Gelsenkirchen. Ein breites Bündnis erneuert nach zehn Jahren den bekannten „Gelsenkirchener Appell“. Denn ein „Erfolgsmodell“ könnte kaputtgespart werden.
Man begab sich auf einen steinigen Weg, als ein breites Bündnis aus Stadt, Parteien, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Gewerkschaften vor ziemlich genau zehn Jahren den „Gelsenkirchener Appell“ formulierte und damit einen „sozial ausgerichteten Arbeitsmarkt für dauerhaft nicht vermittelbare Arbeitslose“ forderte. Diesem Ziel ist man zwar mittlerweile nah gekommen – aber bei den Akteuren von damals geht die Sorge um, dass in Berlin jetzt nachgelassen wird und bei der Arbeitsvermittlung von Langzeitarbeitslosen kräftig gespart wird. Zeit also für den „Gelsenkirchener Appell 2.0“.
Eigentlich ist das, was man mit dem ersten Appell erreichen wollte, vor rund drei Jahren Realität geworden: Unternehmen erhalten seitdem über das Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ über eine maximale Laufzeit von fünf Jahren Anreize für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen, die so den Wiedereinstieg ins Berufsleben schaffen sollen. Unterstützung erhalten sie dabei durch Coaches. Der sogenannte „soziale Arbeitsmarkt“ war geschaffen. In Gelsenkirchen hat dieser nach Angaben des Jobcenters rund 800 Menschen in eine Beschäftigung gebracht.
Warum der soziale Arbeitsmarkt laut OB Karin Welge ein Erfolgsmodell ist
Oberbürgermeisterin Karin Welge nennt den sozialen Arbeitsmarkt ein „ausgereiftes, funktionierendes Modell, das Menschen nach Jahren enttäuschender Jahre Hoffnung und eine Lebensperspektive gibt“. Gerade für eine Stadt wie Gelsenkirchen – in der unter den 18.845 Menschen ohne Arbeit rund 45 Prozent als langzeitarbeitslos gelten – ist dies ein besonderes Instrument, wie Welge betont. „Deswegen waren wir irritiert, als wir gehört haben, dass es mit diesem Modell nicht wie bisher weitergehen soll.“
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Denn zwar ist im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbart, dass der soziale Arbeitsmarkt dauerhaft etabliert werden soll. Und auch ist mit Hubertus Heil (SPD) weiterhin derselbe Arbeitsminister im Amt, der den sozialen Arbeitsmarkt überhaupt erst einführte. Die aktuelle Krisenlage – vom Ukraine-Krieg bis zur Klimakatastrophe – sorgt jedoch für eine angespannte Haushaltslage, wegen der ausgerechnet in für Gelsenkirchen so bedeutsamen Bereichen gespart werden könnte.
Gelsenkirchener Appell: DGB warnt vor „Abschaffung des sozialen Arbeitsmarktes durch die Hintertür“
„Als besonders kritisch stellt sich die angekündigte Kürzung der Eingliederungsmittel für die Jobcenter dar“, warnt Mark Rosendahl, Geschäftsführer der Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Emscher-Lippe. „Wurde das Budget zur Einführung des sozialen Arbeitsmarktes 2019 noch aufgestockt, ist die Entwicklung in den letzten Jahren gegenläufig. So findet eine Abschaffung des sozialen Arbeitsmarktes durch die Hintertür statt.“
Nach aktuellem Stand muss das Gelsenkirchener Jobcenter im kommenden Jahr mit 3,8 Millionen Euro weniger bei den Eingliederungshilfen rechnen. Ungefähr ein Viertel dieser Eingliederungshilfen entfallen auf den sozialen Arbeitsmarkt. Nach Angaben von Anke Schürmann-Rupp, Geschäftsführerin des Jobcenters, gibt es in der Stadt aktuell 648 Stellen, die über die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ finanziert werden. „Die Kürzung der Mittel würde bedeuten, dass wir keine Weiterbewilligungen mehr durchführen können und keine neuen, geförderten Stellen mehr aufbauen können.“ Im schlimmsten Fall erhielten Menschen, die aktuell noch von dem sozialen Arbeitsmarkt profitieren, keine Verlängerung ihres Arbeitsvertrags. „Das würde Leute, die man gerade fit macht, wieder enorm zurückwerfen.“
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Deswegen also der „Gelsenkirchener Appell 2.0“ – der eigentlich schon vergangene Woche vorgestellt werden sollte, was dann jedoch aus Krankheitsgründen verschoben wurde. In dieser einen Woche haben OB Welge und DGB-Chef Rosendahl nach eigenen Angaben bereits hinter der öffentlichen Bühne für ihr Anliegen in den Bundesministerien geworben.
Viele Unternehmen beteiligen sich
Dass der „soziale Arbeitsmarkt“ in Gelsenkirchen als „Erfolgsmodell“ gewertet wird, liegt auch an der breiten Beteiligung durch die Privatwirtschaft. Über 54 Prozent der Stellen sind laut Jobcenter in der freien Wirtschaft angesiedelt. Zu typischen Branchen gezählt werden : Erziehung und Hauswirtschaft, Gartenbau und Floristik, Verkehr und Logistik, Sicherheit und Straßenreinigung.
„Wir haben deutliche Indikatoren, dass die Gespräche schon Früchte tragen und dass das Thema in Berlin intensiv bearbeitet wird“, betont Welge. Wie laut man den „Gelsenkirchener Appell“ tatsächlich hört, wird sich in den finalen Debatten zum Haushalt zeigen. Der Bundestag soll den Haushaltsentwurf in der Sitzungswoche vom 22. bis 25. November endgültig verabschieden.
Zu den Unterzeichnenden des zweiten Gelsenkirchener Appells gehören: der DGB, die Wohlfahrtsverbände (Awo, der Paritätische, Caritas, Diakonie, DRK), politische Parteien (SPD, CDU, Grüne und FDP), die evangelische und katholische Kirche sowie die jüdische Gemeinde. Laut Rosendahl ist man nicht auf neue Partner zugegangen, sondern hat versucht, die Unterzeichnenden von 2012 erneut zu versammeln.