Bochum. 40.000 Studierende, 6300 Beschäftigte, 100 Nationalitäten: Wie gelingt ein gutes Miteinander an der RUB? Diese zwei Frauen kümmern sich darum.

Vom Schreibtisch in ihrem Büro aus blickt Prof. Isolde Karle auf ein Poster. „Diversity is the one thing we all have in common. Celebrate it every day“, steht darauf: Die Verschiedenartigkeit sei die eine Sache, die wir alle gemeinsam hätten. Man solle sie feiern, jeden Tag. Seit 2021 ist die Theologin die erste Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talententwicklung an der Ruhr-Universität Bochum.

Ein Titel, so groß wie schwer greifbar. Was, bitte, macht man als Prorektorin für Diversität?

Isolde Karle holt etwas aus: Die vergangenen zwei Jahrzehnte seien vor allem von Bemühungen um die Gleichstellung von Frauen geprägt gewesen. Da gebe es auch immer noch viel zu tun, Stichwort „Gender Pay Gap“ zum Beispiel. Aber in jüngerer Vergangenheit sei mehr und mehr ins Bewusstsein gerückt, dass es darüber hinaus eine „Riesenpalette an Vielfalt“ gebe.

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Ruhr-Uni Bochum: Diversität als „großer Schatz“

Knapp 40.000 Menschen studieren an der RUB, hinzu kommen 6300 Beschäftigte sowie 3800 Doktorandinnen und Doktoranden. Rund 100 verschiedene Nationalitäten kommen zusammen, sagt Isolde Karle, „First Generation Students“, Menschen unterschiedlicher Religionen, Menschen mit Behinderung, trans Menschen, Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Biografien. Diversität ist also längst da. „Die begreifen wir als großen Schatz“, betont die 61-Jährige.

Die RUB aus der Luft: Knapp 40.000 Menschen studieren dort.
Die RUB aus der Luft: Knapp 40.000 Menschen studieren dort. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey www.luftbild-blossey.de

Das Paradoxe: Um Talente unabhängig von Herkunft, Geschlecht, finanziellen Ressourcen oder anderer Hintergründe zu entwickeln, müsse man „erst mal den Fokus auf diese Differenzen legen“. Einzelne Personengruppen seien immer noch eingeschüchtert von der Universität, fragten sich: Hab ich hier meinen Platz? Es gehe darum, diese zu unterstützen, dass sie sich entfalten können – aber auch darum, dass sich die vermeintliche Normalität der Mehrheitsgesellschaft „irritieren lässt“ und bereit ist, von anderen zu lernen.

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Zeichen der Antidiskriminierungsarbeit: WCs für alle Geschlechter

Wo unterschiedliche Hintergründe und Bedürfnisse aufeinandertreffen, ist das Schlagwort Diskriminierung nicht weit. Hier kommt Michalina Trompeta ins Spiel, seit gut zwei Jahren die Antidiskriminierungsbeauftragte der Ruhr-Universität. An sie kann man sich wenden, wenn man sich diskriminiert fühlt. Neben der Einzelfallberatung kümmert sich die 38-Jährige mit ihrer Stabsstelle aber auch darum, Strukturen zu verändern.

„Es geht nicht darum, es allen recht zu machen“, sagt Trompeta. Sondern darum, jenen, „die aufgrund irgendwelcher Zuschreibungen und Merkmale benachteiligt werden, zu ihrem Recht zu verhelfen“. Sie nennt ein Beispiel: Im vergangenen Jahr wurden die ersten „All Gender WCs“ an der RUB eröffnet – Toiletten, die explizit für alle Geschlechter offen sind, inklusive Trans- und nonbinären Personen.

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Konflikte gibt es auch auf dem RUB-Campus

Vielfalt bringt aber auch Konflikte mit sich. „Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend polarisiert ist“, sagt Prof. Isolde Karle. „Viele Menschen reden von ,Wokeness‘, haben Angst vor einer Ideologisierung.“ Die RUB sei „mitten in der gesellschaftlichen Debatte, wir sind ja keine Insel“.

Antidiskriminierungsarbeit, betont Michalina Trompeta, „ist keine Charity-Arbeit“, kein „nettes Add-On“, sondern eine Verpflichtung für eine Institution wie die Ruhr-Uni. Rund 70 Einzelfallberatungen zählt sie pro Jahr, jede individuell, aber es gebe auch „Klassiker“: Der Dozent, der der Studentin mit Kopftuch offen oder subtil weniger Leistung zutraut zum Beispiel.

„Mir ist es sehr wichtig, dass wir Diversitätspolitik pragmatisch genug handhaben“, sagt Isolde Karle. „Dass wir keine übersteigerten Anforderungen an Political Correctness anlegen, sondern dass es vernünftig bleibt.“ Niemand werde zu irgendetwas gezwungen, es gebe auch keine Sprachpolizei. „Wir versuchen, auf bestimmte Dynamiken und Probleme aufmerksam zu machen.“

Prof. Dr. Isolde Karle

„Mir ist es sehr wichtig, dass wir Diversitätspolitik pragmatisch genug handhaben. Dass wir keine übersteigerten Anforderungen an Political Correctness anlegen, sondern dass es vernünftig bleibt.“

Prof. Dr. Isolde Karle, Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talententwicklung an der Ruhr-Universität Bochum

Im Kreise ihrer Kolleginnen und Kollegen versuche sie, „in der Logik des Systems zu argumentieren“ und die „Leute an ihren eigenen Interessen zu packen“. Für Lehre und Forschung könne Vielfalt „ein riesiger Boost“ sein, ist sich die Prorektorin sicher. „Es ist doch unser ureigenstes Ziel, die besten Leute zu gewinnen“, sagt Isolde Karle. „Und die besten Leute sind nicht unbedingt weiß und männlich.“

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