Mülheim. Dr. Beate Reese verlässt nach 14 Jahren das Kunstmuseum Mülheim. Es war eine bewegte Zeit, in der sie nicht nur attraktive Ausstellungen plante.

Einen so vielseitigen Job hat in Deutschland wohl noch keine Museumsleiterin gehabt. Dr. Beate Reese war in den vergangenen 14 Jahren nicht nur Ausstellungsmacherin, sie war auch in viele Baubesprechungen mit einbezogen. Als sie 2009 nach Mülheim kam, war das Kunstmuseum eine Baustelle (die Fußböden waren gerade erneuert worden). Seit 2018 wird in der Alten Post (auch auf Drängen der Versicherung) nun grundlegend saniert. Klimatechnik und Brandschutz werden modernisiert. Obwohl die Maßnahme in zwei Jahren über die Bühne gehen sollte, ist sie immer noch nicht abgeschlossen. Die Wiedereröffnung muss erneut um Monate verschoben werden.

Die letzten fünf Jahre waren eine stressige Zeit für Sie?

Reese: Vor allen Dingen die Verzögerungen haben uns Nerven gekostet. Es fehlte die Planungssicherheit. Immer wieder sind Termine für den Einzug der Kunstwerke und für Ausstellungen abgesagt und verschoben worden, was sich auch auf die Zusammenarbeit mit Transportfirmen, potenziellen Leihgebern oder Restauratoren auswirkte. Abgesagt werden musste auch die von der Stiftung Sammlung Ziegler geplante Ausstellung zu Lyonel Feininger.

Sie waren im Museum viel mehr als nur eine Kunstexpertin...

Ja, zu planen war natürlich die Logistik des Auszugs und Wiedereinzug. Schließlich war vor Beginn der Sanierung 2018 das gesamte Museum leerzuräumen. Ein normaler Mensch kann sich kaum vorstellen, was da alles zu räumen, auszusortieren und auch zu ordnen war. Es ging ja nicht nur um den Kunstbestand und die Magazine, sondern auch um das Archiv, die Bibliothek, die Malschule, usw. Alles musste woanders fachgerecht gelagert werden.

Mülheimer Museum ist jetzt „ein aufgeräumtes Haus“

Nun ist fast alles fertig, bei einer Brandschutztür hakt es noch...

Trotz aller Widrigkeiten freue ich mich jetzt, ein aufgeräumtes Haus übergeben zu können – mit fachgerecht ausgestatteten Depots, einem neu geschaffenen Studien- und Didaktikraum, einer digitalen Datenbank, sortierten Leseräumen und vielem mehr. Das Team hat auch ein Konzept zur zukünftigen Präsentation der Werke in den Ausstellungsräumen erarbeitet. Fix und fertig geplant ist mit der Stiftung Sammlung Ziegler auch die Eröffnungsausstellung „Brücke, Bauhaus, Blauer Reiter“.

Schon Ihr Beginn in Mülheim war nicht einfach...

Man kann sagen, dass mich die kommunale Haushaltskrise kalt erwischt hat: Für das Kulturhauptstadt-Jahr Ruhr 2010 haben wir in kurzer Zeit eine umfangreiche Fotoausstellung aus dem Archiv des Pixel Projekts Ruhrgebiet organisiert, die große Resonanz fand. Kurz danach kam die Diskussion auf, ob das Museum überhaupt weitergeführt werden soll. Die Besucherzahlen waren rückläufig, die Stadt hatte kein Geld. Der Druck, das Haus wieder zu aktivieren und zu konsolidieren, war enorm. Zum Glück stand mir hier der Förderkreis für das Kunstmuseum zur Seite. Um aus dieser Krise zu kommen, habe ich mir damals vorgenommen, Bürger und Bürgerinnen jeden Alters an das Museum und seine Kunstwerke heranzuführen, und es stärker in Stadt und Region zu verankern.

Sie haben viele Ausstellungen aus den eigenen Sammlungen bestritten...

Ja, die Städtische Sammlung, die Sammlung Ziegler, die Zille-Sammlung sind reich an herausragenden Werken, das musste gezeigt werden. Wir haben auch vielen lokalen Künstlerinnen und Künstlern ein Forum gegeben, auszustellen (Anm. Red.: etwa Heiner Schmitz, Matthias Mayer, Hendrik Dorgathen, Ursula Hirsch). Außerdem war es mir ein Anliegen, Künstlerinnen mehr Raum zu geben: So haben wir Einzelausstellungen zu Alice Könitz, Hannah Höch oder Helga Griffiths gezeigt.

Überraschend kam finanzielle Hilfe von der Sparda-Stiftung

Unerwartet kam dann Finanz-Hilfe von außen...

