Gelsenkirchen. Erst der Absturz, dann große Hoffnung: Francesco Cecinati war langzeitarbeitslos. So fand der Gelsenkirchener neuen Mut und eine neue Aufgabe.

Das malade Knie von Brigitte Grinda (62) ist heute an der Reihe: Reha-Sport in einer Praxis in der Gelsenkirchener Innenstadt steht auf dem Programm. Von der heimischen Hertastraße aus ist das eine nur etwa 15-minütige Busfahrt bis zum Machensplatz am Ausländeramt, für die gelernte Näherin birgt der Termin dennoch ein hohes Risiko. Sie leidet an Narkolepsie und Katalepsie (Schlafkrankheit/Starrsucht), ein Schub hätte vielleicht tödliche Folgen so allein und wackelig mit dem Rollator unterwegs.

Deshalb ist Francesco Cecinati pünktlich zur Stelle, einer von rund 800 ehemals Langzeitarbeitslosen, die über den Sozialen Arbeitsmarkt wieder einer festen Beschäftigung nachgehen. Der Gelsenkirchener holt die ältere Dame daheim ab, gemeinsam fahren sie zur Therapie und er sorgt auch dafür, dass Brigitte Grinda wieder sicher nach Hause kommt. Der erste echte und wieder voll bezahlte Job für den gelernten Zerspanungsmechaniker (Dreher) nach betriebsbedingter Kündigung bei Seppelfricke, ausgelaufenen befristeten Anstellungen (Formendreher in Glashütte, Call-Center-Agent), Krankheit und den bitteren Absturz in jahrelangen Hartz IV-Bezug.

Ex-Langzeitarbeitsloser: Kann wieder am Leben teilnehmen, ins Kino, ins Restaurant

Francesco Cecinati hilft Brigitte Grinda (62) mit dem Rollator beim Einstieg in den Bus an der Hertastraße. Der 42-Jährige arbeitet im Begleitservice, ein geförderter Job des Sozialen Arbeitsmarktes in Gelsenkirchen. 33 Prozent dieser beschäftigten haben nach Angaben der Stadt den Sprung in den ersen Arbeitsmarkt wieder geschafft.
Francesco Cecinati hilft Brigitte Grinda (62) mit dem Rollator beim Einstieg in den Bus an der Hertastraße. Der 42-Jährige arbeitet im Begleitservice, ein geförderter Job des Sozialen Arbeitsmarktes in Gelsenkirchen. 33 Prozent dieser beschäftigten haben nach Angaben der Stadt den Sprung in den ersen Arbeitsmarkt wieder geschafft. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Am Ende landete der verheiratete Cecinati „in einem schwarzen Loch“, aus dem er keinen Ausweg mehr sah und fand. Denn: Wer arbeitet, ist mit anderen Menschen zusammen, hat einen Plan, eine Struktur für den Tag und bestenfalls sogar das Gefühl, etwas Sinnvolles für sich und die Gesellschaft zu tun. Man könnte auch sagen: Ich arbeite, also bin ich. Diesen Wert der Arbeit für ein würdevolles Leben muss man sich in Erinnerung rufen, um zu verstehen, was mit vielen langzeitarbeitslosen Menschen passiert. Sie stumpfen ab, wissen nicht mehr, warum sie aufstehen sollen, vereinsamen, werden oft auch psychisch krank und gelten dann erst recht als nicht vermittelbar auf dem regulären Arbeitsmarkt. In Gelsenkirchen trifft das auf rund 70 Prozent der 33.789 Hartz IV-Bezieher zu – eine erschreckend hohe Anzahl.

Heute hat der 42-Jährige seinen Frohmut wiedergefunden. „Ich habe das Gefühl, dass ich endlich wieder etwas wert bin und etwas Sinnvolles mache“, sagt der Gelsenkirchener. Und es klingt nicht aufgesetzt, sondern ehrlich. Rund 1700 Euro bringt ihm der geförderte Job im Monat ein, 39 Stunden pro Woche arbeitet er und bekommt dafür „Mindestlohn“, wie Ekard Opretzka (Arbeitsförderungsgesellschaft/Gafög) bestätigt (siehe Info-Box). Ab Oktober steigt der Mindestlohn von 10,45 Euro auf 12 Euro pro Stunde.

„Meine Frau und ich können es uns jetzt wieder leisten, ein Restaurant zu besuchen oder mal ins Kino zu gehen“, erklärt Francesco Cecinati den Unterschied zwischen seinem früheren und heutigen Dasein, als Brigitte Grinda in der Obhut der Physiotherapeuten am alten Aloysianum ist. 900 Euro mehr habe man jetzt monatlich zu Verfügung. Eine spürbare Verbesserung, es bleibt nicht mehr so viel Monat vom Geld übrig. „Für mich und uns bedeutet das einen Schritt zurück in ein normales Leben“, sagt der 42-Jährige. „Und mehr Achtung vor mir selbst“.

