Duisburg. In Duisburg besetzen Menschen im großen Stil illegal Wohnungen. Anwohner beklagen unzumutbare Zustände. OB Sören Link sagt, was die Stadt dagegen tut.
Ein Wohnkomplex an der Otto-Hahn-Straße/Max-Planck-Straße sorgt in Duisburg-Neumühl seit zwei Jahren für Ärger. Hier besetzen Menschen aus Südosteuropa im großen Stil illegal Wohnungen. Die Anwohner beklagen wilde Müllkippen, Pöbeleien, Bedrohungen, Lärm und beobachten offenbar kriminelle Machenschaften.
Menschen aus dem Viertel haben vor dem Rathaus demonstriert, weil sie die Abwärtsspirale ihres Quartiers nicht hinnehmen wollen. Auch ein Treffen mit Stadtspitze und Polizei hat es schon gegeben, bei dem den Betroffenen Hilfe versprochen wurde.
Seitdem sind drei Monate ins Land gegangen. Was ist seit der Versammlung passiert? Sabine Ring und Oliver Kühn haben darüber mit Oberbürgermeister Sören Link gesprochen.
Die ersten beiden Razzien gegen illegale Mieter im Gebäudekomplex an der Otto-Hahn-Straße sind gelaufen. Welche Erkenntnisse hat die Stadt dabei gewonnen?
Die Erwartungen und die Annahmen, die wir im Vorfeld hatten, wurden bestätigt. Wir haben viele Menschen angetroffen, die keinen gültigen Mietvertrag haben und dort nicht gemeldet waren. Die Polizei hat bislang 18 Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Einmietbetrug gefertigt. Wir prüfen die rund 20 Häuser extra Schritt für Schritt und hoffen so, dass sich die Kontrollen herumsprechen und dass der ein oder andere dann daraus seine Schlüsse zieht. Das wäre ja auch ein Erfolg.
Wer fährt die rumänischen Wohnungsbesetzer überhaupt nach Neumühl?
Für mich ist das organisierte Kriminalität verschiedener Akteure. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen in Bulgarien oder Rumänien von ganz allein auf die Idee kommen, nach Duisburg oder Gelsenkirchen zu ziehen. Da gibt es diejenigen, die die Menschen hierhin bringen, dann sind da diejenigen, die Mietverhältnisse fingieren und Wohnungen stellen. Und dann haben wir noch Akteure, die sich um fingierte Arbeitsverhältnisse kümmern. Dieses verschachtelte Gebilde aufzudecken, ist unglaublich kompliziert.
Neulich gab es zum Thema fingierte Jobs eine große Razzia in NRW.
Ja, dabei sind auch in Duisburg gefälschte Arbeitsverhältnisse aufgedeckt worden. Ich weiß, dass solche behördenübergreifenden Einsätze zwar viel Zeit und Kraft kosten, am Ende aber genau die richtige Antwort sind. Es ärgert mich, dass das notwendig ist, aber wir ziehen das konsequent durch, weil wir eben den Niedergang einzelner Quartiere nicht hinnehmen.
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Inzwischen hat die Stadt eine Meldesperre verhängt. Man kann sich nicht mehr unter den bekannten Adressen anmelden. Was versprechen Sie sich davon?
Mit diesem Instrument können wir einen Schlussstrich ziehen. Jetzt haben wir endlich die Chance, die Menschen, die kein legales Mietverhältnis haben, aus den Häusern herauszubekommen. Dann können wir uns um die kümmern, die dort wohnen und sich sozial adäquat verhalten.
Sie sagen, die Städte müssten sich mit den Symptomen einer falsch verstandenen Freizügigkeit herumschlagen.
Ja, aus meiner Sicht ist die Armutszuwanderung aus Südosteuropa ein Riesenproblem für Städte wie Duisburg. Es muss auf europäischer und nationaler Ebene geregelt werden. Es kann nicht sein, dass Leute unter dem Deckmantel der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Deutschland kommen, aber faktisch überhaupt keine Arbeitnehmer sind, sondern – wenn überhaupt – geringfügig beschäftigt und den Rest ihres Einkommens aus Sozialleistungen beziehen. Wenn es hier keine Lösung gibt, sind wir am Ende der Kette immer die, die an den Symptomen herumdoktern. Das ist einfach falsch. Ich kann den Frust der Menschen in Neumühl nachvollziehen, und ich bin in den letzten Jahren bei kaum einem anderen Thema so klar und deutlich gewesen. Viele dieser Leute sind illegal hier und beziehen zu Unrecht Sozialleistungen. Natürlich ist das für uns als Kommune eine Riesenbelastung.
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Kann die Stadt nicht Menschen rausschmeißen, die gegen die Regeln der Freizügigkeit verstoßen, also zum Beispiel nach drei Monaten keinen Job nachweisen können?
