Dortmund. Drei Tage lang suchten Freunde und Familie nach Anita Kaß (81). Gefunden wurde sie dort, wo sie verschwunden war: im Dortmunder Klinikum Nord.
„Wir stellten uns irgendwann darauf ein, sie vielleicht nicht mehr lebend zu finden“, sagt Sabrina Kempe im Gespräch mit unserer Redaktion. Am Freitag, 18. Oktober, verschwand ihre Oma Anita Kaß aus ihrem Krankenzimmer im Klinikum Nord. Drei Tage lang suchten Polizei, Familie und freiwillige Helfer verzweifelt nach der demenzkranken Seniorin, die zudem auf Insulin angewiesen ist. Dabei war sie ganz in der Nähe: Die 81-Jährige lag hilflos in einer Toilettenkabine des Krankenhauses. Dort wurde sie erst montagmorgens (21.10.) völlig entkräftet vom Personal entdeckt.
Demente Seniorin verschwand aus Krankenzimmer in Klinikum Dortmund
Wie das passieren konnte, fragen sich Anitas Töchter auch Tage später noch. „Unsere Mutter lebt seit einem Jahr in Eving in einer Demenz-WG. Am 15. Oktober brachte ein Rettungswagen sie von dort wegen Unterzuckerung ins Klinikum Nord. Es kann also kaum sein, dass man nichts von ihrer Demenz wusste“, sagt Sigrid Süßner. Am Freitag habe sie ihre Mutter dort besuchen wollen: „Ihr Bett war jedoch leer, das bereits kalte Mittagessen unangetastet.“ Das Personal dachte offenbar, die Seniorin sei rauchen. Laut Stellungnahme der Klinik sollten Demenzpatienten ihre Station aber nur in Begleitung verlassen. Nach einer ersten erfolglosen Suche habe ein Pfleger gegen 16 Uhr dann die Polizei verständigt.
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Gegenüber ihrer Zimmernachbarin hatte die Seniorin wohl kurz vor ihrem Verschwinden geäußert, dass sie sich ein Bahnticket nach Eving besorgen wolle. Die Familie fertigte Suchplakate, hängte diese im nahegelegenen Fredenbaumpark und an den Bahnhaltestellen auf: „Wir liefen Tag und Nacht durch Park und Straßen, bis wir nicht mehr konnten“, so Süßner. Anitas Enkel und Ur-Enkel bangten mit.
Suchhunde nahmen Fährte der Vermissten im Dortmunder Fredenbaumpark auf
Ein Suchhundeführer bot seine Hilfe an, die Tiere folgten der Fährte der Seniorin durch den nahegelegenen Fredenbaumpark – wo die Spur jedoch abrupt endete. „Wir denken, dass sie den gleichen Weg zurückgegangen ist und sich nach fünf bis sechs Stunden in die Ambulanz begab, da sie dort eigentlich einen Termin in der Sonographie hatte.“ Die 81-Jährige sei nicht durchgehend desorientiert und mit ihrem Rollator durchaus mobil. In einem abgelegenen Warteraum der Ambulanz angekommen, musste sie dann wohl erstmal auf Toilette, wo sie in einer Kabine stürzte.
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„Wenn die Mama stürzt, dann liegt die wie ein Käfer und kommt nicht mehr hoch“, schildert ihre andere Tochter, Sabine Jechow. Die Kölnerin ist wegen des Vorfalls nach Dortmund gereist und wird ihre Familie dort auch noch die kommenden Tage unterstützen. „Wir verstehen nicht, wie dieser Raum bei der Suche übersehen werden konnte. Die Ambulanzen sind am Wochenende außer Betrieb, man kann dort aber offensichtlich zur Toilette gehen. Wir haben uns darauf verlassen, dass dieses Szenario bei der Durchsuchung des Gebäudes in Betracht gezogen wird.“
Anita sei eine eher ängstliche Natur und trotz ihrer Demenzerkrankung deshalb noch nie abgehauen. Dafür aber schon mehrfach schwer gestürzt: „Diesmal hat sie keine Knochenbrüche, aber ein riesiges Hämatom an der Hüfte und blaue Flecken im Gesicht. Eventuell ist sie mit dem Kopf gegen die Kloschüssel geschlagen und bewusstlos geworden“, erzählt Sigrid Süßner. Ihre Mutter erinnere sich nicht an das traumatische Geschehen, sei aber sehr geschwächt und hätte trotz Versorgung auf der Intensivstation immer noch erhöhte Zuckerwerte.
„Wir wissen, dass es nicht möglich ist, eine Demenzpatientin rund um die Uhr zu überwachen – auch wegen Fachkräftemangels. Aber ich hätte erwartet, dass man bei solch einem Vorfall sorgfältiger sucht. Außerdem sollte die Klinik unbedingt in Sachen Kameraüberwachung aufrüsten – auch zum Schutz des eigenen Personals etwa vor aggressiven Patienten“, fordert Sabine Jechow. Bei der Suche nach Anita seien angeblich Überwachungskameras ausgewertet worden, wegen Datenschutzbedenken gebe es aber wohl nur sehr wenige.
Aktuell ist Anita Kaß immer noch im Klinikum Nord, doch die Familie kann ihren Kopf in Ruhe legen: „Eine befreundete Patientin aus Eving wurde auf ihr Zimmer verlegt und hat jetzt ein Auge auf unsere Mutter.“ Wann sie in ihre Demenz-WG zurückkehren kann, sei jedoch noch nicht absehbar.