Duisburg. Kinder brauchen immer häufiger Inklusionshilfe in der Schule. Da die Klassen eh schon voll sind, setzt Duisburg auf ein neues präventives Modell.

Immer mehr Kinder benötigen im Schulalltag einen Erwachsenen an ihrer Seite. Angesichts ohnehin randvoller Klassen, in die nicht auch noch mehrere Integrationshelfer passen, setzt die Stadt Duisburg jetzt auf das präventive Infrastrukturmodell.

Die Fallzahlen sind eindeutig: In den letzten 20 Jahren stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in Duisburg einen Hilfebedarf haben, um 191 Prozent. Zum Vergleich: Im Landesschnitt stieg der Bedarf um knapp 149 Prozent. 2021 hatten 1335 Kinder eine Inklusionshilfe in der Klasse neben sich sitzen.

Die Stadt Duisburg bereitet schon seit einigen Jahren einen Strategiewechsel vor: Nicht mehr das einzelne Kind soll an das System angepasst werden, sondern das System soll bedarfsgerechter werden.

Präventives Infrastrukturmodell: Kindern helfen, sobald sie Hilfe benötigen

Seit 2015 gibt es dazu das IGH-Poolmodell, anfangs an einigen Schulen, seit 2021 an 31 Schulen mit sechs Trägern. Die Bilanz ist positiv, das Verfahren erwies sich als einfacher für Eltern und Schulen.

Das neue präventive Infrastrukturmodell setzt jetzt noch einen drauf und greift, bevor der Bedarf eines Kindes amtlich ist. Denn die „vorausgehenden Schritte zur Diagnostik sind langwierig“, die Hilfe soll dem Schüler oder der Schülerin aber „unmittelbar ab dem Moment zur Verfügung stehen, in dem diese benötigt wird“, heißt es in einer Vorlage der Stadtverwaltung. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie zeigte neue Bedarfe auf.

Das IGH-Modell wird bis Mitte 2025 fortgeführt, acht Schulen sind seit diesem Schuljahr aber schon präventiv im neuen Infrastrukturmodell unterwegs. Beide Modelle haben den Charme, dass es pro Schule nur einen Ansprechpartner gebe, erklärt Jugendamtsleiter Hinrich Köpcke. Die feste Trägerzuordnung an einer Schule führe dazu, dass die Schulassistenten mehr zum Team gehören, auch der Vertretungsprozess sei einfacher. Inzwischen sind acht Träger im Arbeitskreis und wollen mitwirken.

Schon 1053 Eingliederungshilfen bewilligt, Tendenz steigend

Im aktuellen Schuljahr sind bislang 1053 Eingliederungshilfen bewilligt worden: 543 Einzelfallhilfen, 275 nach dem IGH-Poolmodell und 235 nach dem Infrastrukturmodell. Die Zahlen steigen aber noch, weil es nach einer Beobachtungsphase in den Klassen Nachmeldungen gebe, sagt Köpcke.

Im präventiven Modell können die Kinder trotzdem sofort mit unterstützt werden. So erreiche man auch jene, deren Eltern beispielsweise keine Einzelfallhilfeanträge gestellt haben.

Weitere Vorteile sind, dass Schüler sich weniger diskriminiert fühlen, da sie nur so viel Hilfe wie nötig erhalten und nicht überbetreut werden oder der Erwachsene gar wie ein Schatten am Kind klebt. Die Initiatoren gehen auch davon aus, dass es weniger prekäre Arbeitsverhältnisse geben wird. Unter den Inklusionshilfen waren bislang auch Nicht-Fachkräfte im Minijob-Bereich.

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So viel Hilfe wie nötig, so viel Selbstständigkeit wie möglich

Das Infrastrukturmodell bietet mehr Flexibilität. Die Kräfte sollen den Schulen unabhängig vom Einzelfall zur Verfügung gestellt werden. Wenn das eine Kind Sport hat und dabei ohne Unterstützung klar kommt, kann in der Zeit ein anderes Kind unterstützt werden, beschreibt Köpcke. Auch punktuell könne so schnelle Unterstützung vermittelt werden, etwa weil es einen Trauerfall gibt, beschreibt Köpcke.

Ein Kind, das eine 1:1-Betreuung braucht, werde sie aber weiterhin bekommen, ergänzen Stefanie Woytena vom Amt für Soziales und Wohnen sowie Eva Kaewnetera aus dem Stab der Jugendhilfe im Jugendamt. Sie leiten das Infrastrukturmodell in Duisburg gemeinsam.

Dass die beiden Koordinatorinnen aus zwei Ämtern stammen, ist dem Umstand geschuldet, dass in Deutschland je nach Einschränkung des betroffenen Kindes verschiedene Leistungsträger an Bord sind und die Inklusionshilfen bis jetzt auch unterschiedlich fortgebildet wurden. „Störungsbilder können flexibel und zeitnah angepackt werden, bevor sie sich manifestieren“, sagt Woytena.

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„Das Infrastrukturmodell ist kein Sparmodell“

„Das ist kein Sparmodell“, betont die Koordinatorin. Ziel sei vielmehr, den inklusiven Gedanken insgesamt in der Jugendhilfe zu verankern. Für den IGH-Pool sind rund elf Millionen Euro in den beiden Ämtern veranschlagt, rund 2,8 Millionen entfallen auf die Schulen, die jetzt im Infrastrukturmodell sind.

In der Vorlage wird vorgerechnet, dass die Rückkehr zur Einzelfallhilfe 22 Prozent teurer wäre. Ab 2025 sollen daher alle Pool-Schulen ins Infrastrukturmodell überführt werden.

Unterm Strich würden beide Lösungen dem Schulgesetz entsprechen. „Es gibt uns den Auftrag, gute Entwicklungsbedingungen für Kinder und Jugendliche zu schaffen“, zitiert Köpcke, genau das habe man nun geschaffen.

Stefanie Woytena und Eva Kaewnetera (Inklusionskoordinatorin) im Jugendamt.
Stefanie Woytena und Eva Kaewnetera (Inklusionskoordinatorin) im Jugendamt. © FUNKE Foto Services | Oliver Mueller

>>WAS SIND INTEGRATIONSHILFEN, INKLUSIONSHILFEN, EINGLIEDERUNGSHILFEN, SCHULASSISTENZEN?

  • Wenn man von Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche an Schulen spricht, tauchen unterschiedliche Vokabeln auf: Es gibt Integrationshilfen, Inklusionshilfen, Eingliederungshilfen oder auch Schulassistenzen.
  • Gibt es da Unterschiede? Nein, sagt Jugendamtsleiter Hinrich Köpcke. In Duisburg spreche man eher von Schulassistenzen, die anderen Begriffe seien aber synonym verwendbar.
  • Grundsätzlich gibt es diese Hilfe ab Klasse 1. Theoretisch kann sie bis zur zehnten Klasse gewährt werden. Das ist aber selten, „die meisten Kinder lernen im Laufe ihres Schullebens, ohne Inklusionshilfe auszukommen“.
  • Wenn Eltern sich unsicher sind, könnten sie sich jederzeit ans Jugendamt wenden. „Wir helfen über Hürden“, lädt der Amtsleiter ein, nur so könne jedes Kind das bekommen, was es benötige.

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