Duisburg. Dem Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen“ liegen Schreiben vor, die eine Häuserräumung in Hochfeld nahelegen. Das sagt die Stadt.
Wird am Mittwoch in Duisburg-Hochfeld das nächste Haus an der Gravelottestraße geräumt? Davon geht der Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen“ aus und ruft deshalb am Mittwoch, 4. Mai, ab 8 Uhr morgens zu einer Mahnwache vor dem Gebäude an der Gravelottestraße 48 auf. In einer Stellungnahme begründet die Stadt nun, warum sie das Haus regelmäßig kontrolliert – sagt aber nicht, ob am Mittwoch etwas vor Ort stattfindet.
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In einem Facebook-Beitrag vom Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen“ heißt es: „Wir rechnen nach unserem jetzigen Informationsstand mit einer Zwangsräumung. Die Bewohnerinnen und Bewohner und der Eigentümer wurden nicht informiert. Jedoch scheint die Abteilung des Jobcenters ‚Südosteuropa‘ etwas zu übereifrig gewesen zu sein. Das Jobcenter Duisburg hat anscheinend schon vor Wochen über einen Task-Force-Einsatz Bescheid bekommen und die Leistungen für die Bewohnerinnen und Bewohner vorläufig ganz eingestellt, obwohl sie derzeit noch an der Adresse wohnhaft sind.“
Beim letzten Task-Force-Einsatz in Duisburg-Hochfeld verloren 55 Personen ihre Bleibe
Diese Aussagen stützen sich auf zwei Bescheide mit Datum 21. April, die dem Verein, der sich für die Rechte von Sinti und Roma einsetzt und ihnen eine Stimme geben will, vorliegen sollen. Demnach würden Zahlungen eingestellt, weil die Personen von der jeweiligen Adresse abgemeldet würden. „Die Familien sind zu uns in die Sozialberatung gekommen. So haben wir davon erfahren“, erklärt die Vorsitzende Lena Wiese. Der Verein betreibt am Hochfelder Markt inzwischen ein Zentrum für Kultur, in dem auch Sozialberatung angeboten wird.
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Die bisherigen Einsätze der Task-Force, zuletzt an der Gravelottestraße 39, kamen für die Bewohner in der Regel unerwartet und überraschend. 55 Personen, davon die Hälfte Kinder, verloren zuletzt im Februar in Hochfeld ihre Bleibe. Aus Sicht der Stadt bleibe der Task-Force keine andere Wahl. Das Einschreiten der Task-Force wurde stets mit „Gefahr in Verzug“ begründet. So hieß es zuletzt im Februar vonseiten der Stadt: „Gefahr im Verzug bedeutet, dass im Falle eines Brandes die unmittelbare Bedrohung für das Leben der Bewohner besteht. Im Vordergrund steht bei einer Nutzungsuntersagung der Schutz von Mietern und Nachbarn, um diese vor Gefahren zu schützen.“ Erst, wenn der Eigentümer die Mängel abgestellt habe, sei eine Nutzung für die Mieter wieder möglich. Die Stadt habe den Betroffenen in diesen Fällen Ersatzunterkünfte angeboten.
