Duisburg. Der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung wird 60. Welche Erfolge gefeiert werden. Und was den Vorstand richtig sauer macht.

Mit rund 1000 Gästen soll der 60. Geburtstag gefeiert werden, von Ruhestand keine Spur: Der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Duisburg e.V., kurz VKM, hat sich über die Jahrzehnte entwickelt zu einem der Vorkämpfer für Teilhabe in Duisburg. Und ist längst nicht am Ziel.

„Damals wie heute stoßen Familien auf viele Probleme“, sagt Anette Käbe. Es gebe heute zwar mehr Regelungen zur Inklusion in Kindergarten und Schule, zu finanziellen Hilfestellungen, aber vor allem im Arbeits- und Freizeitbereich gebe es noch nicht viel Gleichberechtigung.

Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung in Duisburg wird 60

Neben Angeboten wie Assistenz- und Pflegeleistungen setzt der Verein deshalb von Anbeginn auf Freizeitangebote. Was 1964 mit Schwimmen und einem Therapiepferd begann, ist inzwischen auch Ferienbetreuung und Taschenlampenkonzert, Ausflug, Tanz- oder Fotokurs.

Das Programm ist offen für alle, aber vielfach bleiben die Menschen mit Behinderung unter sich. 2013, kurz vor dem 50. Geburtstag, hatte sich der Verein umbenannt, früher hieß er Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte. Aber auch der seither gültige Name könnte den ein oder anderen nicht ansprechen, befürchtet Käbe. „Es ist schwer, die Familien zu erreichen“, bedauert sie. Buchungen hätten außerdem eine gewisse Unverbindlichkeit bekommen, „das ist schade, da steckt ja viel Arbeit drin“.

Wohnvorbereitung: Gruppe hilft Eltern beim Loslassen

Auch die Bereitschaft, sich einzubringen, sei wie in vielen Vereinen deutlich gesunken. Gut angenommen werde das relativ neue Angebot der Wohnvorbereitung, das der Verselbständigung junger Menschen mit Behinderung dient. Für sie und ihre Eltern gibt es parallele Gruppenangebote, die das Loslassen auf der einen und die Selbstständigkeit und deren Grenzen auf der anderen Seite thematisiert. „Wir wollen den Familien Mut machen“, sagt Käbe.

Sie weiß, wovon sie spricht: Ihr Sohn, der mit einer Behinderung lebt, ist jetzt 33 Jahre alt, die Familie ist seit 32 Jahren im Verein. Der junge Mann wohnt seit einem Jahr allein, das habe auch positiven Einfluss auf die Beziehung, freut sie sich. In vielen Familien kümmern sich Eltern lange um ihre Kinder und suchen erst nach Alternativen, wenn sie es absehbar selbst nicht mehr können.

Misserfolge aushalten lernen

Auch die Käbes machten viele Schritte mit dem VKM, „es lief nichts von selbst, alles nur über Hartnäckigkeit“, betont die 59-Jährige. Das mache auch mal müde, aber der Einsatz lohne sich.

Tagsüber hauptberuflich, abends ehrenamtlich versucht sie nun, Eltern zu motivieren, ihren Kindern „die Chance auf ein normales Leben zu geben und Misserfolge auszuhalten“. Für die letzten vier Jahre ihres Dienstes wünscht sie sich denn auch, „dass so viele Kinder wie möglich zu Hause ausziehen, wenn sie es wollen.“

Dass ihr Sohn wie einige andere außerhalb von Werkstätten einen Arbeitsplatz erhalten hat, macht ihr Mut. Die Werkstätten seien zwar für viele ein Ort, an dem sie sich geborgen fühlen. Manches Potenzial könnte aber mit Blick auf den Fachkräftemangel noch gehoben werden.

Arbeitsvermittler sollten mutiger sein

Auch den Arbeitsvermittlern fehle Mut, Schulabgänger an reguläre Firmen zu vermitteln, kritisiert Käbe. „Dabei haben Firmen Interesse, wenn sie nur gut unterstützt werden.“

Als Lücke im System hat Käbe auch niederschwellige Qualifikationen ausgemacht. Manche jungen Menschen mit Behinderung könnten „super im Kindergarten arbeiten“, wie sie bei einer Praktikantin fasziniert beobachtet hat. Als Ergänzungskraft könne man sie aber nicht qualifizieren, also auch nicht bezahlen. Schade, findet Käbe, denn die junge Frau habe der Kitagruppe geholfen, habe aber auch selbst profitiert, sei selbstständiger geworden.

Vom Elternverein zum mittelständischen Unternehmen

Der Verein, der inzwischen zu einem mittelständischen Unternehmen herangewachsen ist, hat mit Anette Käbe und Martina Büchner zwei hauptamtliche Geschäftsführerinnen bestellt, die gemeinsam einen Jahresumsatz von 3,5 Millionen Euro verantworten. 170 Mitarbeiter gehören zum VKM, getragen wird er von rund 120 Mitglieder-Familien.

