Duisburg. Verkehrsberuhigung und weniger Parkplätze: Ein Verkehrsversuch spaltet Duisburg-Ruhrort. Das sind die Argumente der Befürworter und Gegner.

Wie geht es weiter mit dem Neumarkt in Duisburg-Ruhrort? Seit eineinhalb Jahren läuft auf dem zentralen Platz in dem Hafenstadtteil ein Verkehrsversuch. Eine Fahrspur wurde für die Durchfahrt gesperrt, damit mehr Raum für Fußgänger entsteht oder auch, damit sich Ruhrorter und Besucher den Neumarkt zurückerobern. Sie sollten dort beispielsweise ihre Freizeit verbringen. Ob die Verkehrsberuhigung nun hilft oder die Situation verschärft, daran scheiden sich auch heute noch die Geister.

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Bei einer Veranstaltung im „Plus am Neumarkt“, die den Stadtplanern helfen sollte, zu überlegen, wie es mit der (Verkehrs-)Situation vor Ort weiter gehen soll, zeigte sich, wie verhärtet die Fronten sind. Kritiker fühlten sich nicht ernst genommen. Das lag auch am Format der Veranstaltung. Statt eines Vortrags mit anschließender Diskussion sollten die dutzenden Teilnehmer an Stellwänden ihre Ideen äußern oder Kritik notieren. Mancher fühlte sich da an Gruppenarbeit in der Schule erinnert.

Andere meinten, dass so eine Meinungsabfrage nach eineinhalb Jahren zu spät komme. Grundsätzlich ist der Versuch von der Bezirksvertretung Homberg/Ruhrort/Baerl für zwei Jahre beschlossen worden und muss im nächsten Frühjahr bewertet werden. Danach können die Politiker beraten, ob der Versuch verlängert oder wie der Platz und die Verkehrssituation anders gestaltet werden sollen.

Anwohnerin erkennt Stadtteil nicht mehr wieder

Andrea Joost (li.) lebt seit 62 Jahren in Ruhrort und hält nichts von dem aktuellen Verkehrsversuch. Das macht sie Falko Kupsch und Gina Röckelein von der Stadt deutlich.
Andrea Joost (li.) lebt seit 62 Jahren in Ruhrort und hält nichts von dem aktuellen Verkehrsversuch. Das macht sie Falko Kupsch und Gina Röckelein von der Stadt deutlich. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Andrea Joost ist Anwohnerin, „seit 62 Jahren“. Ihren Stadtteil erkennt sie nicht mehr wieder, nennt leerstehende Ladenlokale und Zugezogene mit Migrationshintergrund als Gründe. Seitdem der Neumarkt verkehrsberuhigt ist, werde er von vielen Kindern zum Spielen genutzt. „Die Bolzen mit dem Ball herum, dass man aufpassen muss, dass keine Scheibe eingeschlagen wird. Oder sie fahren mit Rollern in die Hauseingänge. Die bunten Möbel werden von Großfamilien bevölkert. Das ist nicht mehr schön.“

In Ruhe auf dem Balkon könne man kaum noch sitzen. Ihren Nachbarn gehe es ähnlich. Ihrem Ärger hat sie in einem Brief Luft gemacht. Außerdem hat sie Unterschriften gesammelt, die sie den Politikern überreichen möchte. Sie hofft, dass alles wieder zurückgenommen wird.

„Die Bolzen mit dem Ball herum, dass man aufpassen muss, dass keine Scheibe eingeschlagen wird. Das ist nicht mehr schön.““

Anwohnerin Andrea Joost und ihre Nachbarn fühlen sich mit ihrer Kritik von der Stadt nicht gehört.

Andere schildern, dass sie wegen der weggefallenen Parkplätze ewig in Ruhrort umherkurven müssten, um einen Stellplatz zu finden. „Da geht regelmäßig eine halbe Tankfüllung drauf“, erklärt ein Ruhrorter. „Und die fahren hier wie im Wilden Westen, einige sogar gegen die Einbahnstraße, weil sie sich nicht auskennen“, stimmt ihm jemand zu.

Die Durchfahrt am Neumarkt ist nur noch an einer Seite möglich. Parkplätze wurden anders angeordnet und sind teilweise weggefallen.
Die Durchfahrt am Neumarkt ist nur noch an einer Seite möglich. Parkplätze wurden anders angeordnet und sind teilweise weggefallen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Geschäftsleute wie die Friseurin Anja Westerhelweg haben schon vor eineinhalb Jahren befürchtet, dass weniger Kunden kommen, weil sie nicht mehr vor der Haustür parken können. Insbesondere für Ältere sei der Weg beschwerlich geworden. Die Sorge habe sich bewahrheitet. „Es würde uns ja schon helfen, wenn man während der Geschäftszeiten die Straße wieder befahren und zum Parken nutzen könnte. Am Wochenende kann die ja dann gesperrt werden“, schlägt sie vor.