Ja, das waren wirkliche Glücksfälle: Die Sparda-Stiftung Düsseldorf hatte von der Haushaltskrise und der Situation des Museums erfahren und bot an, uns bei Ausstellungsprojekten zu unterstützen. Ein Bürger aus Mülheim meldete sich, um das ambitionierte Projekt der Young Art Experts finanziell zum Start zu verhelfen. Zu vielen Ausstellungen und Projekten waren Drittmittel einzuwerben, mein Team hat mich da sehr unterstützt und ist sehr firm. Die Stiftung Sammlung Ziegler und insbesondere der Förderkreis für das Kunstmuseum haben zudem vieles ermöglicht.

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Wie hat sich das Museum entwickelt?

Vor der Schließung war es im Aufwind. Wir konnten zahlreiche Kunstvermittlungsformate etablieren, die Besucherzahlen sind gestiegen. Es ist überregional bemerkt worden, wie interessant das Haus ist. Viele Besucher kommen auch aus der weiteren Umgebung, aus Münster, Siegen, Wuppertal.

Was war Ihnen bei Ausstellungen immer wichtig?

Ein wichtiges Ziel war es, Ausstellungen von gesellschaftlich-historischer Relevanz zu zeigen und zum geschichtlichen Diskurs einzuladen. In „Jagd auf die Moderne“ beispielsweise ging es um die Situation Verfolgung der als „entartet“ bezeichneten und verfolgten Künstler.

Welche Ausstellung war am besten besucht?

„August Macke“ war ein toller Erfolg. Da waren rund 40.000 Besucher hier. Aber auch die Emil Nolde-Schau zog knapp 33.000 Besucher her.

Das sind große Namen. wie gelingt es, den Menschen auch unbekanntere Künstler nahe zu bringen?

Mit Themenausstellungen: In Ausstellungen wie etwa zu Nachtdarstellungen in der Kunst, zum Schauplatz Stadt oder zu Fluchtbewegungen und Migration haben wir einen Bogen von der klassischen Moderne zur zeitgenössischen Kunst geschlagen und so Interesse an Darstellungsformen und Medien wecken können.

Mülheimer Bürger leihen Exponate für Ausstellung aus

Welche war ihre Lieblingsausstellung in den 14 Jahren?

Viel Freude bereitet hat mir die Mitmach-Ausstellung „Wie viel Bauhaus ist in Mülheim?“ Die Bürgerinnen und Bürger waren aufgefordert, Bauhaus-Exponate aus ihrem Haushalt herzubringen. Das Ergebnis war beeindruckend. Spannend war es auch, die Entwicklung der geruchsbasierten Ausstellung „Die Essenz der Kohle“ von Helga Griffiths zu verfolgen – als Beitrag zum städteübergreifenden Projekt „Kunst & Kohle“ der RuhrKunstMuseen – ein Netzwerk, in dem das Mülheimer Kunstmusem sehr stark engagiert ist.

Sie haben das „Museum Temporär“ erfunden, Kunst auf kleinem Raum gezeigt...

Die Idee war, ein Pop-up-Museum in einem Ladenlokal in der Fußgängerzone zu eröffnen, damit das Kunstmuseum trotz Sanierung nicht aus dem Blickfeld verschwindet. Interessanterweise hat das von Anfang an gut funktioniert. Die Interimslösung ist sogar zum Modell geworden. Es gab Artikel dazu und ein Symposium.

Förderverein ermöglicht Ankäufe für Mülheimer Museum

Das Museum konnte dank Förderverein und Sponsoren auch Ankäufe tätigen wie etwa Plakate von Beuys. Welches ist ihr Lieblingsankauf?

Ganz klar „Die schönen Reusen“ von Hannah Höch aus dem Jahre 1932. Ich hätte gerne auch noch ein Bild von Gabriele Münter angeschafft. Aber das ist leider an den Kosten gescheitert.

In Mülheim haben Sie sich mit der Klassischen Moderne und den zeitgenössischen Künstlern beschäftigt. Welche Kunst mögen sie persönlich noch?

Dürers Grafiken und Aquarelle, die Kunst des 19. Jahrhunderts - etwa die Sinnlichkeit der Impressionisten. Auch Künstler wie Manet und Menzel finde ich sehr spannend.

Wie sieht ihr Leben nach dem 1. Juli aus?

Ich nehme erstmal eine Auszeit. Danach gucke ich, ob ich als Kunsthistorikern freiberuflich etwas machen kann. Frei von Verwaltung und Bürokratie. Außerdem möchte ich mehr Sport treiben – schwimmen, walken.

Und welche Museen werden sie als Besucherin als erste ansteuern?

Ich möchte mich mit der Kunst in Ostdeutschland beschäftigen, dort Museen, Ateliers und Künstlerfreunde besuchen.