Bochum. Rund 265 Menschen leben in Bochum auf der Straße. Ehrenamtler wie Gabriele Wnuk versorgen sie mit dem Nötigsten. Was die 67-Jährige antreibt.
Gabriele Wnuk (67) hebt eine weiße Jacke an, drückt sie dem jüngeren Mann gegenüber von ihr in die Hand. Er probiert sie an. Sie passt und viel wichtiger noch: Sie hält warm. „Danke“, sagt der Mann und fragt: „Darf ich bitte auch einen Kaffee haben?“ Wnuk befüllt einen Becher mit dem dampfenden Getränk.
Es ist Dienstag, kurz vor 18 Uhr. Gerade erst hat die Kältehilfe des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) neben dem Haupteingang des Bochumer Hauptbahnhofes geparkt. Neben dem gelben Fahrzeug bauen sie Holztische auf, platzieren Kleidung, Thermoskannen mit heißen Wasser und Kaffee. Im Wagen werden die Seitenfenster geöffnet, Essen steht bereit. Schon kommen die ersten Bedürftigen.
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Nicole Brandenburger hat die ASB-Kältehilfe ins Leben gerufen
Die Temperaturen liegen an diesem Abend knapp über null Grad. In der kalten Luft dampft das warme Essen, das Tim schon wenige Minuten später in der Hand hält. „Die Kartoffelsuppe ist lecker“, sagt der 37-Jährige an einen Mann gerichtet, der ebenfalls auf den Tisch und die Ehrenamtlichen zuläuft. Dieser nickt. „Die hole ich mir gleich auch“, antwortet er. Er sieht ein paar Jahre älter aus als Tim. Gemein haben beide, dass sie auf der Straße leben. Bei Tim ist das seit etwa einem halben Jahr der Fall, seitdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Tag für Tag, Nacht für Nacht verbringt er seitdem draußen.
Das Angebot der Kältehilfe nimmt er gerne in Anspruch, genauso wie das anderer Hilfsorganisationen, die in Bochum warme Getränke, Essen und Kleidung verteilen. Nicole Brandenburger, Leitung des Sozialen Dienstes beim ASB, hat die Kältehilfe 2023 ins Leben gerufen. „Obdachlosen Menschen helfen war das, was ich schon lange machen wollte“, sagt sie. Von ihrer Chefin erhält sie dafür das Go und auch den gelben Versorgungswagen.
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Team der Kältehilfe in Bochum besteht aus 15 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern
Insgesamt besteht das Team aus 15 Ehrenamtlichen. Von Beginn an ist Gabriele Wnuk (67) mit dabei. Sie hat sich schon zuvor im Begleithundedienst beim ASB engagiert. „Ich bin Rentnerin“, nennt sie einen Grund, und: „Mit der Gruppe macht es einfach Spaß.“ Berührungspunkte zu Obdachlosen hatte sie vorher nicht. Da seien am Anfang durchaus ein paar Vorurteile gewesen, gibt sie zu. Sie hat nicht so eine große Freundlichkeit erwartet, wie ihr nun immer wieder entgegen gebracht wird.“ Doch: „Die Leute sind so dankbar.“
So auch Gökaan (47). Zwar hat einen festen Wohnsitz bei seiner Mutter in Witten. Doch dort gibt es immer wieder Stress. Er verbringt viel Zeit auf der Straße. „Hier kriegt man, was man braucht“, sagt er und zeigt dankbar auf die Helfenden. So auch dicke und warme Kleidung.
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Mit 30 bis 40 Personen rechnen die Ehrenamtlichen der Kältehilfe bei ihren ersten Einsätzen. Im Laufe der kommenden Wochen werden es dann wohl mehr. Dass die Kältehilfe vor Ort ist, das spreche sich schnell herum unter den Obdachlosen. Rund 265 Obdachlose leben in Bochum (Stand: 2020).
Bei der Kältehilfe des ASB in Bochum bekommen auch Hunde etwas zu essen
Seit diesem Jahr engagiert sich auch Jens Hansel (51) ehrenamtlich. Vor anderthalb Jahren hat er am Hauptbahnhof in Dortmund gesehen, wie Ehrenamtliche Obdachlosen helfen, sie mit warmem Essen und Getränken versorgen. „Ich fand das total interessant“, sagt er. Als er sieht, dass auch der ASB in Bochum eine Kältehilfe ins Leben ruft, meldet er sich. Nach wenigen Schulungen – unter anderem zum Thema Hygiene – ist er dann erstmals dabei. „Ich mag es, mit ihnen ins Gespräch zu kommen“, erzählt Hansel, zweifacher Vater und Bauingenieur bei der Stadt. Die Menschen seien sehr offen, teilen ihre Geschichte.
Ehrenamtler Peter Fischer stellt sich dazu. „Komm, wir machen uns mal auf den Weg“, sagt er. Gemeinsam mit Beate Eisentraut läuft er los, mit dabei Hundefutter für die Vierbeiner der Bedürftigen. Das hat das Tierbedarfsgeschäft Fressnapf gespendet. Mindestens zu zweit sind die Ehrenamtlichen immer unterwegs, ein Mann und eine Frau. „Sie gehen auch ganz runter bis in die U-Bahn-Stationen“, weiß Brandenburger.
Das Nötigste gegen die Kälte: Warme Suppe, Hygieneartikel, dicke Jacken
Währenddessen verteilt Jennifer Wilde (50) die warme Suppe. Für sie ist es bereits die zweite Saison bei der Kältehilfe. Und bis auf eine Person, die bereits über 90 ist, habe sie 2024 alle Menschen wiedergetroffen, die sich noch aus dem letzten Jahr kennt. Schon länger wollte sich Wilde in einem Ehrenamt engagieren. Zu hören, warum die Menschen auf der Straße leben, sei sehr bewegend. Wie auch alle anderen Ehrenamtler macht sie die Arbeit bei der Kältehilfe aus großer Leidenschaft. „Wir erfüllen auch manchmal Wünsche aus privater Tasche“, sagt Wilde. Im vergangenen Jahr seien das vor allem Hygieneartikel gewesen. In diesem Jahr gibt es eine Spende von der Drogeriekette DM.
„Ich bräuchte dringend einen Rucksack“, schildert ein Bedürftiger, der das Team anspricht. Den können die Ehrenamtlichen ihm nicht geben, zumindest nicht an diesem Tag. „Wir haben keinen da“, erklärt Brandenburger ihm. „Aber ich versuche, bis nächste Woche einen zu organisieren.“ Sie macht sich eine Notiz in ihr Handy.
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Gemeinsam überlegt das Team darauf: Was brauchen wir in der kommenden Woche noch? Handschuhe, Socken, Mützen, merken sie sich, neben warmen Pullis und Jacken natürlich. Nach etwa anderthalb Stunden neigt sich dieser Einsatz der Kältehilfe dem Ende zu. Das gelbe Fahrzeug macht sich auf den Rückweg zur Wache des ASB. Weiter geht es für die Ehrenamtlichen am nächsten Dienstag.
Interessierte, die sich auch bei der Kältehilfe engagieren wollen, können sich unter ehrenamt@asb-bochum.de melden.