Duisburg. Vier Wochen nach der Räumung der Schrotthäuser in Hochfeld suchen einige noch immer eine neue Bleibe. Im Gespräch machen sie ihrem Ärger Luft.
Rund einen Monat, nachdem die Task Force der Stadt Duisburg so genannte Schrottimmobilien in der Gravelottestraße geräumt hat, suchen einige Bewohner noch immer eine Wohnung. Doch diesmal wehren sich die Betroffenen. Es gab eine Demo, die auf ihre prekäre Situation aufmerksam machte. Im Gespräch mit unserer Zeitung schildern sie, wie sie die Situation erlebt haben, wem ihr Ärger gilt und was sie sich nun von der Stadt wünschen.
Am Donnerstag, 4. März, rückte die Task Force – bestehend aus Mitarbeitern von Ordnungsamt, Polizei, Feuerwehr, TÜV Nord, Wirtschaftsbetriebe Duisburg, Netze Duisburg sowie Übersetzer – an, und überraschte die Bewohner. „Wir sollten alle das Haus verlassen. Erst wurden unsere Papiere kontrolliert, dann sollten wir unsere Sachen packen. Meine Frau ist im neunten Monat schwanger, ich wusste erst gar nicht, was wir machen sollten“, erzählt Milcho Valchanov noch immer ganz aufgeregt. Er spricht ganz gut Deutsch. Wie viele andere ist er nach Duisburg gekommen, weil er sich für seine künftige Familie eine bessere Perspektive erhoffte.
Hoch schwangere Frau unter den ehemaligen Mietern in Duisburg-Hochfeld
Die wünschte sich auch Nikolay Georgiev. Der 50-Jährige ist gelernter Schreiner, trägt ein Shirt des niederländischen Fußballclubs Feyenoord Rotterdam und stammt ursprünglich aus Shumen. Nach der EU-Osterweiterung haben sich tausende Bulgaren und Rumänen auf den Weg gemacht, um in anderen Ländern ihr Glück zu versuchen. Nikolay Georgiev arbeitete erst in Rotterdam, seine Frau Banabina fand einen Job in der Blumenindustrie. Seit zwei Jahren sind sie nun in Duisburg, so wie viele andere Zugewanderte, die oft aus der Region Shumen stammen. Hochfeld kannte er vorher nicht.
„Es war schwer, eine Wohnung zu finden“, erinnert er sich an die Suche. Umso zuversichtlicher war er, als er die Zwei-Zimmer-Bleibe im Erdgeschoss der Gravelottestraße 51 fand. „Ich habe in meine Wohnung investiert. Tausende Euro“, sagt er zornig und zeigt Quittungen, die er auf seinem Handy gespeichert hat. Neue Fliesen habe er im Bad gelegt, gemeinsam mit anderen das Treppenhaus gestrichen. „Wir haben dafür gesorgt, dass die Wohnung erneuert wurde. Das Haus hat mich krank gemacht.“
Wütend ist er vor allem auf die Vermieterin, weil sie ihn und die Nachbarn nicht vorgewarnt habe. „Sie hat ein Schreiben bekommen“, glaubt er. Auf Nachfrage unserer Zeitung dementiert die Eigentümerin allerdings, von der Stadt einen solchen Brief bekommen zu haben. Stadtsprecher Sebastian Hiedels bestätigt dies: „Kontrollen werden grundsätzlich unangemeldet durchgeführt. Eine Aufforderung zur Mängelabstellung kann verständlicherweise erst dann erfolgen, wenn diese valide festgestellt wurden.“
Eigentümerin macht der Stadt Duisburg schwere Vorwürfe
Aber: Im Rahmen einer Eigentümerveranstaltung, zu der die Entwicklungsgesellschaft Duisburg (EG DU) eingeladen hatte, sei die Besitzerin umfassend über die Beantragung von Fördergeldern für ein Fassaden-Programm beraten worden. Anschließend seien auch Unterlagen zur Beantragung von Fördergeldern übersendet worden. „Eine Dokumentation der Fassaden wurde für die Eigentümerin durchgeführt. Ein Förderantrag wurde bisher nicht gestellt und es gab auch keine Kontaktaufnahme mehr durch die Eigentümerin an die EG DU“, teilt Hiedels mit. Dabei betonte die Besitzerin in Gesprächen mit unserer Zeitung immer wieder, dass sie in die Häuser investieren und diese sanieren wolle. „Mir ist ein großer wirtschaftlicher Schaden entstanden. Das ist meine Altersvorsorge. Die Kosten laufen weiter.“ Mittlerweile habe sie aber eine Mängelliste erhalten, wolle diese durchgehen und sich mit einem Rechtsanwalt beraten.
