Bottrop. André Gaudschun berichtet eindrücklich, wie Polizisten angefeindet und angegriffen werden. Trotzdem zweifelt er niemals an seinem Job.

Es gibt einen Vorfall, an den denkt Polizeihauptkommissar André Gaudschun auch zwei Jahre später noch. Ein Hochzeitsgast benimmt sich daneben, Gaudschun und seine Kollegen lösen eine tumultartige Lage auf. Der Gast ist betrunken, beschimpft die Polizisten. Als Gaudschun ihn in den Streifenwagen setzt, fixiert, aber noch nicht angeschnallt, spuckt der Mann ihm ins Gesicht, holt zum Kopfstoß aus. Da versetzt ihm der Polizist einen Faustschlag.

Der Fall wird überprüft, letztlich steht fest: André Gaudschun hat nichts falsch gemacht. Trotzdem, ein solches körperliches Eingreifen bei einer fixierten Person, sei eigentlich „ein absolutes No-Go“. Eines, das Gaudschun für sich selbst einordnen und verarbeiten muss.

Bottroper Polizist: „Gewalt gibt es immer wieder, sowohl verbale als auch körperliche“

Polizisten werden beleidigt, angegriffen, diffamiert. Sie sind in Extremsituationen eingesetzt, oft konfrontiert mit Menschen im Ausnahmezustand. Die Gewalt gegen Einsatzkräfte gipfelte am 31. Mai in der grausamen Messerattacke eines Afghanen in Mannheim. Der Mann griff mehrere Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung Pax Europa an. Bei dem Einsatz wurde ein Polizist schwer verletzt. Rouven L., 29 Jahre alt, starb zwei Tage später.

„Das macht mich wütend“, sagt André Gaudschun. „Der Kollege hat seinen Job gemacht und dafür wortwörtlich alles gegeben.“ Nach der erschütternden Tat von Mannheim haben wir die Polizei Recklinghausen gefragt, ob ein Polizist von seinem Alltag berichtet, davon, wie Anfeindungen zunehmen, welche Rolle Gewalt und Respektlosigkeit spielen. André Gaudschun hat sich sofort bereit erklärt, mit uns zu reden.

Gespräch über Gewalt, Anfeindungen und rauen Ton bei Einsätzen auf der Polizeiwache Gladbeckerstraße in Bottrop
André Gaudschun ist im Streifendienst in Bottrop tätig. Außerdem ist er Teil des Alarmzugs. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Der 41-Jährige sitzt auf der Bottroper Polizeiwache. Den Kopf rasiert, am Kinn ein Rauschebart. Seit 2009 arbeitet er hier, hat seine Ausbildung gemacht, ist im Streifendienst tätig und zusätzlich im Alarmzug, der an die Hundertschaft angegliedert ist. „Gewalt gibt es immer wieder, sowohl verbale als auch körperliche“, sagt er.

Polizisten haben oft nur einen Sekundenbruchteil Zeit für eine Entscheidung

Das Ruhrgebiet sei ein „Schmelztiegel“ mit vielen Nationalitäten. Eine Herausforderung seien die unterschiedlichen Sprachen, die Kommunikationshürden; eine andere, wenn Personen stark alkoholisiert sind, auf großen Feiern wie Schützenfesten zum Beispiel. Und dann ist da die Öffentlichkeit, die die Handlungen der Einsatzkräfte infrage stellt, die stört, schimpft, Videos macht und sie teilweise danach in sozialen Medien verbreitet.

„Zwang sieht nie gut aus. Aber manchmal muss man ihn anwenden.““

André Gaudschun, Polizeihauptkommissar

Aber diese Öffentlichkeit bekomme einen Einsatz oft erst mit, wenn es laut wird, wenn die Situation angespannt wird. „Zwang sieht nie gut aus“, sagt Gaudschun. „Aber manchmal muss man ihn anwenden. Bevor das passiert, wird er aber mehrfach angedroht.“ Zwang bedeutet in der Polizeisprache körperliche Gewalt in unterschiedlichen Abstufungen: von Festhalten der Person über Zwang mit Hilfsmitteln wie Pfefferspray bis hin zu Zwang durch Waffen. Die Polizei darf Zwang anwenden, wenn es verhältnismäßig ist. „Die Rechtsgrundlagen müssen sorgfältig geprüft werden.“

Für diese Prüfung haben Polizisten aber oft nur Sekunden, manchmal nur Bruchteile einer Sekunde Zeit. Was den Hauptkommissar ärgert, sind unbedachte, unreflektierte Kommentare in sozialen Netzwerken wie „das hätte man doch anders, besser regeln können“. „Wir treffen in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung, für die andere Stunden, Tage, Wochen haben, um sie später zu beurteilen.“ Manchen gehe es auch darum, etwas gegen die Uniform zu sagen.

577 Polizistinnen und Polizisten des Polizeipräsidiums Recklinghausen sind 2023 angegriffen worden

Das „scheiß Bulle“, das ihm immer mal wieder entgegen geschmettert wird, nehme er nur noch zur Kenntnis. „Die beleidigen nur das“, sagt Gaudschun und zeigt auf seine Marke, „und nicht das“, und deutet auf seine Haut. Um den Menschen hinter der Uniform geht es den wenigsten.

577 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des Präsidiums Recklinghausen sind 2023 Opfer einer Straftat geworden. In den meisten Fällen ging es um Widerstand oder tätliche Angriffe. „Bei vielen Menschen ist inzwischen die Hemmschwelle gesunken, teilweise kommt es sogar zu gezielten Attacken auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“, sagt die Recklinghäuser Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen. „Diese Entwicklung ist erschreckend und darf so nicht weitergehen.“

Sie appelliert: „Wir müssen mehr hinter den Menschen in Uniform stehen, die sich täglich um unsere Sicherheit kümmern.“ Friederike Zurhausen stellt bei jedem Fall von Gewalt gegen einen ihrer Mitarbeiter zusätzlich Strafantrag.

Bottroper Polizist: „Man darf die Schubladen nicht schließen“

Doch je mehr sich die Anfeindungen häufen, je öfter Gewalt völlig eskaliert wie in Mannheim, desto mehr müsse man aufpassen, nicht in Stereotype zu verfallen. „Der Angreifer in Mannheim war Afghane, aber das heißt nicht, dass alle Afghanen schlecht sind“, sagt André Gaudschun. Ja, auch er denke in Schubladen, „aber man darf die Schubladen nicht schließen“. Natürlich nehme man gewisse Erfahrungen mit in jeden Einsatz, aber das vorgefertigte Bild sei nicht immer richtig.

Mit der Einstellung geht der 41-Jährige auch in die nächsten vier Wochen. Mit dem Alarmzug wird er bei der Europameisterschaft eingesetzt sein, stellt sich auf eine anstrengende Zeit ein. „Ein gewisses Gefahrenpotenzial ist immer da“, sagt Gaudschun. „Aber ich freu’ mich auf die EM, auch wenn die Zeit sehr viel abverlangen wird.“

Denn an seinem Job zweifelt er nie, „der ist super. Und der Job kann ja nichts für die äußeren Umstände.“ Die Entscheidung, Polizist zu werden – schon immer sein Traumberuf – hat er nie bereut. „Egal, wie schwierig und herausfordernd es ist, es tut gut, Leuten zu helfen, ihnen Schutz zu bieten und einen Beitrag für das gesellschaftliche Zusammenleben zu leisten.“