessener Markt zählt zu den belebtesten im ganzen Stadtteil. Drei Bus- und zwei U-Bahnlinien treffen hier zusammen, hinzu kommt die vielbefahrene Altenessener Straße, nur ein Steinwurf entfernt befindet sich das stark frequentierte Allee-Center.
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"Jeden Tag nach 16 Uhr treffen sich die jungen Männer hier - zum Döner essen oder nur zum Quatschen", berichtet die Apothekerin. Eine Gruppe halte sich am Eingang zur U-Bahn auf, die andere vor Woolworth, die nächste auf dem Markt oder vorm Friseurladen. Sie sagt: "Das ist ein richtiger Brennpunkt geworden."
Das mit Gangsta-Rap unterlegte "Tik-Tok-Video" und der Vorschlaghammer
War die Silvester-Randale ein spontaner Gewaltausbruch oder womöglich eine sorgfältig inszenierte und geplante Aktion? Das mit Gangsta-Rap unterlegte und mit exakt geschnittenen Randale-Bildern komponierte "Tik-Tok-Video" spricht eher für letzteres. Die Sequenz mit dem Vorschlaghammer an der Haltestelle untermauert das. Kein Mensch geht mit einem Vorschlaghammer zur Silvesterfeier.
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"Die Polizei muss knallhart durchgreifen", findet der türkischstämmige Taxifahrer. Und fügt hinzu: "Mein Auge weint, wenn ich die Zerstörung hier sehe." Er ist sich sicher, dass junge Männer mit arabisch-kurdisch-libanesischen Wurzeln die Randale verübt haben. Respektlosigkeit und Gewalttätigkeit - das lernten sie von ihren Eltern. "Die Alten sagen den Jungen: Euch kann ja nichts passieren, wir sind staatenlos."
Ein Anwohner klagt: "Die Polizei ist erst gekommen, als es zu spät war"
Ein alteingesessener Altenessener kommt gerade aus der Bäckerei und schüttelt angesichts der Schäden der Silvesternacht den Kopf. Auf die Polizei ist er nicht gut zu sprechen. "Die ist erst gekommen, als es zu spät und alles schon kaputt war."
Was auffällt: Nur wenige Gesprächspartner sind an diesem Samstagmorgen bereit, ihren Namen zu nennen. Eine Geschäftsfrau spricht von einem Klima der Einschüchterung und der Bedrohung. "Die Leute haben Angst, den Mund aufzumachen."
Die Mitarbeiterinnen der kleinen Apotheke berichten, dass sie vor wenigen Monaten das Ziel von Pöbeleien geworden seien. "Sie haben die Ladentür zugehalten, dabei hat ein junger Apotheker sie mit dem Handy fotografiert", erzählen sie. Danach habe sich der Streit weiter hochgeschaukelt. "Sie wollten ihm das Handy entreißen, es kam zu Handgreiflichkeiten, schließlich haben wir die Polizei gerufen."
Ein halbes Dutzend EBE-Leute wurde zum Aufräumen nach Altenessen beordert
Es ist viertel vor zwölf, als in Altenessen plötzlich ein Trupp der Stadtreinigung aufschlägt: mit großem Müllwagen, Pritschenwagen, kleiner Kehrmaschine und einem halben Dutzend Männern in Orange. Es heißt, der OB habe bei der EBE interveniert. Eigentlich sollte der Trupp nur in Schonnebeck zu Werke gehen, für Altenessen sei ein anderer Trupp zuständig. Doch nun sind sie da und beseitigen zügig die Spuren der Silvester-Randale.
Die Hundetrainerin an der Haltestelle bedauert den Gewaltausbruch von Altenessen und fürchtet mögliche politische Konsequenzen. "Das ist der ideale Nährboden für den Rechtsradikalismus."
Die standhaften Frauen in der Apotheke verbreiten trotz der Ausschreitungen Zuversicht: "Wir haben eine nette Nachbarschaft und passen aufeinander auf, jeder hat ein Auge auf den anderen." Doch das reiche wohl nicht mehr aus. "Wir brauchen jetzt regelmäßige Kontrollen durch die Polizei."