„Stadt hat meine Häuser erst zu Schrottimmobilien gemacht“ Einen Rechtsanwalt wiederum haben sich auch die ehemaligen Bewohner genommen. Sie lassen sich von der Hochfelder Kanzlei „Leonhard & Schult“ vertreten. Diese sind, nach eigenen Angaben, in der Vergangenheit schon öfter tätig geworden, wenn es um das Thema Wohnen in Hochfeld ging.
Bewohner wollen Habseligkeiten aus den Wohnungen holen – schwierige Terminsuche mit der Stadt
Ein Betroffener schildert: „Wir sollen unsere Schlüssel beim Hausmeister abgeben. Dabei bekommen wir noch unsere Kaution zurück. Was soll das?“ Die drei Monatsmieten könnten sie gut gebrauchen, um sich neu einzurichten. Die Stadt hatte zwar versprochen, dass sie nach Terminvereinbarung ihr Hab und Gut aus den Häusern holen können, doch die Terminvereinbarung gestaltete sich schwierig. „Ich habe in der Eile meine Socken vergessen und nur ein paar Sachen gegriffen“, erzählt eine Dame und schüttelt mit dem Kopf. Ein anderer berichtet: „Nach mehrmaligem Fragen, durften wir endlich in die Wohnung, aber nur mit zwei Leuten. Wie soll ich mit meiner Frau eine Waschmaschine aus der Wohnung bekommen?“ Als er die Mitarbeiter des Ordnungsamtes gefragt habe, ob eine weitere Person helfen könne, sei dies verneint worden.
Stadtsprecher Hiedels widerspricht: „Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie wurde diese Personenanzahl festgelegt und alle Mietparteien darüber im Vorfeld informiert. Mit dieser Maßnahme wurde verhindert, dass sich zu viele Personen gleichzeitig im Treppenhaus begegnen. Dennoch konnten die Begleitpersonen jederzeit ausgetauscht werden, um schwere Gegenstände wie beispielsweise Waschmaschinen zu transportieren.“ Dieses Angebot sei von einigen ehemaligen Bewohnern auch in Anspruch genommen worden.
Melih Keser, engagiert bei Bündnis 90/Die Grünen, hat die Bewohner in den vergangenen Wochen bei Behördengängen unterstützt – und war auch bei dem Termin dabei, als die Betroffenen noch einmal in die versiegelten Gebäude durften. Auch bei den Interviews mit unserer Zeitung ist er nun vor Ort und übersetzt die Gespräche teilweise vom Türkischen ins Deutsche. „Einige Mitarbeiter haben sich aufgeführt wie Türsteher“, beschreibt Keser. Für ihn sei es für die politische Debatte wichtig, mit den Bewohnern im Gespräch zu sein.
Wichtige Post kommt nicht an – Stadt Duisburg verweist auf Nachsendeantrag
Die Eigentümerin will, betont sie auf Nachfrage, nun darauf verzichten, die Schlüssel einzusammeln. „Die wollte ich haben, um mir ein Bild von der Situation vor Ort zu machen.“ Sie wohnt im Norden Deutschlands – seit der Schließung sei sie nicht mehr in Hochfeld gewesen. Am Tag des Task Force-Einsatzes sei ihr Hausmeister vor Ort gewesen. „Die Kaution kann ich erst zurückzahlen, wenn ich die Abrechnung gemacht habe. Allerdings sind alle Strom- und Wasserzähler abgebaut worden.“ Im Gespräch bestätigt sie allerdings eine Aussage der Ex-Mieter, wonach der Hausmeister die Miete teilweise bar von ihnen kassiert habe: „Das kommt in Hochfeld vor, weil es einigen Mietern lieber ist, bar zu bezahlen.“
Immer wieder betont sie, wie gut ihr Verhältnis zu den Bewohner gewesen sei und dass sie sich stets um die Personen gekümmert habe. So habe sie darauf geachtet, dass die Mieter nicht von der Adresse abgemeldet worden seien – dies hatte in der Vergangenheit in anderen Fällen dazu geführt, dass zum Beispiel Leistungen vom Amt nicht mehr gezahlt worden seien.
