Duisburg. Kinder mit Förderbedarf bekommen an einigen Schulen in Duisburg eine neue Inklusionshilfe. Diese Vorteile hat das Infrastrukturmodell.
In Duisburg gibt es überdurchschnittlich viele Schüler mit Förderbedarf. Bei vielen ist er diagnostiziert und bewilligt, bei vielen anderen aber leider nicht. Mit dem Infrastrukturmodell testet die Stadt seit diesem Schuljahr einen neuen, präventiven Weg, damit alle Kinder in ihrer Klasse klarkommen.
Max und Emirhan besuchen die Karl-Lehr-Realschule in Duisburg. Damit sie im Gemeinsamen Lernen an der Realschule mithalten können, werden sie von Schulassistenten unterstützt, auch bekannt als Integrationshelfer oder Lernbegleiter.
Max weiß, dass er oft verträumt ist, nicht gut aufpasst, dann greift seine Begleiterin ein, „sonst krieg’ ich nicht alles mit“. Seine Noten sind deshalb gut, auch Emirhan ist „im soliden Mittelfeld“ gelandet. Der 13-Jährige findet es ganz gut, in Mathe Unterstützung zu bekommen. Aber er fühlt sich „angegriffen“ von der Assistenz, weil er es lieber allein schaffen würde.
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Inklusion an Schulen: Infrastrukturmodell in Duisburg testet neue Wege
Im Vergleich zur 1:1-Betreuung, deren intensive Hilfe stigmatisierend wirken kann, tarnt sich das Infrastrukturmodell besser, kann gerade an weiterführenden Schulen unterstützen, ohne einem Teenager auf dem Schoß zu sitzen. Die Assistenten seien permanent in Bewegung, beschreibt Schulleiter Stan Orlovic. Schule sei während der Pubertät für alle Kinder herausfordernd, I-Kinder sind da nicht anders, auch sie wollen nicht ständig jemanden neben sich sitzen haben, „das ist uncool für Neuntklässler“.
Als „totales Plus“ feiert Olaf Sichelschmidt deshalb das Pilotmodell. Der stellvertretende Schulleiter der Karl-Lehr-Realschule war schon länger unglücklich mit den I-Helfer-Strukturen. An der Schule waren viele Träger vertreten, die I-Helfer saßen im Unterricht und warteten, bis „ihr“ Kind Hilfe braucht. Die 1:1-Begleitung ließ kaum Raum für Vertretungslösungen oder den Blick auf andere Schüler. „Wir wollten das besser steuern können und hatten schon überlegt, einen eigenen Trägerverein zu gründen“.
Die Stadt kam ihnen zuvor und organisierte die Hilfe für Kinder mit besonderem Förderbedarf um. An acht Schulen wird das Modell seit einem Jahr getestet und zumindest hier kann man sagen: Läuft.
Schulassistenten begleiten Förderkinder mit verschiedensten Herausforderungen
43 Förderkinder besuchen die Schule des Gemeinsamen Lernens in Wanheimerort. Sie haben unterschiedlichste Förderschwerpunkte wie „Lernen“, „Sprache“, „Emotionale und soziale Entwicklung“, „Körperliche und motorische Entwicklung“ oder „Geistige Entwicklung“. Wie viel Aufmerksamkeit sie benötigen, könne man aufgrund des breiten Spektrums nicht pauschal sagen, sagt Schulleiter Stan Orlovic.
Neun Schulassistenzen sind an der Schule beschäftigt und unterstützen die Kinder und Jugendlichen, sie sind aber auch Teil der Klasse und helfen, wo es nötig ist. Weitere Stellen sind ausgeschrieben.