Caren Grimone von der Vinotico, Jenny Breitkopf von der Ankerbar, Manfred Bellingrodt vom Plus am Neumarkt (v.li.) und Floristin Manuela Overdick (re.) können der Veränderung Positives abgewinnen. Michael Hollmann vom Kultkiosk (2.re) hat bemerkt, dass es nun wesentlich leiser ist. Friseurin Anja Westerhelweg (3.v.re) würde sich wünschen, dass man zumindest an Werktagen wieder vor den Geschäften parken kann.
Caren Grimone von der Vinotico, Jenny Breitkopf von der Ankerbar, Manfred Bellingrodt vom Plus am Neumarkt (v.li.) und Floristin Manuela Overdick (re.) können der Veränderung Positives abgewinnen. Michael Hollmann vom Kultkiosk (2.re) hat bemerkt, dass es nun wesentlich leiser ist. Friseurin Anja Westerhelweg (3.v.re) würde sich wünschen, dass man zumindest an Werktagen wieder vor den Geschäften parken kann. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Caren Grimone, Betreiberin der „Vinotico“ und Jenny Breitkopf von der „Ankerbar“ können der neuen Situation hingegen etwas Positives abgewinnen. „Es spielen mehr Kinder auf der Straße und die Leute können in Ruhe draußen sitzen und etwas trinken“, sagt Caren Grimone. Bei gutem Wetter werden die Außen-Sitzplätze gerne genutzt. Und auch die Terrasse der „Ankerbar“ ist gefragt, seitdem die Autos dort nicht mehr haarscharf vorbeifahren.

„Der Vandalismus an Pflanzen und Möbeln hält sich in Grenzen. Und ich finde es gut, dass wir die Möglichkeit haben, unser Umfeld mitzugestalten.““

Sybille Kastner ist vor einigen Jahren nach Ruhrort gezogen und freut sich über den verkehrsberuhigten Neumarkt.

 „Ich kann gar nicht sagen, ob die Verkehrsberuhigung Auswirkungen auf mein Geschäft hat. Ich habe nur festgestellt, dass es viel leiser ist“, vergleicht Michael Hollmann vom „Kultkiosk Hafenmund“ die Situation. Manuela Overdick, Inhaberin von „Liebe Blume“, die auch am Neumarkt wohnt, hat sogar keine Parkplatzprobleme mehr. „Eigentlich findet man immer ein Plätzchen.“

Um die Hochbeete zu pflegen, haben sich Hobbygärtner zusammengefunden. Sie nennen sich „Hafenkräuter“.
Um die Hochbeete zu pflegen, haben sich Hobbygärtner zusammengefunden. Sie nennen sich „Hafenkräuter“. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Die Ruhrorterin Sybille Kastner findet es außerdem gut, dass der Platz genutzt wird, um sich zu treffen. „Das gilt natürlich auch für Großfamilien.“ Sie engagiert sich in einer Gruppe von Gärtnern, die sich etwa um die Hochbeete kümmert. In der ersten Zeit seien mal Pflanzen heraus gerupft worden und auch die Möbel seien mal kaputt. „Aber der Vandalismus hält sich in Grenzen. Und ich finde es gut, dass wir die Möglichkeit haben, unser Umfeld mitzugestalten“, betont sie.  

Mehr zum Thema

Wie geht’s nun weiter? Auf leeren Stadtplänen, die den Neumarkt zeigten, sollten die Ruhrorter einzeichnen, wie sie den Platz gestalten würden. Aktuell gibt es zum Beispiel Fördermittel für „klimaresiliente Regionen mit internationaler Strahlkraft.“

Dabei werden Projekte bezuschusst, die dafür sorgen, dass Flächen entsiegelt oder Versickerungsmöglichkeiten geschaffen werden. In rinnenartigen, unterirdischen Zwischenspeichern sammelt sich dann beispielsweise das Regenwasser und belastet nicht die Kanalisation. Da die Gebiete begrünt werden, bieten sie gleichzeitig Verdunstungsmöglichkeiten, die die Straßenzüge bei Hitze kühlen.

Für Ruhrort soll nun geprüft werden, an welchen Stellen sich solche Projekte anbieten und ob auch der Neumarkt in Frage kommt. Zudem würden die Flächen wohl dafür sorgen, dem Klimaneutral-Ziel „Urban Zero“ ein Stück näherzukommen.

Bei diesen hehren Zielen hoffen die Ruhrorter wie Andrea Joost, dass ihre (Alltags-)Sorgen nicht vergessen werden.