Bochum. Eine Bochumer Initiative fordert: Prävention gegen Missbrauch soll an Grundschulen endlich Pflicht werden. Denn bisher ist das nur freiwillig.
In jeder Schulklasse in Deutschland sitzen im Schnitt ein bis zwei missbrauchte Kinder. Claudia Drees (52) und Corinna Porter (35) sind Grundschullehrerinnen – als sich die beiden Frauen vor Augen führten, wie viele betroffene Kinder schon vor ihnen saßen, deren Leid sie nicht wahrgenommen oder übersehen haben, wurde ihnen klar: „Es muss was passieren.“ Gemeinsam mit Sozialwissenschaftlerin Carlotta Drees (23) haben sie ein Projekt gestartet.
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Sie fordern ein verpflichtendes Präventionskonzept für alle Grundschulen in NRW, um den Ort, an dem Kinder so viel Zeit verbringen, zu einem Schutzraum zu machen. „Wir sind so nah an den Kindern. In 80 bis 90 Prozent der Fälle findet Missbrauch im familiären Bereich statt. Diese Kinder haben nur die Schule, wenn sie sich nicht trauen, Freunde oder Nachbarn anzusprechen“, erklärt Claudia Drees, die wie Corinna Porter Lehrerin einer vierten Klasse an der Grundschule Laer ist.
Kritik: Missbrauchsprävention an Grundschulen ist nicht verpflichtend
Das Problem: Prävention an Schulen und Lehrerfortbildungen sind nicht verpflichtend, in der Universität oder im Referendariat sei sie gar kein Thema. Zwar gibt es Initiativen wie „Schule gegen sexuelle Gewalt“ vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), die an Lehrer appellieren und mit denen Claudia und Carlotta Drees sowie Corinna Porter eng zusammen arbeiten, doch: „Es ist nicht mehr die Zeit, ,Bitte, bitte’ zu sagen“, mahnt Claudia Drees an.
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Selbst wenn einzelne Schulen ein großes Schutzkonzept ausarbeiten, helfe das nur bedingt. „Täterstrategien sind perfide und ausgefuchst, wenn Lehrerinnen und Lehrer Verdacht schöpfen, wechseln Eltern die Schule“, erklärt Carlotta, Tochter von Claudia Drees. Deshalb fordert die Sozialwissenschaftlerin gemeinsam mit den beiden Grundschullehrerinnen die Umsetzung eines durchdachten und prozessorientierten Präventionskonzept in jeder Grundschule. „Im Idealfall in ganz Deutschland“, so Corinna Porter.
Ein Koffer gegen den Missbrauch von Kindern
Die Pläne sind bereits sehr konkret: Jede Schule in NRW soll einen Koffer bekommen. „Der einem alles gibt, was man braucht“, erklärt Porter. Darin finden sich zum Beispiel Unterrichtsreihen für die Schuljahre eins bis vier, ein Kummertier mit Beutel für Sorgen und Nöte und verschiedenen Leitfäden u. a. zu Gesprächen bei Verdacht oder Outing. Der Koffer – entwickelt von Lehrerinnen mit langjähriger Praxis – diene als roter Faden. In ihm gibt es auch einen Projektmutmacher für Lehrerinnen und Lehrer sowie einen Fragebogen zu deren eigener Persönlichkeit.
Initiative sucht Mitstreiter
Langfristig haben die drei Initiatorinnen das Ziel, ein Netzwerk aufzubauen, vielleicht auch einen Verein zu gründen. „Wir wollen als Kern bestehen bleiben, der Hilfe bietet. Wir wollen uns mit allen Institutionen und Stellen vernetzen“, so Carlotta Drees.Auch wenn der Grundrahmen für das Projekt schon steht, wollen die Initiatorinnen noch weiter am Konkreten, vor allem an den Unterrichtsinhalten arbeiten. Dabei hoffen sie beispielsweise auf Unterstützung von Psychologen oder Kinderärzten. Wer die Initiative – ob als Lehrerin, Lehrer oder in anderer Position – unterstützen möchte, meldet sich bitte unter: info@schutzraum-grundschule.de
„Das Ausmaß sexueller Gewalt wird in Lehrerkreisen erheblich unterschätzt, Lehrerinnen und Lehrer sind unaufgeklärt über juristischen Beistand und haben Angst, falsch zu handeln“, erklären die Projekt-Initiatorinnen in ihrem Leitfaden. Damit Lehrkräfte früher eingreifen, müssten Berührungsängste reduziert werden. Claudia Drees: „Der beste Raum dafür ist die Grundschule. Die Kita ist noch zu früh, auch in der weiterführenden Schule ist es schwierig. Die Kinder sind hier in einem Schutzraum.“ Die Lehrerinnen und Lehrer seien viel mehr als nur Wissensvermittler, sie seien auch Therapeuten, Berater, Sozialarbeiter und vor allem Vertrauenspersonen.
„Täter sollen es unfassbar schwer haben“
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Unterstützung bekommt das Projekt von Sonja Howard, Expertin für Kinderschutz und Prävention und selbst Betroffene. Aktuell liegt der Leitfaden des Trios bei der Kinderschutzkommission, es besteht die Chance, dass er als „Best-Practise-Beispiel“ ernannt wird. „Wir haben den Rahmen gesteckt, der Politik an die Hand gegeben, was es braucht“, sagt Carlotta Drees. Sie, Claudia Drees und Corinna Porter hoffen, dass Politikerinnen und Politiker auf sie aufmerksam werden und sie bei ihrem Vorhaben unterstützen. Das Ziel: Täter sollen es unfassbar schwer haben, Kinder sollen vor großem Leid geschützt werden.