Duisburg ist ein Vorreiter beim Thema Inklusion, sagt Lisa Gerritzen, Standortleiterin des Essener Atlas-Bildungs-Centers. Der Träger gründete eigens einen Standort in der Stadt, um neue Wege gehen zu können, zunächst beim IGH-Pool-Projekt, das noch bis 2025 läuft, und jetzt beim präventiven Infrastrukturmodell. Gerritzen sieht auch für das Unternehmen Vorteile. So ermögliche das Modell feste Arbeitsplätze, ein Gehalt über dem Mindestlohn und Jobs, die nicht mit jedem Schuljahr enden. Feste Ansprechpartner und kurze Wege innerhalb der Modell-Schulen seien weitere Pluspunkte.
Träger sucht weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anfangs gab es zwar Bedenken, dass jene Kinder, die einen Anspruch haben, nicht genug Aufmerksamkeit bekommen könnten, beschreibt Gerritzen. Das habe sich aber nicht bestätigt, gerade an weiterführenden Schulen haben Schulassistenten, die nicht wie ein Schatten an einzelnen Kindern kleben, einen günstigen Effekt, bilanziert sie.
Gerritzen betont, dass für den Job beruflich keine Voraussetzungen gefragt sind. Wichtig sei vor allem, kommunikative Fähigkeiten zu haben und sich im Team schnell anpassen zu können. Hospitationen zeigten dann schnell, ob es passt. Drei Mitarbeiter werden derzeit noch gesucht.
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Die Aufgaben sind jedenfalls klar verteilt: Die Schulassistenten sind an der Seite der Schüler, bauen Beziehungen auf, die Fachkräfte des multiprofessionellen Teams sind Ansprechpartner der Lehrer, helfen etwa dabei, Unterrichtsmaterial anzupassen. Einzelfallhilfe soll es bei Bedarf auch weiterhin geben, aber die präventive Hilfe kann ab dem Moment greifen, wo an der Schule auffällt, dass ein Kind durchs Raster zu rutschen droht.
Mütter der Förderkinder sind „happy“
Ines, Ulrike und Burcu, deren Nachnamen zum Schutz der Kinder nicht genannt werden sollen, loben die enge Bindung, die die I-Helfer zu ihrem Nachwuchs haben. Die drei Mütter sind „happy“: Das neue Konzept ermöglicht den bald pubertierenden Schülern mehr Selbstständigkeit, „sie werden dann nicht so sehr beobachtet“, glaubt etwa Ines.
Ulrikes Kind sei es sogar manchmal zu viel, „aber ich finde es gut“, betont die Mutter. Es lerne so mehr. Außerdem könne die Assistenz Auszeiten ermöglichen, wenn die Reize in der Klasse überfordern. Die Alternative für all diese Kinder wäre eine Förderschule gewesen. Aber der Umgang mit so vielen Gleichaltrigen aus dem Stadtteil war den Müttern wichtiger.
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Das Kind von Burcu, das Unterstützung im emotionalen und sozialen Bereich benötigt, hat seit der fünften Klasse eine Bezugsperson. Das ist „Hammer, ich bin glücklich, dass man sich hier soviel Zeit für die Probleme der Kinder nimmt“.
Michaela Frühmark hilft dem Schüler. Die ehemalige Friseurin hat sich durch Fortbildungen, Fachlektüre und den regelmäßigen Austausch mit den Sonderpädagogen ein Wissen für den Umgang mit herausfordernden Kindern angeeignet, ist inzwischen Teamleiterin am Standort. Nach neun Jahren hat sie auch den Unterrichtsstoff der Realschule in allen Klassen drauf.
Schulleiter Orlovic ist sich sicher: „Ohne Schulassistenten ist Inklusion nicht zu schaffen.“
>>DAS INFRASTRUKTURMODELL IN DUISBURG
- Die Unterstützung von Kindern an weiterführenden Schulen durch Schulassistenzen ist in den Klassen 5 und 6 intensiver, nimmt dann sukzessive ab.
- Ziel ist eine Verselbständigung, so dass in Klasse 10 nur noch die Hauptfächer begleitet werden.
- Ab 2025 sollen auch die Schulen, die jetzt noch im IGH-Poolmodell sind, in das Infrastrukturmodell überführt werden.