Der werdende Vater Milcho Valchanov hat dennoch mächtig Probleme bekommen. Damit seine schwangere Frau Magdalena Valchanova beim Arzt und im Krankenhaus behandelt wird, hat er sich um eine Familienversicherung gekümmert. Doch als die Briefe von der Krankenkasse ankommen sollten, waren die Häuser schon geräumt. „Der Arzt hat uns geholfen, dass wir alles regeln konnten. Warum nimmt die Stadt keine Rücksicht?“, fragt er. Das kommentiert die Stadt mit dem Verweis: „Ein Nachsendeauftrag ist möglich und kann bei der Deutschen Post gestellt werden.“ Mit Blick auf mögliches Fehlverhalten der städtischen Mitarbeiter, erklärt Stadtsprecher Hiedels: „Die Einsätze der Task Force werden immer ruhig und sachlich durchgeführt. Bei Sprachschwierigkeiten wird ein Sprachmittler hinzugezogen.“
Oberbürgermeister Sören Link verteidigt das Vorgehen der Stadt
Immerhin haben Milcho Valchanova und seine Gattin schnell eine neue Wohnung gefunden. Davon kann Nikolay Georgiev nur träumen. „Ich übernachte mit meiner Frau momentan im Keller. Ich brauche auch einen neuen Job, aber wie soll ich einen finden ohne feste Adresse?“ Er habe nie geglaubt, dass so ein Verhalten in Deutschland rechtens sei. In den vergangenen Wochen haben sich denn auch zahlreiche Parteien geäußert und wollen das Thema in der kommenden Ratssitzung noch einmal auf die Tagesordnung bringen.
Von der Stadt würden sich die Bewohner wünschen, dass sie künftig anderen Betroffenen stärker hilft, eine neue Bleibe zu finden. Angeboten wurden Notunterkünfte, die teilweise in Walsum oder anderen weiter entfernten Stadtteilen lagen. Die meisten kamen deshalb bei Bekannten und Verwandten unter, die in Hochfeld oder im Umkreis lebten – doch die meisten haben selbst nur wenig Platz für sich und ihre Kinder. Sebastian Hiedels erklärt die Regelung so: „Die Belegung von Notunterkünften richtet sich nach der aktuellen Verfügbarkeit von geeigneten Plätzen. Grundsätzlich ist die Organisation von Ersatzwohnraum Pflicht des Vermieters. Im Fall der Bewohner der Gravelottestraße kamen sie in Ferienwohnungen in Wanheimerort und Alt-Homberg unter“
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Oberbürgermeister Sören Link lässt sich von seinem Kurs nicht abbringen. Er sagt zu dem Vorgehen: „An der Haltung der Stadt hat sich nichts geändert: Brandschutz ist nicht diskutabel. Wir haben in der Vergangenheit durchaus erfahren müssen, welche verheerenden Folgen für Mieter – nicht für den Eigentümer, der in der Regel in anderen Verhältnissen wohnt – im Falle eines Brandes entstehen können. Eine akute Gefahr für Leib und Leben, die zur sofortigen Nutzungsuntersagung führt, ist dann unabdingbar, wenn Gefahr im Verzug ist. Dabei geht es um den Schutz der Mieter.“ Bislang habe die Stadt übrigens in allen Fällen der gerichtlichen Überprüfung der Nutzungsuntersagungen „obsiegt“: „Anhand der vier Objekte, die nach Schließung ordnungsgemäß und vollständig saniert und wieder bewohnbar waren, zeigt sich, dass unser Konzept greift.“
Am 24. März hat es einen weiteren Einsatz der Task Force an der Johanniterstraße gegeben.
>> Das sagt die Statistik der Stadt Duisburg über Hochfeld
Laut Statistik der Stadt, Stand 31.12.2020, wohnten 18.312 Personen in Hochfeld. 14.570 haben einen Migrationshintergrund, das entspricht 79,6 Prozent. 11.014 von ihnen sind „Ausländer“ – besitzen also keine deutsche Staatsangehörigkeit. „Als Einwohner mit Migrationshintergrund zählen alle Ausländer, Eingebürgerte, im Ausland geborene Deutsche sowie Aussiedlerinnen und Aussiedler. Kinder unter 18 Jahren, von denen mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, zählen ebenfalls zu den Einwohnern mit Migrationshintergrund“, definiert Stadtsprecher Sebastian Hiedels.
1345 Wohngebäude mit 7954 Wohnungen gibt es laut Stadt in Hochfeld. Durchschnittlich sind die Bleiben 63,27 Quadratmeter groß und werden von 2,18 Personen bewohnt. Zum Vergleich: Im angrenzenden Dellviertel gibt es 1514 Wohnungen, sie sind im Schnitt 68,72 Quadratmeter groß und 1,69 Personen leben durchschnittlich in einer Bleibe. Die Zahlen stammen vom 31.12.2019.