Dortmund. Wohnungen fehlen, Grundstücke auch: Dachaufstockungen sollen im Dortmunder Nordosten ein ganzes Viertel aufwerten. Ein Modell auch für andere Stadtteile?
Viel Geduld müssen die Bewohner des Goldschmiedingwegs aufbringen. Noch bis 2028 wird ihr Viertel in Kirchderne eine Baustelle sein. Jeweils ein Jahr dauert der Umbau der schlichten Häuser, an denen neue Wohnungen entstehen – dort, wo vorher nur Dach war. Das ganze Umfeld soll aufgewertet werden, neue Wohnqualität auch die Nachbarschaft neu mischen. Unter Bauexperten gilt die Dachaufstockung als wichtiges und vor allem nachhaltiges Instrument, um in Ballungsräumen dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.
Das Quartier im Dortmunder Nordosten ist nicht das erste, in dem der Spar- und Bauverein seine Häuser um zusätzliche Stockwerke erweitert. Schon im Wohngebiet „Bergmanns Wiesen“ in Hostedde sind auf diese Weise 28 neue Wohnungen errichtet worden.
+++ Folgen Sie der WAZ Dortmund auf Facebook und Instagram +++
Neuer Wohnraum in Dortmund soll Quartiere stärker durchmischen
„Es handelt sich hier um klassischen Werkswohnungsbau der 60er-Jahre“, sagt Franz-Bernd Große-Wilde, Vorsitzender der Wohnungsbaugenossenschaft. Das Konzept damals: möglichst viele Einheiten für günstige Miete – am Goldschmiedingweg wurden standardisierte Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen mit einer Größe von je 65 Quadratmetern geschaffen.
Was nun in den Stockwerken darüber entsteht, soll anders werden: Die 28 neuen Wohnungen, verteilt auf 14 Häuser, erhalten verschiedene Grundrisse und Größen. Offen, geräumig und modern sollen sie sein – und somit auch eine Klientel anziehen, die über ein höheres Einkommen verfügen dürfte als die bislang dort lebenden Menschen.
Von Luxus kann man nicht sprechen, die Kaltmiete soll bei 8,50 Euro pro Quadratmeter liegen. Dennoch strebt der Spar- und Bauverein eine neue Durchmischung im Quartier an. Droht dadurch das Wohnen auch für Alteingesessene teurer zu werden? Wird sich das Lebensgefühl im Viertel zu ihrem Nachteil verändern? Solche Ängste habe es anderenorts durchaus gegeben, berichtet Franz-Bernd Große-Wilde. In solchen Fällen sei Überzeugungsarbeit nötig, aber auch ein gewisses Vertrauen in den Vermieter.
Muss man Interessenten von Kirchderne überzeugen?
Im Goldschmiedingweg seien die Anwohner der Baumaßnahme gegenüber sehr aufgeschlossen: „Hier wurde jahrelang nicht viel investiert, auch deshalb begleitet die Bewohnerschaft das sehr positiv.“ Denn gleichzeitig werden die Häuser in Gänze einer umfassenden Modernisierung unterzogen – optisch wie energetisch. Ein neuer Spielplatz ist außerdem geplant, auch E-Ladesäulen sowie zwei Fahrradhäuser.
- Wohnen in Dortmund: Die teuersten Stadtteile – und die günstigsten
- Werden Dortmunder verdrängt? „Brauchen die coolen Leute!“
- Günstigere Häuser rund um Dortmund – ein Ort sticht hervor
- Stadtschloss, Landsitz, Edelvilla: Millionenhäuser in Dortmund
Überzeugungsarbeit könnte auch bei den Menschen nötig sein, die als neue Mieter infrage kommen. Die träumen womöglich von ganz anderen Stadtteilen als vom eher schmucklosen Kirchderne. „Das ist an dieser Stelle kein Selbstläufer“, weiß auch der Sparbau-Chef, erwartet wegen der allgemein großen Nachfrage dennoch keine Schwierigkeiten bei der Vermarktung.
Eignen sich Dachaufstockungen auch in zentralen Lagen, in denen die Wohnsituation besonders angespannt ist? Auch für Stadtteile wie das Kreuzviertel – der Spar- und Bauverein besitzt dort rund 3500 Wohnungen – habe man die Option bereits geprüft, sagt Große-Wilde. „Aber man muss aufpassen: manche Häuser stehen unter Denkmalschutz, und man findet teilweise eine Bausubstanz, die man mehr oder weniger komplett neu aufbauen müsste. Aber wir sehen das Potenzial grundsätzlich auch dort gegeben.“
„Ich glaube, so sieht die Stadt der Zukunft aus“
Nachverdichtung nennt man im Fachjargon den Vorgang, an bereits bestehender Bebauung neue Wohnflächen zu schaffen. Entsprechende Konzepte sind gefragt, da sie als Ressourcen-schonend und nachhaltig gelten – eine Versiegelung neuer Flächen etwa ist nicht nötig. Und Dachaufstockungen, eventuell auch ergänzt durch angrenzende Neubauten, seien in diesem Kontext ein ganz wichtiger Hebel, meint Andreas Kieb vom Beratungsunternehmen Drees & Sommer: „Ich glaube, so sieht die Stadt der Zukunft aus.“
Er halte den Goldschmiedingweg für ein „sensationell gutes Beispiel, wie nicht nur die Gebäude selbst gesehen, sondern der Quartiersmaßstab und der Stadtmaßstab gleich mitgedacht werden“, so Kieb. Neue Angebote bei der E-Mobilität und weitere Services könnten bestenfalls in die ganze Umgebung ausstrahlen.
Dortmund sei eine Stadt mit vergleichsweise wenig charakteristischer Bausubstanz, sagt Franz-Bernd Große-Wilde. Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges sei stark auf standardisierten Wohnraum gesetzt worden. Projekte wie die Dachaufstockung am Goldschmiedingweg hätten nun das Potenzial, Stadtteile neu zu prägen: „Mit jeder Wohnung, die wir individualisieren und attraktiver machen besteht die Chance, den Standort in Summe zu heben.“
+++ Mehr Nachrichten aus Dortmund lesen Sie hier +++
>>AUCH BÜROGEBÄUDE HABEN GROSSES POTENZIAL
Dachaufstockungen sind nicht die einzige Möglichkeit, ohne neue Grundstücke für Wohnungen zu sorgen. Ein Trend, der sich gerade in NRW verstärkt beobachten lasse, sei die Umwidmung von Bürogebäuden in Wohnraum, berichtet Christian Hansmann vom Projektentwickler Ruhr Real.
Ausschlaggebend sei eine Entwicklung, die sich seit der Corona-Pandemie verstärkt hat: „Der Bürobedarf ist durch die gestiegene Homeofficequote zurückgegangen.“ Arbeitgeber würden heute eher kleinere, moderne Flächen mit Wohlfühlcharakter anmieten – große, ältere Gewerbeflächen mit Sanierungsbedarf blieben so oft auf der Strecke.
Solche Leerstände gebe es in allen Innenstädten des Ruhrgebiets, so Hansmann, immer mehr Eigentümer machten sich Gedanken über Alternativen. „Die Praxis zeigt, dass zum Beispiel gewerbliches Wohnen immer häufiger entsteht.“ Zum gewerblichen Wohnen zählt man etwa möblierte Apartments, die für vergleichweise kürzere Zeiträume vermietet werden.