Bochum-Langendreer. Sexueller Missbrauch: Damit Bochumer Kinder nicht zu Opfern werden, brauchen sich kindgerechte Werkzeuge. Pädagogen lehren, Nein zu sagen.

Ein Mann, der im Auto sein Geschlechtsteil zeigt. Ein Nachbar, der mit Pizza in seine Wohnung locken will. Ein Fremder, der sich im Chat als Jugendlicher ausgibt und dann ein Treffen im Park verlangt. Den Drittklässlern der Michael-Ende-Grundschule in Langendreer kommt bei all diesen Geschichten ein „Nein-Gefühl“. „Ich würde nicht mitgehen!“, oder „Ich würde meinen Eltern Bescheid geben!“, sagen die Grundschüler einstimmig. Klassenlehrerin Frauke Essers freut sich über die klare Haltung ihrer Schüler.


Um diese hervorzubringen und zu stärken, hat Essers die Theaterpädagogen Simone Heiser und Stephan Tillmanns eingeladen. „Wir geben Kindern Werkzeuge an die Hand, damit sie sich sicher fühlen und sich im Notfall Hilfe holen“, erklärt Heiser. Die wichtigsten Botschaften, die die Schüler mit nach Hause nehmen sollen, lauten dabei: „Mein Körper gehört mir“, „Niemand darf mich sexuell missbrauchen“ und „Ich darf mir Hilfe holen“.

Geschichten und Buchtipps für die Bochumer Kinder

An drei Terminen kommen die Fachkräfte der theaterpädagogischen Werkstatt Osnabrück nach Langendreer, um das auf kindgerechte Art und Weise zu vermitteln. Im Gepäck haben sie Rap-Songs, kleine Theaterstücke und Erzählungen. „Um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, muss man ihnen zunächst auf Augenhöhe erklären, was das überhaupt ist“, rät Heiser. Gemeinsam mit ihrem Kollegen spielt sie dafür beispielsweise eine Szene vor, in der ein Mann sich nackt unter einem Mantel entblößt.

„Eine abstrakte Definition hilft Kindern nicht weiter, konkrete Geschichten müssen ihnen erklären, was sexueller Missbrauch ist“, so Tillmanns. Eltern könnten das auch über das Vorlesen von Büchern vermitteln – das Projekt empfiehlt etwa „Ich bin doch keine Zuckermaus“ von Sonja Blattmann oder „Kein Anfassen auf Kommando“ von Marion Mebes. Nach der Diskussion über die Geschichten haben die Grundschüler verstanden: Wenn mich jemand an Brust, Gesäß oder Geschlechtsteil anfasst oder mich zwingt, ihn dort anzufassen oder anzuschauen, und ich dabei ein „Nein-Gefühl“ bekomme, dann ist das sexueller Missbrauch. Und das ist verboten.

Drei wichtige Fragen stellen

Die Kinder sollen auch verstehen, dass immer der Täter Schuld hat“, betont Heiser. Nach der Erklärung von sexuellem Missbrauch geht es dann um konkrete Verhaltenstipps. Heiser und Tillmanns geben den Grundschülern dafür drei Fragen an die Hand: Fragt beispielsweise der Fußballtrainer, ob man nach Hause gebracht werden möchte, können Kinder sich fragen: „Habe ich ein Ja- oder Nein-Gefühl?“, „Weiß jemand, wo ich bin?“ und „Kriege ich Hilfe, wenn ich sie benötige?“. Dabei erinnert Heiser die Schüler: „Wenn man nur eine Frage mit ‚Nein‘ beantwortet, dann reicht das schon aus, um das Angebot abzulehnen“.

Auf einem Plakat werden die Fragen künftig im Klassenzimmer der Michael-Ende Schule hängen. Der Rap-Song „Mein Körper gehört mir“ vermittelt den Kindern dabei zusätzlich: Ihr Gefühl hat immer recht. Zu den Geschichten haben die Kinder viele Fragen. „Warum machen Menschen so etwas überhaupt?“, will Emily wissen.

Widerstand beim Hilfeholen

„Täter haben bei ihren Handlungen ein Ja-Gefühl und nutzen ihre Macht aus“, erklärt Heiser der Schülerin. „Wir greifen die Thematik im Sachunterricht auch noch einmal auf“, kündigt Essers an. Als Klassenlehrerin wolle sie den Kindern das Gefühl geben, dass sie ansprechbar ist. Dass Hilfeholen aber nicht immer einfach ist, zeigen die Pädagogen den Kindern mit einer Geschichte eines kleinen Jungen: Dass sein Bruder ihn sexuell belästigt, glaubt ihm zunächst weder Mutter noch Fußballtrainer. „Du träumst doch!“ oder „Dein Bruder würde so etwas nicht tun“, bekommt er zu hören.


Heiser und Tillmanns machen den Kindern klar: „Solange nach Hilfe suchen, bis man sie gefunden hat!“ Der kleine Junge aus der Geschichte findet schließlich bei seiner Lehrerin ein offenes Ohr. „Erwachsene haben eine große Verantwortung, wenn Kinder sich hilfesuchend an sie wenden“, betont Heiser. Es sei wichtig, ihnen das Gefühl zu geben: „Ich glaube dir und ich helfe dir.“

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