Dortmund. Der Anbau eines Hauses in Dortmund stört den Ausblick der Nachbarn auf den Phoenix-See. Ein Gericht entscheidet über das Recht auf freie Sicht.

Wer hier baut, hat Geld: Die Grundstücke rund um den Dortmunder Phoenix-See gehören zu den absoluten Premium-Lagen des Ruhrgebiets. Umso ärgerlicher, wenn der teuer erworbene Seeblick plötzlich an der Wand des Nachbarn endet. Ein solcher Fall beschäftigt seit fünf Jahren die NRW-Justiz. Nun hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster ein Machtwort gesprochen.

Am Phoenix-See gelten strenge Regeln für den Hausbau

Am Nordufer des Phoenix-Sees reihen sich freistehende Flachdach-Häuser neben- und hintereinander. Alle sehen sich ziemlich ähnlich – und das ist kein Zufall. Der Rat der Stadt Dortmund hat im Bebauungsplan strenge „Gestaltleitlinien“ festgesetzt (nachzulesen in: Hö 252 PHOENIX See, Teilbereich B + Anlage), die „verbindlicher Bestandteil des jeweiligen Kaufvertrages“ sind. Dabei geht es mitunter um Höhe und Breite von Bauten und sogenannte „Sichtkorridore“ zum See.

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Das Haus der Eheleute H. steht hinter dem Haus von Familie M., nur eine Querstraße höher im Hang. 2018 wollen die M.s das Einfamilienhaus vergrößern und gehen den geordneten Weg: Sie beantragen eine Baugenehmigung bei der Stadt Dortmund. Für den geplanten Anbau – ein angedocktes Treppenhaus (sog. „Erker“) – brauchen sie zudem eine „Befreiung“ von den Gestaltleitlinien zur maximalen Breite von Einfamilienhäusern, da die festgesetzten zehn Meter überschritten werden (exakt: 11,51 Meter). Die Stadt segnet beides ab, die Bauarbeiten auf dem Grundstück der Familie starten 2019.

Dortmunder klagen gegen Erker auf Nachbargrundstück

Zum Unmut der Eheleute H., die sofort Klage am für Dortmund zuständigen Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einreichen: Der Anbau verstoße gegen die „nachbarschützenden“ Festsetzungen des Bebauungsplans zur Gebäudebreite. Konkret versperre das entstehende Gebilde ihre freie Sicht auf den Phoenix-See. Es kommt vorerst zum Baustopp. Die nächsthöhere Instanz – das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster – entscheidet daraufhin im Eilverfahren, dass der Anbau sehr wohl errichtet werden darf (Aktenzeichen 7 B 525/19).

Der künstlich angelegte Phoenix-See in Dortmund ist eines der kostspieligsten Wohngebiete im Ruhrgebiet.
Der künstlich angelegte Phoenix-See in Dortmund ist eines der kostspieligsten Wohngebiete im Ruhrgebiet. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Streit geht in die nächste Runde: Verwaltungsgericht hebt Baugenehmigung am Phoenix-See auf

Doch das Ehepaar H. gibt nicht auf und klagt gegen den 2020 fertiggestellten Anbau. Dieser rage 1,25 Meter weit in ihren Sichtkorridor, den die Gestaltleitlinien der Stadt schließlich vorsehen würden. Und wieder läuft es ähnlich: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zeigt Verständnis für die H.s und hebt die Baugenehmigung der Stadt Dortmund auf. Ein Schock für Familie M., die demnach ihr Treppenhaus wieder abreißen müsste.

Mit Unterstützung von Anwalt Prof. Dr. Michael Sattler geht Familie M. in Berufung gegen das Urteil, die Stadt Dortmund als Ausstellerin der Baugenehmigung ebenso. Und wieder landet der Streit am Oberverwaltungsgericht in Münster, wo sich am 6. November 2024 alle in einer öffentlichen Verhandlung gegenübersitzen.

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Anwalt spricht von „Sündenfall“, „Wildwuchs“ und „Krieg“

Tobias Gaase, Rechtsvertreter des Ehepaars H., legt bei dieser Gelegenheit dar, dass es um viel mehr gehe, als den Seeblick seiner Mandanten: „Wir haben hier den Sündenfall“, mahnt er. Wenn der Anbau der M.s bleiben dürfe, dann würden bald sämtliche Anrainer ihre Häuser verbreitern wollen, eine Ausnahmegenehmigung auf die nächste folgen: „Und dann herrscht Krieg, dann ist das Viertel dahin.“ Er befürchtet einen „unsagbaren Wildwuchs“, der dem Normgeber – also der Stadt mit ihren Gestaltleitlinien – in keinster Weise mehr gerecht werde.

OVG NRW Münster
Die öffentliche Verhandlung fand im Gebäude des Oberverwaltungsgerichts NRW in Münster statt. © Funke Medien NRW | Lisa Goedert

Trotzdem weist der 7. Senat des OVG die Klage der H.s erneut zurück und hebt das Urteil des VG Gelsenkirchen auf (Aktenzeichen Az. 7 A 75/23). Der Erker darf bleiben. Zur Begründung verweist der Vorsitzende Richter Jens Saurenhaus darauf, dass durch den Anbau keine Rechte der Kläger verletzt würden. Die Festsetzung zur maximalen Gebäudebreite im Bebauungsplan – auf deren Verletzung die H.s sich berufen hatten – sei nicht „nachbarschützend“. Heißt: Diese Festsetzung dient nicht den Interessen von Nachbarn (also etwa dem Interesse, einen ungehinderten Blick auf den See zu haben), sondern hat allein einen städtebaulichen Hintergrund.

„Man muss Grundstückseigentümer immer darauf hinweisen, dass mit Umgebungsveränderungen zu rechnen ist“ – auch mit negativen, die man dann halt hinnehmen müsse: „Das ist bedauerlich, aber nach der Rechtsprüfung so der Fall“, so Saurenhaus abschließend.

Das OVG hat das Rechtsmittel der Revision nicht zugelassen. Dagegen können die Kläger Beschwerde einlegen, über die dann das Bundesverwaltungsgericht entscheiden würde.

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