Oberhausen. Der höchstdotierte Preis nach zehn Kurzfilm-Tagen geht nach Japan. Noch nie hatte das Traditionsfestival so viele Wettbewerbe – und Preisgelder.
Auf Live-Flair und Begegnungen im verlängerten Kino-Foyer der Elsässer Straße müssen die Internationalen Kurzfilmtage nun bereits im zweiten Jahr mit ihrer 67. Festival-Ausgabe schmerzlich verzichten. Und doch gab’s in 67 Jahren noch nie so viele Wettbewerbe – und entsprechend mit rund 52.000 Euro noch nie eine so hohe Gesamtsumme der Preisgelder. Zum Finale des zehntägigen Festivals (auch dies ein neuer Rekord) gaben die Fachjurys am Montagabend die Gewinner unter den 191 Konkurrenten in acht Wettbewerben bekannt.
War im vorigen Jahr die Lockdown-Erfahrung noch zu frisch, um überhaupt unter den eingereichten Kurzfilmen eine Spur zu setzen, so spiegeln nun einige wenige Werke das Leben in der Pandemie: Nach ihrer Anzahl bedeuten diese Filme 2021 noch eine klitzekleine Minderheit – doch die Wertschätzung für diese Corona-Reflexionen ist hoch. So geht der mit 7000 Euro dotierte traditionelle Hauptpreis, der Große Preis der Stadt Oberhausen im Internationalen Wettbewerb, an die japanische Filmemacherin Yuri Muraoka für die knapp zwölf schwarz-weißen Minuten von „Transparent, I am“.
Nach einem Selbstmordversuch blickt die Erzählerin auf das Leben, seine Schwierigkeiten und Schönheit. „Eine Geschichte, die alle filmischen Register zieht“, lobt die Jury. „Der Film feiert das Leben und das Resultat ist überwältigend und – wie das Leben – unglaublich reich.“
Mit harter Arbeit kaum über die Runden
Nach Asien geht auch der neu geschaffene und mit 5000 Euro dotierte Große Online-Preis der Stadt Oberhausen für einen internationalen Kurzfilm, der speziell für die digitalen Medien (anstelle der Kinoleinwand) gestaltet worden war. „Kalsubai“ von Yudhajit Basu spielt in 20 Filmminuten mit der Legende der Göttin Kalsu. Die Jury bewunderte eine „lyrische Ethnografie“ und würdigt „das Ausloten, aus sanfter Distanz, einer außergewöhnlichen Mythologie, die Frauen zu nicht-traditionellen Lebensweisen ermächtigt“.
Kinderjury prämiert Kurzfilme mit Schnecke und Husky
Die fünf Viertklässler der Königschule aus Biefang mussten über gleich zwei Preise entscheiden, jeweils dotiert mit 1000 Euro. „Kiki la plume“ von Julie Rembauville aus Frankreich gewinnt den Preis der Kinderjury – und erhält ein besonderes Lob für die „sehr schöne Animation“.Der 20-minütige Spielfilm „In Search of Chok Chok“ von Dayoon Kim aus Südkorea rührt als Erzählung von einem einsamen Mädchen, das Freundschaft mit einer Schnecke schließt.Eine lobende Erwähnung geben die Neun- und Zehnjährigen für „Alyaska“ von Oxana Kuvaldina aus Russland: Die Polarlichter entzückten die jüngsten Juroren ebenso wie der Husky als Held dieser sieben Filmminuten.
Aus fernen Welten in den deutschen Alltag, wie er selten vor die Kamera kommt: Der Theater- und Filmregisseur Adrian Figueroa gewinnt den Preis des Deutschen Wettbewerbs und 4000 Euro für seinen Halbstünder mit dem rüden Titel „Proll!“ – gemeint sind drei Menschen, die mit harter Arbeit kaum über die Runden kommen. „Die herausragende Kamera“, so die Jury, „folgt ihnen dicht, oft intim, wir spüren den Druck, sehen den Schweiß und die Angst“. Figueroa gestatte sich und seinem Publikum keine Sentimentalität in diesem „Film über die Einsamkeit unserer Zeit“.
Das spielerische, ja verspielte Gegenstück markiert der Preis des Deutschen Online-Wettbewerbs, dotiert mit 2500 Euro: Sechs kurzweilige Minuten genügen Tanita Olbrich, um mit „(Steve) Temple“ die entzückte Jury mitzunehmen „in ihren bewundernswert persönlichen Kosmos voller Musik und Freiheit“.
Nach allen Regeln der Pixel-Kunst
Die Kunst des Porträtierens mit Tagebuchtexten und alten Schmalfilm-Szenen würdigt der Preis des NRW-Wettbewerbs. 1000 Euro gehen an Christian Becker für „Lydia“ und die in 20 Minuten erzählte Geschichte einer Ehe. „Am Anfang hören wir den Puls des Lebens“, so schildert’s die Jury, „darauf schnell und hart geschnitten Porträtbilder von einem Mann und einer Frau in der Ästhetik der 70er Jahre“.
Mögen alte Filmstreifen die Authentizität imprägniert haben – beim inzwischen auch schon traditionsreichen 23. Deutschen MuVi-Preis war die amüsante Fälschung preiswürdig: In „Junge Milliardäre“ von „Uwe“ begeistert die Indie-Band (zugleich ihr eigener Clip-Fabrikant) mit einem „Deep Fake“: Nach allen Regeln der Pixel-Kunst lassen „uns Uwe“ den noch halbwegs jungen Tesla-Milliardär Elon Musk zu ihren Beats tanzen. „Eine brillante Arbeit“, jubelt die Jury, „die genauso sehr in der Geschichte von Film und Welt fußt, wie sie in die Zukunft weist“.
Kim Gordon, berühmt als Bassistin von „Sonic Youth“, sorgte schon im letzten Jahr für Indie-Glanz im damals noch einzigen MuVi-Wettbewerb. Jetzt ist ihr tougher Pandemie-Song „Hungry Baby“ der Gewinner des brandneuen Internationalen MuVi-Preises. Das Preisgeld von 2000 Euro geht an Regisseurin Clara Balzary, die aus Sicht der Jury „die Quintessenz eines Musikvideos“ ins Bild setzt: Auf einem menschenleeren Parkplatz lässt sie die großartige Schauspielerin Coco Gordon-Moore um ihr Leben tanzen.
Unangepasst und stolz – ein Leitmotiv
Das ist thematisch gar nicht so weit weg von der Internatsgeschichte „Dolapo is Fine“, ausgezeichnet mit 1000 Euro und dem Preis der Jugendjury: In 15 Minuten zeigt die Britin Ethosheia Hylton, „dass man sich nicht verbiegen muss“, so die vier Juroren von der Gesamtschule Osterfeld. „Die junge Frau im Film hat uns gezeigt, dass Assimilation nicht um jeden Preis geschehen muss.“ Sich unangepasst und stolz zu behaupten – seit Jahrzehnten ist’s ein selbstverständliches Leitmotiv der Kurzfilmtage.