Anette Käbe vom VKM findet, dass längst noch nicht genug getan wird für echte Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Anette Käbe vom VKM findet, dass längst noch nicht genug getan wird für echte Teilhabe von Menschen mit Behinderung. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Aber ein Generationenwechsel bahnt sich an: Die „alte Garde“, mit der 2009 das Tageshaus gebaut und bezogen wurde (ein Erbe legte den Grundstock dafür), zieht sich nach und nach zurück. Nachfolger werden gesucht. Käbe findet, dass so eine Vereinstätigkeit „einen nicht seiner Freizeit beraubt, es lässt sich begrenzen“. Vor allem: „Es gibt einem auch was!“

VKM ist jetzt auch Kita-Träger

Mit dem Kindergarten ist der VKM vor zwei Jahren noch mal neue Wege gegangen, musste viele Probleme während der Bauzeit und vor der Eröffnung lösen. Auch jetzt läuft es noch nicht rund. Zwei von sechs Gruppen sind wegen Personalmangels noch nicht geöffnet. Und statt der geplanten 70 Kinder seien aktuell nur 55 Kinder da. Die Gruppengröße musste reduziert werden, weil so viele Kinder Auffälligkeiten mitbringen, sagt Käbe: 13 der Drei- bis Sechsjährigen hätten einen sozial-emotionalen Förderbedarf.

Dass Erzieherinnen darauf kaum vorbereitet seien, ärgert sie. Aber auch alle anderen Kinder kämen inzwischen zu kurz, „man braucht keine Behinderung, um zu wenig gefördert zu werden“, bedauert Käbe.

Wünsche zum 60. Geburtstag? Nein, klare Forderungen!

Dass ihr Verein nach 60 Jahren an Bedeutung verlieren könnte, sorgt sie nicht. „Es braucht uns auch weiter.“ Es müsse ja jemand einfordern, dass Barrierefreiheit bei der Kulturplanung mitgedacht wird und die Rollstuhlgruppe zu viert ins Kino kann. Aktuell passen nicht alle gleichzeitig in einen Saal. Oder dass in der Landesbauordnung festgehalten wird, Kitas künftig barrierefrei zu bauen. „Steht da nicht drin!“ Oder dass öffentliche Webseiten automatisch barrierearm sind und von jedem gelesen werden können.

Auch interessant

Sie fragt sich auch, warum Anträge so kompliziert sind, dass sie kaum einer verstehen, geschweige ausfüllen kann. Oder warum man Eingliederungszuschüsse für Rollstuhlfahrer jährlich neu stellen muss, „als würde sich das auswachsen“. Dass ein Spielplatz als inklusiv gilt, wenn ein Sandkasten vorhanden ist, findet sie regelrecht albern. Und solange sie sich darüber in Rage reden kann, wird sie auch weiter dafür kämpfen, für ihren Sohn, für alle Menschen mit Behinderung in Duisburg. Man merkt es ihr an: „Mich treibt eine Grund-Aggression, ich mag einfach keine Hürden.“

An der Neuendorfstraße in Wanheimerort hat der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Duisburg seinen Sitz.
An der Neuendorfstraße in Wanheimerort hat der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Duisburg seinen Sitz. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

>>VKM-MITARBEITER UNTERSTÜTZEN KINDER IN SCHULE UND KITA

  • Der Hauptumsatz des Vereins stammt aus refinanzierten Dienstleistungen.
  • 171 Kinder werden über den VKM in Kita oder Schule begleitet. 85 Kunden zählt der Verein aktuell in den Bereichen Freizeit, Wohnen, Arbeit oder Eltern-Assistenz.
  • Dafür beteiligt sich der Verein auch am Infrastrukturmodell, einem Pilotprojekt für Inklusion an Schulen. Der Jahresvertrag für das kommende Schuljahr ist gerade unterschrieben.
  • Die Aktion Mensch und andere Sozialstiftungen fördern verschiedene Engagements. Davon profitieren Ferienangebote, aber auch die Kunst- oder die Seniorenausflugsgruppe, auch der Kita sind dadurch Ausflüge möglich. Außerdem spielt der Verein seit einigen Jahren mit dem Entenrennen Spenden ein.
  • Anette Käbe betont, dass sich jeder an den VKM wenden könne, auch wenn er kein Mitglied oder Kunde ist. Viele Mitarbeiter haben auch privat Kontakte zu Menschen mit Behinderung, „das Wissen und die Erfahrung wollen wir weitergeben, unabhängig von unseren Dienstleistungen“.
  • Weitere Infos auf der Webseite www.vkm-duisburg.de

Auch interessant