Bottrop-Kirchhellen. Die kommunale Neugliederung brachte vor 50 Jahren die Zwangsgemeinschaft „Glabotki“ hervor. Sie hielt kein Jahr. Rückblick auf bewegte Zeiten.
Vor 50 Jahren wurden Gladbeck, Bottrop und Kirchhellen zur Zwangsgemeinschaft „Glabotki“ eingemeindet. Auf dem Weg dorthin wurden dem Dorf noch ganz andere Zwangsehen angedroht. Ein Rückblick auf bewegte Zeiten, in denen Kirchhellen sogar mal nach Essen eingemeindet werden sollte.
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Erster Vorschlag: Kirchhellen geht an Essen
Die Debatte um die Gebietsstruktur im Ruhrgebiet hatte schon in den 1950er-Jahren begonnen. 1964 setzte die damals schwarz-gelbe Landesregierung eine Sachverständigenkommission zum Thema Gebietsreform ein. 1971 kam der erste Vorschlag auf den Tisch: das „Städteverbandsmodell“, vier Megacities aus 16 kreisfreien Städten und vier Landkreisen. Bottrop, Gladbeck und Kirchhellen sollten dem Oberzentrum Essen zugeschlagen werden. Die SPD wollte sogar die ganz große Lösung: den „Gesamtverbund Ruhr“
„Hände weg von Kirchhellen!“
1971 war dann ganz Kirchhellen auf dem Baum, als Pläne für eine Dreiteilung Kirchhellens zum Beispiel zwischen Gelsenkirchen, Bottrop und Dorsten bekannt wurden. Das Dorf war vollgesteckt mit Plakaten: „Hände weg von Kirchhellen – Niemals Dreiteilung!“ Die Bürgerinitiative „Rettet Kirchhellen!“ gründete sich.
Unter der Drohung der Dreiteilung dann doch lieber Glabotki, also der Zusammenschluss mit Gladbeck und Bottrop, warb Kirchhellens SPD-Chef Bernd Schnock. Wenn überhaupt Eingemeindung, dann nur nach Dorsten, hielt die CDU dagegen. Einstimmig fasste der Gemeinderat 1972 den Beschluss: „Die Dreiteilung Kirchhellens wird mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Die Gemeinde Kirchhellen besteht mit allem Nachdruck darauf, ihre Selbstständigkeit zu erhalten.“ Der Nachdruck hat nicht lange gehalten, wie wir heute wissen.
Glabotki: Ein Rechenmodell
Auf Glabotki passgenau zugeschnitten war der Kompromissvorschlag des Innenministers von 1972. Der sah so aus: Lasst uns die Untergrenze für eine Stadt auf 200.000 festschreiben und alle kleineren Kommunen eingemeinden. Passt bei Glabotki: Die drei Kommunen brachten es damals auf 201.191 Einwohner, davon 12.652 aus Kirchhellen, das zudem noch einen Teil von Ekel und Tönsholt nach Dorsten verlieren sollte.
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Wenn wir schon Glabotki werden müssen, dann wollen wir wenigstens Kirchhellen heißen: Diese Forderung der Räte von Gladbeck und Kirchhellen trugen deren CDU-Angeordneten in den Landtag, als der im Mai 1974 über das Ruhrgebietsgesetz abstimmte. Begründung: Kirchhellen sei flächenmäßig doch die größte der drei Gemeinden. Der Kirchhellener Abgeordnete Riewerts schob nach: Aus psychologischer Sicht würde der Name dazu beitragen, den „bestimmt schweren Start“ der neuen Stadt zu erleichtern.
Der SPD-Neugliederungsexperte Antwerpes hielt dagegen, was er schon oft gesagt hatte: „Wenn man schon einen neuen Namen nimmt, dann nehmen Sie doch den bekanntesten, nämlich Glabotki!“ Wie wir wissen, stimmte die Mehrheit doch für Bottrop.
Kirchhellen und Gladbeck legten Verfassungsbeschwerde ein
Gegen die Neugliederung legten erst die Gemeinde Kirchhellen und dann Gladbeck Verfassungsbeschwerde ein. Per einstweiliger Verfügung entschied der Verfassungsgerichtshof vor Weihnachten 1974: „Die endgültige Einteilung der neuen Stadt Bottrop in Bezirke hat zu unterbleiben. Straßen und Plätze dürfen nicht umbenannt werden.“
Glabotki kam trotzdem, und nur Alt-Bottrop freute sich darüber. Kirchhellener schickten an Bottrops Oberbürgermeister Ernst Wilczok zum Inkrafttreten der Gebietsreform am 1. Januar 1975 einen Totenbrief mit einem Fluch: „Die umfangreichen Hinterlassenschaften der meuchlings Ermordeten möge den Tyrannen Unheil und Verderben bringen, bis der letzte und größte Wunsch der Verstorbenen in Erfüllung geht: die Wiedergeburt der Gemeinde Kirchhellen.“
„Wir jagten die Bottroper aus Kirchhellen!“
Die gibt es bis heute nicht. Aber Glabotki wurde noch in jenem Jahr zu Grabe getragen durch das „Nikolausurteil“ des Verfassungsgerichtes 1975. Die Richter gaben der Verfassungsbeschwerde aus Gladbeck statt, die Beschwerde aus Kirchhellen hatte sich damit erledigt. In Kirchhellen läuteten die Kirchenglocken, bei Schulte-Wieschen sangen sie: „Großer Gott, wir loben Dich“, und jeweils 2500 Kirchhellener stürmten an zwei Abenden das Festzelt zum Ball unter dem Motto: „Wir jagten die Bottroper aus Kirchhellen!“
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Dafür kamen die Gelsenkirchener. Die beschlossen einen Monat später einstimmig im Rat, Kirchhellen und Gladbeck nach Buer eingemeinden zu wollen. Dann doch lieber mit Bottrop, beschloss im Mai 1976 die Gemeinde Kirchhellen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Eine umfangreiche Chronik der Bottroper Verwerfungen im Zuge der Gebietsreform findet sich in Maria Rassels Werk „Die kommunale Neugliederung im Raum Bottrop 1964 - 1977“. Es ist nach Terminvereinbarung im Stadtarchiv einzusehen.