Cecinati hilft beim Ein- und Ausstieg, vorherige Schulungen lassen ihn den Tarifdschungel am Fahrkartenautomaten schneller durchdringen, falls seine Kundschaft mal kein Langzeit-Ticket hat. Beim Einkaufen geht er zur Hand und sorgt letztendlich dafür, dass die Taschen samt Inhalt sicher an der Wohnungstür seiner Klienten landen. Längere Wartezeiten überbrückt er, indem er „den nächsten Knotenpunkt aufsucht und anderen Fahrgästen hilft“, wie Gafög-Teamleiter Ekard Opretzka erklärt.

Das alles ist sehr zeitaufwendig, deshalb ist Cecinatis Arbeitstag mit zwei Begleitungen ausgefüllt, die Terminplanungen übernimmt eine zentrale Koordinatorin, beim Stammkundschaft wie Brigitte Grinda sprechen sich Begleiter und Betreute mittlerweile auch direkt untereinander ab.

Einsatzgebiete für Langzeitarbeitslose: Park-, Sportplatz-, Begleit- und OGS-Service, KOD

So wie der 42-jährige Schach-Fan sind aktuell „allein bei der Stadt oder bei städtischen Projektpartnern aktuell rund 170 Menschen tätig und leisten für die Stadtgesellschaft eine wertvolle Arbeit, die Respekt und Anerkennung verdient“, sagt Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze. So trägt zum Beispiel der Parkservice mit seinen 60 Beschäftigten zur Grünflächenpflege oder auch zum Wegebau bei. Der Sportplatzservice beschäftigt zwölf Sportplatzmeisterinnen und –meister für mehr Ordnung und Sauberkeit. Und die 60 Mitarbeitenden des Quartiersservice unterstützen den kommunalen Ordnungsdienst in Sachen Sicherheit. „Dazu kommen noch Kräfte bei der Ehrenamtsagentur, der OGS-Service, der die Fachkräfte der Ganztagsschulen bei der Kinderbetreuung zu entlasten hilft oder eben der Fahrgastbegleitservice“, listet die Dezernentin ein paar Beispiele an Betätigungsfeldern auf.

Brigitte Grinda findet das „sehr gut“, auch wenn sie zugibt, sich an den zunächst fremden Begleiter gewöhnt haben zu müssen. „Ich bin ja behindert. Da bin ich ein wenig ängstlich. Aber ohne diese Hilfe wären Arztbesuche, Einkaufen oder Reha-Behandlungen für mich nur schwer umsetzbar“, sagt die 62-Jährige. Ihr Mann sei ebenfalls gesundheitlich angeschlagen, das Budget zum Leben klein und Taxifahrten daher einfach zu teuer.

Sozialer Arbeitsmark Gelsenkirchen: 33 Prozent schaffen Sprung in ersten Arbeitsmarkt

Über fünf Jahre läuft die Förderung eines solchen Jobs auf dem Sozialen Arbeitsmarkt. Teilnehmer werden dabei engmaschig geschult und angeleitet. Mit dem Ziel, eine Festanstellung im ersten Arbeitsmarkt zu ergattern. Geht es also vielleicht zurück an die Drehbank für Francesco Cecinati?

Anreiz für Unternehmer: Fünf Jahre geförderte Jobs

Basis des Sozialen Arbeitsmarktes ist die gesetzliche Regelung zur Teilhabe am Arbeitsmarkt – kurz: der Paragraf 16i: Anreiz für die Einstellung eines Langzeitarbeitslosen ist eine Förderung über fünf Jahre – „in den ersten zwei Jahren mit 100 Prozent des versicherungspflichtigen Entgelts, danach mit 90, 80 und 70 Prozent.“ Interessierte Unternehmen können sich unter 0209 60 509 100 informieren. Dazu gibt es Möglichkeiten weitere Qualifizierungen per Praktika und Weiterbildungen voranzutreiben. Beispiel: 3000 Euro für den Gabelstaplerführerschein.

Der Fahrgastbegleitservice ist so zu erreichen: telefonisch unter der Rufnummer 0234 388 736 50, per Mail an . Das Angebot richtet sich an alle Gelsenkirchener Bürger und gilt für alle Linien der Bogestra. Geplant ist, auch die Vestische dafür zu gewinnen.

„Nein“, sagt der 42-Jährige und lächelt, als Brigitte Grinda mit ihm nach der Rückfahrt im Bus wieder sicher angekommen ist im heimischen Bulmke-Hüllen. Zu lange sei er aus der Werkspraxis heraus, gesundheitlich schaffe er das auch nicht mehr. „Ich könnte mir aber vorstellen, etwas im Seniorenbereich zu machen, beispielsweise in der Altenbetreuung.“ Gelsenkirchens Sozialdezernentin ist da zuversichtlich. Immerhin „haben 33 Prozent der zuvor im Sozialen Arbeitsmarkt Beschäftigten den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschafft“, sagt Andrea Henze.