Bochum. Das Start-up-Unternehmen Gemesys aus Bochum entwickelt einen „revolutionären“ Chip, wie es heißt. Finanziers aus aller Welt beteiligen sich.

Sie haben sich aufgemacht, um nicht weniger als die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) zu revolutionieren. Schneller und energiesparender als bislang jeder existierende Computerchip soll der KI-Chip des Bochumer Start-up-Unternehmens Gemesys funktionieren. Für den nächsten Entwicklungsschritt hat das vierköpfige Gründerteam jetzt in einer Finanzierungsrunde 8,6 Millionen Euro von Investoren eingesammelt; dem Vernehmen nach eine der größten Einstiegsfinanzierungen, die es in Europa je gegeben hat.

Investoren, Land und Bund stecken Geld in Bochumer Start-up-Firma

Geld aus Deutschland, Österreich, USA und Japan steckt nun in der Firma, die die Elektroingenieure Dennis Michaelis, Enver Solan, Unternehmensberater Moritz Schmidt und Chip-Designer Daniel Krüger im vergangenen Jahr gegründet haben – eine Ausgründung aus der Ruhr-Universität Bochum. Auch die NRW.Bank ist beteiligt, vom Bund gibt es Fördermittel. „Wir mussten einigen Investoren sogar absagen, weil so viele Leute reinwollten“, sagt Dennis Michaelis. Der promovierte Elektrotechnikingenieur ist neben Enver Solan der technische Kopf der IT-Schmiede, die bislang ihren Sitz im Wissenschaftsgebäude Zess auf Mark 51/7, dem früheren Opel-Werk, hatte. Vor einigen Wochen hat sie im Exzenterhaus an der Universitätsstraße ihre neuen Büros bezogen. Aus Platzgründen. Das Team wächst, sucht weitere hoch spezialisierte Mitarbeiter. Mit einem Teil des frischen Geldes werden die Personalkosten getragen.

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„Der Hauptteil des Geldes ist tatsächlich für die Erweiterung des Teams, aber auch für die Chipproduktion. Das ist kein günstiges Unterfangen“, so Michaelis. So habe allein die Fertigung des neuen Chips in den USA 180.000 Euro gekostet. Entwickelt wird das lernfähige Bauteil, das kleiner ist als ein Fingernagel, zwar in Bochum, gebaut aber noch in Übersee. „Die Bestrebungen in Europa sind es, mehr Produktionenstätten auch hier aufzubauen. Das ist etwas, was wir begrüßen“, sagt der Elektroingenieur. Aus geopolitischer Sicht sei es wichtig, einen Gegenpol zur bisherigen „nordamerikanischen und asiatischen Vorherrschaft“ zu schaffen.

In Essen haben die Gemesys-Gründer Moritz Schmidt (l.) und Dennis Michaels vor einigen Wochen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur ihre Entwicklung präsentiert. Robert Habeck hält die Gemesys-Platine in der Hand, die mittlerweile auf einen Bruchteil zum Chip geschrumpft ist.
In Essen haben die Gemesys-Gründer Moritz Schmidt (l.) und Dennis Michaels vor einigen Wochen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur ihre Entwicklung präsentiert. Robert Habeck hält die Gemesys-Platine in der Hand, die mittlerweile auf einen Bruchteil zum Chip geschrumpft ist. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

3500 Rechenkerne passen auf den kleinen KI-Chip; einem Prototyp, der noch nicht marktreif ist. Das sind 3499 mehr als auf der Platine, die Gemesys vor acht Monaten gebaut und damit die grundsätzliche Funktionsweise des neuen Chips getestet hat. Diesen Schritt in so kurzer Zeit geschafft zu haben, „macht uns stolz“, so Mitgründer Michaelis. Nun gehe es darum, auf der kleine Fläche noch das Zigfache der nun 3500 Rechenkerne unterzubringen. „Das geht. Es müssen noch mehr Optimierungsschritte gemacht werden, um die Strukturen kleiner zu machen.“

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Und wozu das Ganze? „Der Chip ist darauf ausgelegt, mit beispielloser Daten- und Energieeffizienz zu arbeiten, sodass neuronale Netzwerke mit einem Bruchteil der Daten trainiert werden können“, hat der für das Kaufmännische zuständige Moritz Schmidt in einem Interview mit dem Start-up-Center NRW gesagt. Das gelinge, weil der Chip funktioniere wie das menschliche Gehirn und anders als bei bisherigen Modellen kein aufwendiger Datentransfer zwischen Arbeits- und Datenspeicher notwendig sei. Momentan seien für das Training von KI-Anwendungen noch große Rechenzentren nötig.

Mit dem Gemesys-Chip soll es möglich ein, KI vor Ort zu trainieren; etwa im Handy und im Auto

In Zukunft soll es möglich sein, den Gemesys-Chip u.a. in Notebooks, Autos, Mobiltelefonen usw. zu integrieren, „um KI vor Ort zu trainieren“, wie es heißt. So könnte etwa ein Handy individuell an den Bedarf des Nutzers angepasst lernen. „Diese Innovation eröffnet eine völlig neue Bandbreite mobiler Geräte- und Sensoranwendungen, die Daten direkt an der Quelle verarbeiten und lernen können.“

Die IT-Schmiede arbeitet u.a. auch mit einem anderen erfolgreichen Bochumer Start-Up zusammen: mit Physec. Elektroingenieur Michaelis: „Die beschäftigen sich z.B. mit Raumüberwachung. Die verschickten elektromagnetische Wellen in diesen Raum kommen als Echo zurück. Daran lässt sich ablesen, ob der Raum manipuliert wurde.“ Auch mit einem Energienetzbetreiber arbeiten die Chipentwickler von Gemesys schon zusammen.

Kleiner, schneller, effizienter. Das alles spare Zeit und Geld, und hat aus Sicht der Bochumer noch einen weiteren wichtigen Vorteil: „Das KI-Training direkt auf Geräten stellt einen entscheidenden Schritt für technologische Souveränität dar und bringt Deutschland und Europa auf die Karte als bedeutende Akteure in der KI.“ Kein Wunder, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im September bei einem Besuch des Innovationszentrums Bryck in Essen auch das Gespräch mit Dennis Michaelis und Moritz Schmidt gesucht haben.

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Das Interesse von Politik und Wirtschaft an einem Erfolg von Gemesys ist beträchtlich. Nun geht es für die Bochumer darum, die nächsten beiden Entwicklungsschritte zu gehen, „nämlich mehrere KI-Modelle auf dem Chip zu platzieren“ statt bislang nur einem festen neuronalen Netz und schließlich „noch mehr Rechenkerne darauf zu packen“. Dann, in zwei bis drei Jahren, sei der KI-Chip made in Bochum marktreif. Und dann sollen sich die Investitionen der Geldgeber auszahlen.

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