Duisburg. Ein neues Mahnmal erinnert an die Opfer des Nazi-Regimes. Wie ein Hobby-Historiker dafür recherchierte – und warum er zehn Jahre dafür brauchte.
Manchmal hört er noch den Alarmton der Sirenen. Das schrille Heulen, das ihm als kleines Kind bei den Bombenangriffen der Alliierten auf die Ohren schlug. Für den gebürtigen Homberger Dirk Lachmann sind diese traumatischen Erlebnisse in der Endphase des Zweiten Weltkriegs unter anderem Gründe dafür gewesen, die Geschichte des Duisburger Stadtteils in der Nazi-Zeit genauer unter die Lupe zu nehmen.
Dazu kommt noch, dass er von einem Verwandten wusste, der in der NSDAP in Homberg aktiv gewesen sei – was seine Neugier förderte. „Als Jugendlicher begann ich mich dann inständig, für die Geschichte Hombergs während der Nazi-Diktatur zu interessieren“, so der Hobby-Historiker.
Lokalhistoriker recherchiert seit vielen Jahren zur NS-Geschichte
Also hat der ehemalige Schulleiter des Mercator-Berufskollegs in Moers den Freundeskreis Historisches Homberg (FHH) im Jahr 1985 mit anderen ins Leben gerufen, dessen Vorsitzender er wurde. Dirk Lachmann hat zunächst die Geschichte der Homberger Juden unter der Nazi-Herrschaft aufgearbeitet, recherchierte jahrelang im Stadtarchiv sowie in zahlreichen anderen Archiven, was genau den sozial Geächteten unter dem Terrorregime der Nazis widerfahren ist.
„Viele der Homberger Juden sind nachweislich in ein sogenanntes Arbeitslager nach Riga in Lettland mit einem Sammeltransport 1941 deportiert worden“, weiß Lachmann. Bis in die Altenheime hat es ihn gezogen, um noch Berichte zu damaligen Anschlägen auf Juden von lebenden Augenzeugen zu erfragen.
Entstanden ist daraus die lokalhistorisch wertvolle Webseite www.homberg-unterm-hakenkreuz.de, auf der nicht nur die Schicksale, sondern sogar die Wohnadressen und die ausgeübten Berufe der verfolgten Menschen in Homberg klar wurden. „Viele Homberger Familien haben mir bei den Befragungen mit Infos weitergeholfen.“
Neues Mahnmal im Rheinpreußenpark erinnert an Opfer des NS-Regimes
Aber nicht nur das hat der Freundeskreis bewirkt: Jetzt ist ein Mahnmal für alle Verfolgten und Ermordeten unter dem Nazi-Regime im Homberger Rheinpreußenpark unweit der Moerser Straße aufgestellt worden. Die Idee dafür kursierte bereits seit 2014 beim FHH.
Ausschließlich aus Spendengeldern sei das Mahnmal finanziert worden, zwei Gedenktafeln habe das Bezirksamt auf Betreiben des Bezirksbürgermeisters Hans-Joachim Paschmann (SPD) gestiftet. „Uns ist es wichtig, gerade in der heutigen Zeit die nachkommenden Generationen an die Verbrechen der Nazi-Herrschaft zu erinnern“, sagt Lachmann.
Mahnmal: Marmor wurde extra aus Italien geliefert
Das Mahnmal ist aus Marmorsteinen gefertigt worden, die aus Italien geliefert wurden. Eine Duisburger Steinmetzfabrik hat den Bauauftrag ausgeführt. Die Höhe des Denkmals beträgt etwa 2,30 Meter. In einer Inschrift wird nicht nur der verschleppten und getöteten Juden gedacht: „Wir wollten mit dem Mahnmal an die anderen verfolgten Opfergruppen erinnern, wie an die Kranken und Behinderten, Zwangsarbeiter und die Männer und Frauen des Widerstands, also Oppositioneller“, so schildert es Lachmann heute.
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Übrigens sind die verfolgten Gruppen mit einem Gendersternchen auf dem Denkmal versehen. Der Artikel eins des Grundgesetzes prangt am Sockel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es da. Als Weckruf ist zu lesen: „Wer die Vergangenheit ignoriert, lässt sie auch wieder geschehen.“ Zwei nebenstehende Infotafeln erklären das Geschehene.
Schüler aus Duisburg beteiligen sich an Aufarbeitung
Dirk Lachmann bemängelt heute noch die spät einsetzende Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Diktatur. „Erst ab den 1980er-Jahren war überhaupt eine kritische Aufarbeitung der schrecklichen Ereignisse möglich“, sagt der 84-Jährige.
„Wir müssen wachsam bleiben und auf unsere Demokratie aufpassen.“
Die Geschichtsschreibung der Homberger Lokalhistoriker nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei geradezu unbrauchbar gewesen, da ideologisch verbrämt. Auch später noch schwebte der „Mantel des Schweigens“ über der unrühmlichen deutschen Geschichte dieser Zeit.
Stolz ist Lachmann allerdings darauf, dass Schüler des Franz-Haniel-Gymnasiums und der Erich-Kästner Gesamtschule bereits die Webseite für eigene Forschungen im Unterrricht benutzten und mit Beiträgen erweiterten. „So hoffen wir, dass die Erinnerung an das erlittene Unrecht im Bewusstsein bleibt“, sagt der ehemalige Lehrer. „Wir müssen wachsam bleiben und auf unsere Demokratie aufpassen.“
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>> Erinnerung: Über 100 verfolgte Juden lebten in Duisburg-Homberg
- Laut Lachmanns Forschungen lebten 107 verfolgte Juden sowie mehr als 900 ehemalige russische Soldaten als Zwangsarbeiter in Duisburg-Homberg.
- Am Wohnort der jüdischen Familie Karl Gerson an der Moerser Straße 89 wurde ein Stolperstein zum Gedenken eingebracht – im Beisein noch lebender Familienmitglieder, die dafür aus London und den USA anreisten.
- Acht Stolpersteine erinnern bisher an die Wohnorte verfolgter Juden in Homberg.