Gelsenkirchen. Armutszuwanderung belastet Städte: Gelsenkirchen und Duisburg suchen Hilfe bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Wie kann die Europäische Union (EU) die Entwicklungen des Ruhrgebiets zur „grünen Industrieregion“ und „Bildungsmetropole“ unterstützen? Wie ist der soziale Zusammenhalt zu erhalten und zu stärken? Die EU beeinflusst mit Fördergeldern oder auch mit Regelungen wie etwa der Arbeitnehmerfreizügigkeit die Lebensverhältnisse und den sozialen Zusammenhalt in den Kommunen. Deshalb hat der Kommunalrat im Regionalverband Ruhr (RVR) diese und weitere Fragen am 29. und 30. Januar mit Spitzenvertreterinnen und -vertretern der EU beim Ruhr Dialog 2025 in Brüssel diskutiert und seine Forderungen eingebracht.
Das Ziel der erneuten Delegationsreise war es, sich frühzeitig in die Diskussion um die Neuausrichtung der EU-Förderpolitik einzubringen. Der Kommunalrat ist das Gremium der Hauptverwaltungsbeamten des RVR, dem neben Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge zehn Oberbürgermeister sowie vier Landräte des Ruhrgebiets angehören.
Oberbürgermeister von Gelsenkirchen und Duisburg machen deutlich, wie es um den sozialen Zusammenhalt in ihren Städten steht.
Karin Welge und der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (beide SPD) machten dabei deutlich, wie es um den sozialen Zusammenhalt in ihren Städten steht. Der sei durch die Regelungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und die damit verbundenen Zuwanderungen aus EU-Ost zusätzlich belastet, so Welge. Gelsenkirchen hat mit fast 15 Prozent die höchste Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet. Die derzeit rund 12.000 Menschen aus EU-Ost leben oft in prekären Lebensverhältnissen in Problemimmobilien. Die Zahl der zugewanderten bulgarischen Staatsangehörigen ist im Zeitraum von 2014 bis heute um 334 Prozent gestiegen, die der rumänischen Staatsangehörigen um 233 Prozent. Insgesamt ist der Anteil der Menschen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit um 207 Prozent angewachsen.
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Die Menschen aus EU-Ost haben häufig keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt, mehr als die Hälfte bezieht Leistungen aus dem Bürgergeld. Wer arbeitet, ist oft in ausbeuterischen Strukturen im Niedriglohnbereich tätig. Die Integration dieser Zugewanderten gelingt nur sehr eingeschränkt, so die Stadt Gelsenkirchen. „Die Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien führt zu Spannungen in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber auch in der gesamten Stadtgesellschaft“, betonte Welge. Und weiter: „Die Armutszuwanderung ist von den Kommunen allein nicht zu schultern.“
In Brüssel machte die Oberbürgermeisterin deutlich, wie die Stadt der Situation begegnet und welche Herausforderungen damit verbunden sind. So hat zum Beispiel das Interventionsteam EU-Ost im Jahr 2024 über 150 Objekte überprüft, um gegen untragbare Wohnverhältnisse in Problemimmobilen vorzugehen, aber auch um den unberechtigten Bezug von Sozialleistungen aufzudecken. „Gelsenkirchens Ausgaben für Sozialleistungen für die oft bildungsfernen Großfamilien sind überproportional hoch. Neben Kontrollen und Repression setzt Gelsenkirchen auch auf präventive Maßnahmen, den Einsatz von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie auf Bildung“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt. So sind zum Beispiel aufgrund der hohen Zuwanderung nicht nur aus EU-Ost neue Schulbauten erforderlich, deren Bau die Stadt finanziert.
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Oberbürgermeisterin Karin Welge sieht die EU in der Pflicht, die Kommunen bei den zu erbringenden erheblichen Integrationsleistungen stärker und kontinuierlich zu unterstützen. Sie weist darauf hin, dass viele der kommunalen Ziele deckungsgleich mit den Zielen der EU sind. Dies sind zum Beispiel die Stärkung der Demokratie und des sozialen Zusammenhalts oder auch die Unterstützung der von Armut und Ausbeutung betroffenen Bevölkerungsteile. Um diese Ziele zu erreichen, sei eine kontinuierliche und auch höhere Förderung mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfond (ESF) erforderlich. Auch beim Ankauf und bei den Kosten für den Abriss von Problemimmobilien könne die EU mit entsprechenden Fördermitteln unterstützen.
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„Vor allem aber muss der Zuwanderungsdruck aus Rumänien und Bulgarien geringer werden. Helfen würde, die EU-Rahmenbedingungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit anzupassen und den Arbeitnehmerbegriff zu überarbeiten. Wir müssen Arbeitnehmerfreizügigkeit neu regeln, um eine weitere Segregation und Spaltung in der Stadt zu verhindern.“ so Karin Welge, die mit gleiches schon mehrmals auch auf Bundesebene eingefordert hatte.
Außerdem müssten EU-weite Standards für die Erhebung und den Austausch der Daten zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und Armutsmigration geschaffen werden. „Ich würde mich daher sehr freuen, wenn Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission oder Mitglieder der EU-Kommission der Einladung meines Amtskollegen Sören Link nach Duisburg und meiner Einladung nach Gelsenkirchen folgen würden. Vor Ort können sie sich dann ein Bild von der Situation und den verschiedenen Herausforderungen machen“, lädt Oberbürgermeisterin Karin Welge zu einem Besuch ein.
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Und auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link hatte bei einem Diskussionsabend im November mit Blick auf Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien gesagt, dass diese Menschen zum Teil „eine Menge Unruhe in die Quartiere bringen“ würden, betonte Link mit Blick auf Probleme wie Vermüllung oder Lärmbelästigung. „Wenn man westeuropäische Standards anlegt, ist das kaum mehr zu ertragen“, sagte der SPD-OB in der Abendveranstaltung mit dem Titel „Kommunen am Limit“. „Es ist einfach unerträglich. Das haut mir die besten Nachbarschaften kaputt.“
Duisburg sei eine „ausgesprochen offene Gesellschaft“. Aber man könne den Menschen in Teilen von Hochfeld, Marxloh oder Neumühl nicht mehr sagen, dass sie die Situation aushalten müssten. „Da müssen Kommunen deutlich mehr Hilfe erwarten können“, forderte Link. „Es kann nicht sein, dass die Probleme, die Rumänien und Bulgarien haben, auf unserem Boden gelöst werden sollen.“