Vereinsvorsitzende Lena Wiese: „Der Grund ,Gefahr für Leib und Leben’ ist eine vorgeschobene Lüge der Stadt“
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Lena Wiese, die mit ihren Mitstreitern die Einsätze in der Vergangenheit dokumentierte, damit die Betroffenen Gehör finden, erklärt: „Es ist ein Novum, dass wir durch Zufall von dem Vorgehen des Jobcenters erfahren haben. Eine offenbar zugrundeliegende interne Kommunikation der Task-Force, die zu der vorgezogenen Abmeldung durch das Jobcenter von der Adresse führte, lässt darauf schließen, dass die bisher kommunizierte Entscheidungsgrundlage über die Überprüfung auf ,Gefahr für Leib und Leben’ eine vorgeschobene Lüge ist. Das ist das, was Betroffene und Engagierte schon immer an dem selektiven Vorgehen der Task-Force kritisiert haben.“
Stadt Duisburg erklärt, wie das Haus für die Task-Force in den Fokus rückte
Auf Nachfrage erklärt ein Stadtsprecher gegenüber unserer Redaktion, warum das Haus in den Fokus gerückt ist: „Bei einer Überprüfung der Heizung am 20. April 2020 wurde durch den Bezirksschornsteinfeger festgestellt, dass der CO-Gehalt in einer Wohnung im Erdgeschoss zu hoch ist. Der Eigentümer wurde über den Mangel informiert und aufgefordert, diesen abzustellen.“ Der Eigentümer habe die Stadt anschließend darüber informiert, dass das Gebäude auf Fernwärme umgestellt werden sollte und die Gasfeuerstätte entfernt würde. „Bei Nachprüfungen am 28. Mai 2021 wurde festgestellt, dass der Mangel nicht behoben wurde. Daraufhin wurden die Netze Duisburg im Rahmen der Gefahrenabwehr beauftragt, die Gasuhr für die betroffene Wohnung zu entfernen und damit die Gaszufuhr für die Wohnung abzustellen.“
Bei einer neuerlichen Überprüfung wurde am 8. April 2022 der Verdacht geäußert, dass es in dem gesamten Gebäude einen Strom- und Gasdiebstahl gebe. Die Netze Duisburg haben, laut Stadt, kurz darauf die Strom- und Gaszufuhr für das gesamte Haus abgestellt. „Eine akute Gefahrenlage an dem Objekt ist derzeit nicht erkennbar, da Strom und Gas abgestellt sind und daher keine Überschreitung der CO-Grenzwerte durch die Heizung erfolgen kann. Es liegen jedoch Hinweise vor, dass es diverse Mängel in dem Gebäude gibt. Daher hat die Task-Force abgewogen, ob eine Begehung an diesem Objekt stattfinden sollte.“
Da der Vermieter der Stadt glaubhaft versichert haben soll, dass er eine umfassende Sanierung seines Gebäudebestandes anstrebe, kam die Task-Force vergangene Woche zu dem Ergebnis, dort zunächst keine Begehung durchzuführen. „Die Behörden der Stadt Duisburg werden das Objekt jedoch weiter überwachen und überprüfen, ob der Eigentümer seinen Ankündigungen auch Taten folgen lässt.“
Zu dem Schreiben, das das Jobcenter an die betroffene Familie geschickt hat, nimmt eine Sprecherin des Jobcenters Stellung: „Es handelt sich um einen internen Kommunikationsfehler im Jobcenter Duisburg. Der geplante Task-Force-Einsatz wurde bereits in der Akte vermerkt. Diese Kundenschreiben sind dann fehlerhafterweise verschickt worden.“ Es seien zwei Schreiben herausgegangen, betroffen hiervon sind 13 Personen, davon fünf Erwachsene und acht Kinder. „Den Menschen ist kein finanzieller Nachteil entstanden, da die Zahlung der Leistungen zu keinem Zeitpunkt unterbrochen war. Das Jobcenter Duisburg wird die Betroffenen anschreiben und sie um Entschuldigung bitten“, heißt es.
Verein organisiert Anwalt zur Unterstützung
Selbst wenn es keinen Task-Force-Einsatz am Mittwoch geben sollte, stehe die „drängende Frage im Raum, auf welcher Basis das Jobcenter an die Informationen gelangt ist und dann die rechtswidrigen Bescheide verschickt hat. Der Schaden ist angerichtet, denn im Zweifel werden nun für die Betroffenen bis zu zwei Monate alle Leistungszahlungen eingestellt und ein Wohnungsverlust ist so oder so nicht ausgeschlossen.“
Die Ankündigung durch die Behörden führe nicht etwa dazu, dass die Bewohner sich vorbereiten könnten, „es geht die Angst um“, beschreibt Lena Wiese. Ihr sei bekannt, dass mehrere Betroffene Briefe dieser Art bekommen haben. Der Verein kündigt an: „Zusammen werden wir gegen das Vorgehen mit einer Anwaltskanzlei angehen.“