Wir tun das im Rahmen dessen, was uns möglich ist. Aber was passiert, wenn wir durchgreifen? Dann fährt derjenige, überspitzt gesagt, in die Niederlande, kauft sich ein Päckchen Kaffee und reist mit der Quittung wieder ein. Und dann beginnt die Frist von vorne. Denn es ist rechtlich noch nicht endgültig geklärt, ob man schon mit einer sehr kurzen Ausreise seine Ausreiseverpflichtung erfüllt. Solange das aber legal zu sein scheint … was soll ich da meinen Mitarbeitern sagen? Die verzweifeln an sowas. Das ist verheerend.
Sie haben gemeinsam mit der Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, Katrin Welge, Alarm geschlagen. Haben Sie das Gefühl, dass sich irgendwas tut in Europa oder auf Bundesebene?
Nein, gar nicht. Ich habe noch nicht mal das Gefühl, dass jemand versucht zu verstehen, worum es uns geht. Geschweige denn, dass sie in Brüssel oder Berlin ernsthaft versuchen, etwas an dem Problem zu ändern. Ich habe nichts gegen Arbeitnehmerfreizügigkeit. Und ich habe auch nichts gegen Zuwanderung. Wir sind hier in Duisburg über Jahrzehnte, fast Jahrhunderte zuwanderungserfahren. Wir können Zuwanderung. Integration können wir übrigens auch. Aber hier kommt eine Gruppe, die alle bisherigen Ansätze von Integrationsarbeit, von Willkommenskultur sprengt. Ich kann nicht zulassen, dass diese Gruppe intakte Quartiere in eine Negativspirale zieht.
Haben Sie eine Idee, wie Sie die Mandatsträger, die etwas verändern könnten, erreichen?
Ich bleibe beharrlich dran, lege Lösungen auf den Tisch, fordere Lösungen ein. Ich lade die Leute ein, fahre nach Brüssel, Berlin und Düsseldorf. Ich vernetze mich mit anderen Oberbürgermeistern. Manches dauert lange, für mich manchmal zu lange. In Duisburg ist es nicht nur die Zuwanderung unter dem Deckmantel der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern es ist organisierte Kriminalität. Und da muss der Staat, da müssen die Strafverfolgungsbehörden reagieren. Ich werde jedenfalls nicht müde darin, das zu sagen und weiter Druck zu machen.
Was kann die Stadt sonst noch tun?
Ordnungsamt und Wirtschaftsbetriebe sind vor Ort. Wir schaffen Müll weg. Wir kontrollieren Autos ohne Nummernschild oder Autos mit rumänischem, bulgarischem Kennzeichen, wenn Verdachtsmomente vorliegen. Wir gleichen unsere Erkenntnisse mit anderen Behörden ab. Wir sorgen dafür, dass die Freizügigkeitsvoraussetzungen überprüft werden. Wir arbeiten mit Schulen zusammen, um Schulbescheinigungen fälschungssicher zu machen. Die Stadtwerke sind gegen Stromklau engagiert. Uns sind aber auch Grenzen gesetzt: Wir können nicht in allen Stadtteilen in Duisburg, wo es derartige Auswüchse und Probleme gibt, mit Personal in dem Umfang und in der Geschwindigkeit agieren, wie die Bürger es erwarten.
Der Versuch einer Integration scheitert bei diesen Menschen?
Wir leisten für viel Geld eine richtig gute Integrationsarbeit. Nur leider interessiert das einen Großteil dieser Menschen nicht. Sie verweigern sich aktiv einer Integration oder sie sind, bevor Maßnahmen wirken, schon wieder weg, in der nächsten Stadt. Das ganze Spiel beginnt von vorne. Auch das gehört zur Wahrheit und macht es so schwer für uns.
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Nicht nur in Neumühl gibt es Probleme mit Müll, Pöbeleien, Bedrohung und Gewalt. Warum trifft das Phänomen gerade unsere Stadt?
Wir haben im Vergleich zu anderen Städten noch immer relativ günstigen Wohnraum und viele leere Wohnungen. Das begünstigt diese Entwicklung.
Haben Sie die Befürchtung, dass die Neumühler und Neumühlerinnen bei der Bundestagswahl verstärkt AfD wählen? Die Partei soll dort sehr aktiv sein.
Ich lehne extremistische oder populistische Parteien ab. Sie helfen nicht, sie spalten nur. Deswegen hoffe ich, dass sie bei den Wahlen nicht so viele Stimmen erhalten. Dass die Anwohner, mit denen ich gesprochen habe, auch nicht auf den AfD-Populismus einsteigen, finde ich wirklich anerkennenswert. Vielmehr fordern sie zu Recht, dass Staat und Stadt helfen. Da bin ich stolz drauf. Und deswegen ist es auch mein Wunsch und meine Mission, ihnen zu helfen.